So wohnt die Welt (1):Über den Dächern der ewigen Stadt

Lesezeit: 4 min

Wer in Rom gut wohnen will, sollte nicht nur auf die berühmten Dachterassen achten - viel wichtiger ist ein guter Hausmeister. Neue SZ-Serie

Stefan Ulrich

Wie wohnt es sich in anderen Ländern? Decken sich alle Schweden mit Ikea-Möbeln ein? Hat Australien eine eigene Wohnkultur? Legen Japaner Wert auf Balkone? Besitzen die Franzosen ein herzlicheres Verhältnis zu ihren Hausnachbarn als die Deutschen? Warum haben Niederländer selten Gardinen? Und: Wie findet man im Ausland eine geeignete Mietwohnung, und was kostet sie? In einer neuen Serie gehen die SZ-Auslandskorrespondenten all solchen Fragen nach.

Freier Blick auf den Petersdom: Wohnungen mit solch einer Aussicht sind in Rom schwer zu kriegen. (Foto: Foto: ap)

Es müssen nicht immer Dachterrassen sein. Auch wenn solche Fleckchen Freiraum hoch über den Brunnen der Stadt die Wunschträume der Rom-Neulinge durchgeistern - Terrassen voller Bougainvilleen und Palmen, wenn möglich an der Piazza Navona, am Campo de' Fiori oder im Herzen von Trastevere. Es gibt diese Paradiese, jeder Tourist, der den Kopf in den Nacken legt, kann ihr überquellendes Grün bewundern.

Nur: Sie gedeihen nicht auf dem freien Markt, jedenfalls nicht zu irdischen Preisen; und wenn doch einmal, so haben diese Wunder-Wohnungen Tücken, die das Vergnügen trüben.

Drei Beispiele mögen genügen. Eine befreundete Familie zog, frisch aus Brüssel kommend, in eine Dachterrassen-Wohnung ein, zwar nicht an der Piazza Navona, aber immerhin mit Blick auf den Petersdom. Schade nur, dass Fenster, Türen und Dachisolierung so betagt waren, dass es in den kalten römischen Wintern (ja, sie sind kalt!) eisig durch die Ritzen pfiff. Der Sommer dagegen verwandelte die Schlafzimmer in türkische Dampfbäder.

Der Weg auf die Dachterasse - nur für Akrobaten

Die Familie zog schließlich - erleichtert - nach Amsterdam. Im zweiten Fall ist die Wohnung zwar wohnlich, der Weg auf die Terrasse aber ein Fall für Akrobaten, der eine genüssliche "Cena" mit Freunden im Freien aus logistischen Gründen unmöglich macht. Im dritten Beispiel stimmt fast alles: Isolierung, Zugang, Blick. Schade nur, dass das Abluftrohr eines asiatischen Schnell-Restaurants genau vor der Terrasse mündet.

Doch auch wer tiefer sucht, findet nicht immer. Schließlich kann man in Rom kaum von einem Mieter-Markt sprechen. Die Mehrheit der Bürger kauft - oder wohnt bei den Eltern. Mietwohnungen sind rar, und die einzelnen Makler haben oft nur wenige Objekte an der Hand, so dass langes vergebliches Suchen üblich ist.

Ein wahrer Römer braucht keine Makler

Ein wahrer Römer würde sich ohnehin nicht an diese Vermittler wenden, sondern darauf spekulieren, dass der Onkel dritten Grades der Taufpatin seiner Zeitungshändlerin jemanden kennt, der einen Kontakt anbahnen könnte. Mit etwas Glück kommt er so nach einigen Jahren zu einer guten Unterkunft in einem der Palazzi, den Wohnblocks, die die alten Römer "Insulae" nannten.

Eine solche gute Wohnung liegt einigermaßen verkehrsgünstig und dennoch nicht zu laut, hat tiefe, umlaufende Balkone, die im Sommer die Sonne und im Winter den Wind fernhalten. Sie verfügt über einen kühlen, nicht unbedingt geschmackvollen Marmorboden, über mehrere Toiletten, das ist Prestigesache, und vor allem: über einen Portinaio - vulgo Pförtner und Hausmeister.

Italien
:Impressionen aus dem Antiken Rom

Die Schauplätze, an denen Geschichte geschrieben wurde

In unserem Fall ist dies Gaetano. Ohne ihn würden wir wohl immer noch ohne Telefon im Dunkeln sitzen und die Pasta auf einem Camping-Kocher garen. Ein guter Portinaio ist, ganz wörtlich gesprochen, die halbe Miete wert. Er kennt alles und jeden im Viertel, weiß, wo man Fahrräder reparieren, Forellen angeln, Knöpfe kaufen, Reitstunden nehmen oder die beste neapolitanische Pizza essen kann.

Im Sommer durchkämen Diebesbanden die Häuser

Er empfängt die Post, repariert die Lampen, gießt im Urlaub die Blumen und füttert die Meerschweinchen der Kinder. Er hat ein Auge auf alles und jeden, besonders im August, wenn die meisten Römer verreist sind und Diebesbanden systematisch Palazzo für Palazzo absuchen. Dann müssen sich die Alarmanlagen von Haus und Wohnung bewähren, die im besten Fall so laut losheulen, dass kein Einbrecher in Ruhe seiner Arbeit nachgehen kann.

Die Kriminalität ist ein großes Thema in Rom. Jeder kennt Geschichten von Freunden, die nachts mit Sprays betäubt und ausgeraubt wurden. Selbst im heißen August und in hoch gelegenen Wohnungen bleiben daher die Schlafzimmerfenster geschlossen, während die Ventilatoren brummen. Glücklich schätzt sich, wer sein Auto in der Garage weiß. Denn gerade im Sommer sind Pyromanen unterwegs. Deren Opfer, ausgebrannte Auto-Skelette, schmücken oft monatelang die Straßen.

Der Portinaio aber bietet vielmehr als nur Sicherheit. Er verschafft den Einstieg ins italienische Beziehungsgeflecht. Dank Gaetano besucht uns regelmäßig ein Händler, der köstlichen Mozzarella und günstigen Wein aus nicht immer klarer Quelle verkauft.

Der Hausmeister sorgt für frischen Fisch und Kontakte

Außerdem kommt mittwochs und freitags Luigi il Pescivendolo, Ludwig der Fischverkäufer, ein Freund Gaetanos. Er reist mit dem Zug aus dem südlichen Formia hierher, mit einem Korb voller Eiswürfeln und Meeresgetier. Seine frischen Miesmuscheln, seine Krebse und Tintenfische, Seezungen und Goldbrassen sind fast schon allein ein Leben in Rom wert.

Dann sind da natürlich noch die Nachbarn. Sie treffen sich jeden Abend im Hof, feiern bis tief in die Nacht, spannen Wäscheleinen von Balkon zu Balkon und schmettern Opernarien. Nein - so munter wie in diesem Klischee geht es in den römischen Palazzi nicht (mehr) zu. Dafür arbeiten die Menschen, die Arbeit haben, viel zu lang und hart.

Neapolitaner in der Stadt beklagen sich öfters über die "Freddezza", die soziale Kälte unter den Römern. Für einen Nordländer ist das jedoch kaum nachzuvollziehen. Wer Kontakte sucht, der wird sie finden, und oft wird der Weg durchs Treppenhaus so kommunikativ, dass es schwierig ist, rechtzeitig zum Bus zu kommen.

Mehr Geld für Restaurants als für die Einrichtung

Viel Platz haben sie meist nicht, die Römer, dafür sind die Mieten zu hoch und die Löhne zu niedrig. Außerdem lassen sie ihr Geld eher in Restaurants und Boutiquen als in teuren Einrichtungsgeschäften. Ikea weiß es zu danken und hat bereits das zweite Groß-Zentrum in der Stadt eröffnet.

Anders sieht es natürlich in großbürgerlichen Wohnungen aus: Dort glänzen Marmor, Kristall und edles Parkett, an den Wänden hängen Ölgemälde in schweren Barockrahmen. Gleich neben dem Eingang aber geht es in eine winzige Einliegerwohnung. Dort lebt die "Filippina", das oft von den Philippinen kommende Hausmädchen. Ihr Wohnkomfort ist sehr bescheiden. Doch wenn sie Glück hat, lebt sie bei einer Familie mit Dachterrasse.

© SZ vom 22.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: