Steuerhinterziehung:Meiden Sie Ihren Bankberater!

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Wer im großen Stil Steuern hinterzieht, leidet unter Stress und ist am Ende der Dumme. Unser Gegenmodell schenkt Ihnen relative Zufriedenheit.

Jochen Schmidt

Wahrscheinlich müsste ich in diesen Tagen ein schlechtes Gewissen haben, weil es mir keine Schlaflosigkeit bereitet, dass die Leute Steuern hinterziehen, und zwar sogar zig Millionen. Die Menschen machen ja schlimme Sachen. Nicht immer betrifft es mich direkt, wenn sie zum Beispiel ohne Licht Fahrrad fahren oder heimlich Damenunterwäsche tragen. Natürlich leiden wir alle unter den in einem skurrilen Fürstentum gebunkerten Millionen unserer feinen Mitbürger. Aber Geld ist eine abstrakte Sache.

Wozu ein Finanzberater? - Er soll dafür sorgen, dass mein Geld arbeitet und mich sonst in Ruhe lassen, sagt Jochen Schmidt. (Foto: Foto: dpa)

Ich mag es, wenn ich mein Geld anfassen kann. Sobald es nur noch eine Zahl auf einem Konto ist, kann ich mir darunter nichts mehr vorstellen. Als Kind habe ich immer mit den Händen in Geldstücken gewühlt, wie Dagobert Duck. Es gab in der DDR goldfarbene 20-Pfennig-Stücke, mit denen telefoniert wurde, wahrscheinlich weil die anderen Münzen nicht schwer genug waren. Ich wollte immer nur 20er haben, weil sie wie Goldstücke aussahen, und ich tauschte viel wertvollere Münzen dafür ein.

Mein richtiges Geld, also das, mit dem man etwas im Intershop kaufen konnte, bewahrten meine Eltern in einem Briefumschlag in einer Schublade auf. Es wurde immer auf dem Briefumschlag notiert, wenn etwas dazukam, oder wenn man etwas ausgegeben hatte. Nach der Währungsunion 1990 sollte ich plötzlich mit dem richtigen Geld einkaufen. Sie nahmen es einem einfach ab für Sachen wie Brot oder Butter. Wo man es doch eigentlich dafür aufgespart hatte, Fanta-Dosen oder Fritt-Kaubonbons zu kaufen.

Eine Arbeit finden, die mir möglichst wenig auf die Nerven ging

Wie viel ich in Zukunft verdienen würde, war nie ein Thema, es ging nur darum, eine Arbeit zu finden, die mir möglichst wenig auf die Nerven ging und dafür genug Zeit für die Sachen ließ, auf die es ankam, also Musik machen, lesen oder durchs Land trampen. Heute überlegen die Jugendlichen schon mit zwölf Jahren, in welcher amerikanischen Universität sie studieren werden, damit sie dort die richtigen Leute treffen und später die besten Aufstiegschancen haben. Ich bin jemand, der Euro immer noch in D-Mark zurückrechnet, um sich unter dem Preis etwas vorstellen zu können. Ich bin ein Fossil für die heutige Generation, so wie meine Oma damals für mich, als sie in der Kaufhalle "Katzenkasse" gemacht hat: Sie hat alles Kleingeld in die Schale geschüttet und die Kassiererin hat sich rausgesucht, was sie brauchte.

Aber es soll keiner sagen, ich könnte als Ossi nicht mit Geld umgehen, schließlich habe ich meine Finanzen im Griff. Mein Ziel ist es natürlich, von den Zinsen leben zu können, und dazu fehlt noch ein bisschen. Bei drei Prozent Zinsen brauche ich 450.000 Euro auf dem Konto, um klarzukommen. Wenn ich immer Fahrrad fahre, spare ich täglich circa acht Euro für Fahrkarten und habe das Geld in 25 Jahren zusammen. Dann bin ich 60 und kann von den Zinsen leben. So einfach ist das.

Als sich infolge auf unvorhersehbare Weise plötzlich erbrachter Lebensleistungen einmal gewisse Beträge auf meinem Konto akkumulierten, hieß es von allen Seiten: "Jochen, du musst Aktien kaufen!" Aber wo gab es denn Aktien zu kaufen? Bei der Sparkasse? Da, wo die schrecklichen Möbel sind? Ich hatte ein Sparbuch, und die Sparkasse gab einem 1,25 Prozent Zinsen, wenn man ihr Geld borgte, sie nahm aber selber zwölf Prozent, wenn man etwas von ihr wollte, das ist eigentlich ziemlich frech.

Aktien selber besorgen, sonst finanziert man das Auto vom Berater

Mein Bruder sagt immer, man soll sich seine Aktien selber besorgen, weil man sonst nur das Auto vom Berater finanziert, der einem auch noch schlechte Aktien aufschwatzt, um seine eigenen Anlagefehler auszugleichen. Er will sowieso, dass ich mein Girokonto auflöse und zu einer Internetbank gehe, weil ich sonst die Sparkassenfilialen mitfinanziere. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass mein Geld im Internet sicher ist, wenn es also nicht mal mehr ein Gebäude gibt, an dem ich vorbeifahren und mir vorstellen kann, dass da mein Geld drin liegt. Und wenn es die Sparkassenfilialen nicht mehr gibt, bauen sie bestimmt etwas noch Schlimmeres hin, Mobilfunkgeschäfte zum Beispiel oder Nazikneipen.

Meine Eltern haben damals die T-Aktie gekauft, und als Telefonieren plötzlich billig wurde, haben sie sich standhaft geweigert, von der Telekom wegzuwechseln, weil, wie sie dachten, jedesmal, wenn sie uns anriefen, ihre Aktien stiegen. Wir Ossis sind wahrscheinlich schwer zu verstehen, deshalb haben alle solche Angst vor uns. Wir kaufen einfach nicht das Beste oder Billigste, sondern wir verlangen etwas, was längst abgeschafft worden ist. Für den Markt sind wir zu unberechenbar.

Mein Bruder beschäftigt sich allerdings in seiner Freizeit im Internet mit der Geschichte von Firmen und kauft dann entsprechende Aktien, wenn er das Gefühl hat, dass dort solide gearbeitet wird. Ich finde, wenn man sich länger als eine halbe Stunde im Jahr mit Geld befassen muss, macht man etwas grundfalsch. Das ist das große Problem am Steuerhinterziehen im großen Stil: Es klingt sehr anstrengend und dabei unglaublich langweilig.

Mein Steuerhinterzieher kostet mich über 500 Euro im Jahr

Mein Steuerhinterzieher kostet mich über 500 Euro im Jahr, und ich hoffe mal, dass ich mit ihm wirklich weniger Steuern zahle, als ich ohne ihn zahlen würde. Das lässt sich natürlich nicht nachprüfen, aber es ist alles, was ich von ihm verlange. Mein Bruder sagt: "Kauf dir doch die WiSo-CD und mach das selber! Das dauert einen Nachmittag!" Da hat er sicher recht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich Dinge, die einen Nachmittag dauern, viele Nachmittage lang nicht mache. Mein Steuerhinterzieher fragt mich immer Sachen, wie:

- "Herr Schmidt, wie viel Prozent Ihrer Telefongespräche sind privat?"

- "Privat? Ich bin Schriftsteller, ich habe kein Privatleben."

Ein Kollege hat neulich sogar die psychotropen Pilze abgesetzt, die er in Amsterdam gegessen hat, und zwar als Werbungskosten. Einmal im Jahr sortiere ich meine Rechnungen in beschriftete Umschläge, damit der Berater weniger Arbeit hat und mir weniger berechnet (was nicht funktioniert, sein Satz ist immer derselbe, ich könnte die Rechnungen sogar extra zerknüllen, aber ich bin als ehemaliger Jungpionier dazu erzogen worden, anderen Menschen die Arbeit zu erleichtern), und dann schicke ich ihm alles als Päckchen und will nie wieder davon hören. Er schreibt mir dann eine unglaubliche Rechnung, u.a. "50 Euro für Telefon- und Portokosten", was dreist ist, weil wir gar nicht telefonieren. Aber das scheint so üblich in dieser Republik, und letztlich ist es ein gutes Zeichen, wenn er mich betrügt, denn er soll ja auch den Staat für mich betrügen: Ich habe einen Wolf engagiert und kein Lamm!

"Sein Geld arbeiten lassen": man hat seine Zeit für sich

Anders war es mit dem Sparkassenberater, der mir die Aktien kaufen sollte, weil ich nicht wusste, wie man das selber macht und keine Zeit hatte, mich damit zu befassen. Im Beratungsgespräch fielen Sätze, wie: "Wenn Sie von der Dynamik des asiatischen Marktes profitieren wollen, müssen sie den Asia-Fonds mit reinnehmen!" Ich stellte eine einfache Frage: "Wer sagt, dass es immer Wachstum geben wird?" Er guckte mich spöttisch an und antwortete: "Herr Schmidt, wir leben doch nicht mehr auf den Bäumen!" Das Problem war, dass er dann alle paar Wochen anrief, um einen neuen Termin auszumachen, weil er mit mir über meine Finanzen reden wollte. Ich wollte aber mit der Sache nichts mehr zu tun haben - das war doch exakt der Sinn von "sein Geld arbeiten lassen", dass man seine Zeit für sich hatte, also dafür, im Land 'rumzutrampen, zu lesen und Musik zu machen.

- "Sie verschenken Ihr Geld!", sagte er in einem so vorwurfsvollen Ton, als sei das verboten.

- "Ich will mich damit nicht befassen."

- "Ich kann Ihnen helfen."

- "Geht das nicht am Telefon?"

- "Nein, dazu müssen sie herkommen."

- "Warum denn?"

- "Dazu brauchen wir Ruhe."

- "Ich kann aber nicht."

- "Das sagen Sie jedes Mal."

- "Wenn ich zu Ihnen komme, lasse ich mir was aufschwatzen, das ist so bei mir."

- "Herr Schmidt, wenn Sie damit ein psychisches Problem haben, können wir das so gestalten, dass . . . "

- "Ich will nichts damit zu tun haben, bitte rufen Sie mich nicht mehr an!"

- "Sie verschenken Ihr Geld!"

Wenn ich mir vorstelle, dass die Zahl der sog. Geldberater, die man beschäftigen muss, proportional zur Summe des Vermögens steigt, müssen reiche Leute ein schreckliches Leben führen, weil sie dauernd jemand anruft und beschimpft, wenn sie ihr Geld verschenken. Ständig lebt man in der Angst, dass man seinem Geld kein guter Vater ist oder dass man es sogar verhungern lässt. Dann muss man auch noch Steuern hinterziehen und nach Liechtenstein schaffen, wo man es nicht sehen oder mit den Händen drin wühlen kann.

Fazit: Wenn es nach mir ginge, ich würde nach dem System von meiner Oma Steuern zahlen, also einfach alles Geld zum Finanzamt bringen und "Katzenkasse" machen. Die Finanzbeamten sollen sich 'rausnehmen, was sie brauchen, ich bin dann kurz ernüchtert und die Sache ist in einer halben Stunde erledigt.

Ach, und ich denke übrigens, wenn Herr Zumwinkel und die anderen das in etwa so gemacht hätten, unglücklicher wären sie jetzt nicht.

Der Schriftsteller Jochen Schmidt, Jahrgang 1970, lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihm 2007 im Beck-Verlag "Meine wichtigsten Körperfunktionen".

© SZ vom 23.02.2008/sme/ang - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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