So wohnt die Welt (3):Trabantenstädte mit Club-Med-Charme

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Anfang der sechziger Jahre überwucherten Slums Singapur. Seit dem sind ganz neue Siedlungen entstanden: Luxusausführung des subventionierten Wohnungsbaus.

Manuela Kessler

Sie hätte es wissen müssen. Man setzt sich nicht ungestraft über die Tradition hinweg. Die Nummer ihrer Wohnung im vierten Stock verheißt Unheil: 4-24 klingt auf Kantonesisch wie "Tod und nochmals Tod". Mag sein, dass der Preis auch deshalb vergleichsweise bescheiden war. Vivian Chan zuckt die Schultern.

Hochhausfassade: So sieht sozialer Wohnungsbau in Singapur aus. (Foto: Foto: Laif)

550.000 Singapur-Dollar (280.000 Euro) zahlten sie vor fünf Jahren für die Viereinhalb-Zimmer-Wohnung in Choa Chu Kang, einer neuen Siedlung an der Peripherie des südostasiatischen Stadtstaats.

Ihr Mann Alvin hielt es für ein Schnäppchen. Die Einschätzung des IT-Experten war verständlich vor dem Hintergrund, dass er aus besseren Kreisen stammt, die in Singapur vorzugsweise Englisch sprechen. Sie, die Sekretärin chinesischer Muttersprache, hätte ihn warnen müssen. Es hätte ihrer Kleinfamilie mit der siebenjährigen Tochter Vera Kummer und Kosten erspart.

Vivian Chan macht sich Vorwürfe, dass sie sich von den großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen der Überbauung blenden ließ. Die gut 700 Wohnungen von Yew Mei Green teilen sich nicht nur einen Karaoke-Raum, eine Trainingshalle und zwei Tennisplätze. Inmitten der Hochhäuser liegt auch ein Swimmingpool mit einer künstlichen Felswand, über welche das Wasser wie aus einer Bergquelle ins Becken sprudelt. Liegestühle und Grillvorrichtungen stehen einladend darum gruppiert wie in einer Ferienanlage des Club Med.

Der Unterhalt der Anlage kostet die Eigentümer je 125 Euro monatlich.

Nichts zeigt auf den ersten Blick, dass es sich um einen sozialen Wohnungsbau handelt.

Die lachsfarbene Anlage, die umgeben ist von einer Mauer mit Wachhaus und Schlagbaum, wurde von der öffentlichen Hand und einem privaten Bauunternehmen gemeinsam errichtet.

Das sogenannte Executive Condominium ist die Luxusausführung des subventionierten Wohnungsbaus nach Singapurer Art, der gemeinhin HDB genannt wird, nach der Abkürzung für die zuständige Behörde, das Housing and Development Board. Als Käufer der subventionierten Behausungen kommt nur in Frage, wer volljähriger Bürger von Singapur ist, einen "Familienkern" besitzt - aber kein Spitzeneinkommen.

Vater Staat verfolgt mit dem öffentlichen Wohnungsbau eine ganze Reihe gesellschaftspolitischer Ziele. Am Anfang, in den sechziger Jahren, stand die Not: Slums überwucherten den in die Unabhängigkeit entlassenen Stadtstaat.

Vivia Chang und ihre Tochter: Wohnaltar und Brunnen sollen das Wohlbefinden der Familie verbessern. (Foto: Foto: Manuela Kessler)

Der Schmutz und das Elend störten Staatsgründer Lee Kuan Yew. Er ließ Wohnblöcke mit kleinen Einheiten aus dem Boden stampfen, um die Bevölkerung anständig unterzubringen. Die Behörden achteten beim Verkauf der Wohnungen streng darauf, keinen Ghettos Vorschub zu leisten. Alle Siedlungen wurde ethnisch durchmischt - entsprechend der Singapurer Bevölkerung, in der Chinesen drei Viertel, Malaien ein Siebtel und Inder etwa ein Zwölftel stellen.

Welch riesige Anstrengungen der junge Staat unternahm, lässt sich wohl nur ermessen, wenn man weiß, dass heute etwa 85 Prozent der 3,5 Millionen Singapurer in einer HDB-Wohnung hausen. Die vielen Hochhäuser haben Raum gelassen für großzügige Grünflächen.

Obdachlose gibt es in dem Musterländle nicht.

Der freie Wohnungsmarkt richtet sich auf die oberen Zehntausend aus und auf die Hunderttausende von ausländischen Fachkräften, die hier vorübergehend stationiert sind. Die Gebärfreudigkeit der leistungsgetrimmten Einheimischen ist so bescheiden, dass die Behörden nachzuhelfen suchen, indem sie Familien bei der Wohnungsvergabe bevorzugen. Singles haben keine Chance.

Je attraktiver die Anlage, desto länger die Warteliste. Jede Siedlung bildet eine eigene Nachbarschaft mit Schulen, Klinik und Bibliothek, Einkaufszentrum, Supermarkt und Ladenpassage, Imbissständen und Restaurants.

Choa Chu Kang gehört zu den neuesten Trabantenstädten, die vom Zentrum weit entfernt, aber optimal erschlossen sind mit U-Bahn, Bussen und Schnellstraßen.

Alvin und Vivian Chan, die noch keine 40 sind, müssten sich glücklich schätzen. Ihr Zuhause bietet viel für wenig Geld. Doch ihre Karrieren gerieten ins Stocken, kaum dass sie die Wohnung bezogen hatten. Psychische Störungen machten ihnen mit einem Mal zu schaffen.

Sie wussten weder ein noch aus. Der Verzweiflung nahe konsultierten sie eine Meisterin des Fengshui, der chinesischen Kunst, die natürlichen Kräfte von Wind (feng) und Wasser (shui) gezielt einzusetzen. Siehe da: Der Gasherd in der Einbauküche stand dem Befund der Expertin zufolge so unglücklich, dass er die vorhandene Energie verbrannte.

Ein Brunnen und ein Hausaltar in der Stube sollen jetzt zum Wohlergehen der Familie beitragen. Es sind die prominentesten Einrichtungsstücke in der bescheiden möblierten Wohnung. Alvin und Vivian Chan sparen. Sie haben besser bezahlte Stellen angetreten. Jetzt wollen sie sich ein Reihenhäuschen kaufen. Auch der Adresse wegen: Chao Chu Kang tönt in den Ohren der besseren Gesellschaft ebenso schlecht wie die Nummer 4-24.

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