Stahl im Bau:Stolze Spannweiten

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Stahl macht Bauen ohne Stützpfeiler möglich. Das Material lässt sich gut mit Beton kombinieren.

Von Hannes Leonard

Wenn Bernhard Hauke zu erzählen anfängt, gerät er schnell ins Schwärmen. Aber das ist auch sein Job. Hauke ist Geschäftsführer des Düsseldorfer Vereins "Bauen mit Stahl", einer Interessenvertretung von Stahlproduzenten. "Die Vorteile von Stahl liegen auf der Hand", setzt Hauke an, "er ist recycelbar, lässt sich industriell vorfertigen und ist dadurch zum richtigen Zeitpunkt auf der Baustelle".

Witterungseinflüsse haben diesem Bauwerk binnen kurzer Zeit eine rotbraune Patina verliehen. Der neue, 30 Meter hohe Aussichtsturm im Lausitzer Seenland besteht aus besonders robustem Corten-Stahl. (Foto: Foto: ddp)

Hauke ist nicht der Einzige, der sich für das eher kühl wirkende Material begeistert. "Was seit dem Einsatz von Stahl als Baustoff möglich ist, kommt einer Revolution gleich", stellt Jörg Lange fest. "Nie zuvor wurden solche Spannweiten erreicht", also beispielsweise Fußböden oder Decken ohne Stützpfeiler. Lange interessiert sich für Stahl aus der wissenschaftlichen Perspektive. Er ist Professor an der Technischen Universität Darmstadt und leitet dort das Fachgebiet Stahlbau. Und Lange führt beeindruckende Beispiele an: Bauwerke wie die Golden Gate Bridge, der Berliner Funkturm oder der Leipziger Hauptbahnhof wären sicherlich nicht möglich gewesen, ohne Stahl zu verbauen. In diese Aufzählung gehören auch die ersten Hochhäuser von New York oder Chicago - Stahl ließ Hochhäuser zu Wolkenkratzern wachsen.

Deutschland noch wenig gestählt

"Es gibt keine Alternative zu Stahl als Baustoff", merkt Lange an. So wurden allein im Jahr 2007 in Deutschland circa zehn Millionen Tonnen Stahl verbaut. Doch Deutschland ist, was die Verwendung des Metalls angeht, keineswegs Weltspitze. "In den USA beruhen etwa 75 Prozent aller Bürobauten auf einer Stahlkonstruktion, in Deutschland sind es nur etwa zehn Prozent - das ist das hintere Drittel im internationalen Vergleich", fügt der Professor hinzu.

Angefangen hat alles in England, doch auch Deutschland sollte eine wichtige Rolle zukommen: 1779 wurden 378 Tonnen Stahl zu einer Brücke verschmolzen. Nahe der kleinen englischen Ortschaft Ironbridge überspannt sie das Flüsschen Severn. "Fast alle Teile der Brücke sind aus Gusseisen", berichtet Lange beiläufig. Auf jeden Fall ist dieses Bauwerk die erste Eisenbrücke der Welt - heute zählt sie deshalb auch zum Unesco-Weltkulturerbe.

Es dauerte noch einige Jahre, bevor Stahl mit einem anderen populären Baustoff kombiniert werden sollte. Eine frühe Versuchsanordnung steht noch heute im Archiv des Deutschen Museums in München. Es ist kein besonders spektakulärer Bau - doch sollte er ja auch nur beweisen, dass die Kombination von Stahl und Beton hält, was sie verspricht.

Metamorphose in Bildern
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Wie aus einem vergleichsweise harmlosen Entchen ein beinahe brutales Stück Architektur wurde - in dem es sich trefflich wohnt.

Im Jahr 1884 kauften die Ingenieure und Firmenbesitzer Wayss und Freytag die deutschen Patente für diesen neuartigen Material-Mix. "Freytag war ein sehr pragmatischer und sparsamer Mensch", charakterisiert Bernhard Weidemann vom Deutschen Museum den Vater des Stahlbetons. Wohl auch deshalb war das erste Gebäude aus Stahl und Beton eine Hundehütte, im selben Jahr noch von Freytag errichtet. Schon kurze Zeit später ließ die Regierung unter Prinzregent Luitpold in München die Königliche Anatomie errichten, sie gilt als erster großer Stahlbetonbau in Deutschland.

Neue Festigkeit

Was in München seine Anfänge hatte, findet heute seine Fortsetzung beispielsweise im nahen bayerischen Friedberg. 2008 wurde dort ein Gebäude mit dem "Preis des deutschen Stahlbaues" ausgezeichnet, an dem die neueste Stahltechnologie erprobt wurde. "Korrosionsbeständiger Stahl rostet nur an der Oberfläche und hat gleichzeitig diese schöne bronzene Farbe", erklärt Bernhard Hauke von "Bauen mit Stahl" - der Verein initiierte den Preis. Der zweistöckige Kubus eines Werk- und Denklabors des Architektenbüros Hiendl/Schineis steht inmitten unauffälliger Gewerbebauten. Die von außen erkennbare Stahlkonstruktion ist auch innen sichtbar - sie dient als Tragwerk und Raumteiler zugleich.

Ein anderes Forschungsgebiet ist der Feuerschutz. "Das ist immer ein Eiertanz", stellt Lange trocken fest. Schließlich wird Stahl meistens verschweißt, und das geschieht bei hohen Temperaturen. Es gilt also immer abzuwägen, wie feuerresistent er sein soll.

Richtig Geld lässt sich auf einem anderen Gebiet sparen. Die einfache Formel lautet: "Weniger Stahl mit einer höheren Festigkeit", erläutert Lange. Denn eines leuchtet ein: Wo geringere Mengen Stahl benötigt werden, um ebenso viel oder mehr zu tragen, sinken die Baukosten. Verständlich, dass hier ein Forschungsschwerpunkt liegt. Warum sich immer, wenn man auf den Baustoff Stahl zu sprechen kommt, Begeisterung breitmacht, hat nach Auffassung des Forschers einen ganz praktischen Grund: "Stahl ist auch der Baustoff der Individualisten - gerade bei Einfamilienhäusern wird das Metall häufig dann eingesetzt, wenn die Bauherren das Besondere suchen."

© SZ vom 24. 04. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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