Reihenhaus:Wie ein Ei dem anderen

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Es muss aber nicht so sein. Holländer machen vor, wie schön Wohnen in der Zeile sein kann.

Christa Eder

(SZ vom 8.3.2002) Das Reihenhaus gilt hierzulande allgemein als Notlösung. Man denkt an hellhörige Billigbauten und Nachbarn, die sich über den Gartenzaun hinweg bekriegen oder hinter Gardinen lauern. Der wahre Traum von den eigenen vier Wänden sieht anders aus. Freistehend, mit großem Garten und Sicherheitsabstand zum nächsten Grundstück. Doch wer kann sich das schon leisten? Zum Glück nur wenige. Denn könnte jeder diesen Traum verwirklichen, wäre dies ein Alptraum.

Wenn Bauträger Reihenhäuser planen, sollten sie keine Eier im Kopf haben. (Foto: Foto: Photodisc)

Alte Tradition

Verdichtetes Bauen ist angesichts der Baulandknappheit eine unumgängliche Alternative. Das war schon immer so. Im alten Ägypten ließ Pharao AmenophisIV. um 1350 vor Christus für seine rund 25.000 Untertanen Reihenhaussiedlungen aus Lehmziegel bauen, um nicht fruchtbares Ackerland zu vergeuden. Vielleicht war dies die Geburtsstunde des Reihenhauses, denn kurz darauf wurde auch in Europa auf Zeile gebaut.

Von den Griechen weiß man, dass sie demokratische Reihenhaussiedlungen - gleiche Grundrisse und Wohnflächen für alle - mit öffentlichen Freiflächen und Gemeinschaftsräumen für ihre Bürger angelegt haben.

Und in Augsburg steht noch heute der erste Sozialreihenhausbau aus dem 16. Jahrhundert: die Fuggerei.

Günstige Form

In allen Epochen wurden Häuser in Serie gebaut, weil es wirtschaftlich und vernünftig ist. Bodenressourcen werden geschont, die Baukosten bleiben im grünen Bereich und auch eine gute Nachbarschaft trägt wesentlich zur Wohnqualität bei.

Doch auch die Form eines Gebäudes ist entscheidend für das Wohlbefinden der Bewohner. Gerne mokiert man sich über das Beton-Trübsal der 70er Jahre, doch die meisten Wohnungsneubauten sind mindestens ebenso fantasielos.

Kunde ohne Ansprüche

Hans-Peter Hebensperger-Hüther ist Architekturprofessor an der FH Coburg und mit der Soziologieprofessorin Gaby Franger-Huhle einer der maßgeblich Beteiligten am Projekt "Perspektive Reihenhaus". Er glaubt, dass vor allem der Geschmack der Endverbraucher die Form der Gebäude bestimmt.

"Die Leute sind einfach zufrieden mit 08/15-Bauten. Für Architekten ist es oft sehr anstrengend, Neues an den Mann zu bringen. Viel Überzeugungsarbeit ist notwendig und man fragt sich jedes Mal: Warum tu ich mir das eigentlich an?"

Kein Geld für Architekten

Zudem sei der Markt für Reihenhäuser eng, die Nachfrage zu gering, die Margen für den Unternehmer zu niedrig. 98 Prozent aller Reihenhäuser würden daher ohne Architekt geplant, vermutet Hebensperger-Hüther. "Am lukrativsten ist es eben, wenn bereits Schubladenpläne da sind, die man immer wieder verwenden kann."

Jedem also das Reihenhaus das er verdient? Mit Einheitsdach, -balkon, -fenster, -zaun, niedrigen Räumen, Koch- und Nasszellen in denen man sich kaum umdrehen kann? Mag sein, dass es dem deutschen Reihenhausbesitzer nicht so sehr auf die Form ankommt. Aber vielleicht denen, die sich von der pseudomodernen Heimeligkeit der üblichen Reihenhaussiedlungen abgeschreckt fühlen. Auch sie wären potentielle Kunden, die vom hiesigen Markt nicht bedient werden.

Vorbildhafte Reihenhäuser bei den Nachbarn

Abgesehen von einer angeblich wenig wählerischen Kundschaft, gilt der Wohnungsbau aber auch als Stiefkind deutscher Architekten. Bei den europäischen Kollegen in der Schweiz, Dänemark oder Österreich ist das anders.

Vor allem aber in den Niederlanden wird der Haus- und Wohnungsbau traditionsgemäß gepflegt, ja geradezu gehätschelt. Dort erlebt das Reihenhaus seit Beginn der 90er Jahre einen unglaublichen Boom. Sowohl was das Bauvolumen, als was auch die günstigen Baupreise anbelangt. Inzwischen wohnen drei Viertel aller Niederländer in einem Reihenhaus. Nur 30 Prozent aller Wohnungen sind Geschosswohnungen, in Deutschland sind es über 55 Prozent.

Wer hierzulande in einem sauerverdienten Reihenhaus lebt, ist fast immer Eigentümer. Holländische Reihenhäusler wohnen häufig zur Miete.

Holländer haben verstanden

Als fast schon klassische Vorzeige-Siedlung gelten die Pieranlagen Borneo und Sporenburg in Amsterdam. 30 Architektenbüros erstellten Anfang der 90er Jahre den Masterplan für das Hafenareal. Auf durchschnittlich 70 Quadratmeter großen Parzellen entstanden rund 1400 maximal dreigeschossige Häuser mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 120 Quadratmetern.

"Ein Meer von Häusern" ist entstanden, wie es Adriaan Geuze von West 8, dem federführenden Planungsbüro für das Gebiet, ausdrückte. Nach dem Vorbild der Amsterdamer Grachtenhäuser sind dort lamellenförmig oder im Block angeordnet, Häuser mit Dachterrasse, Lichthöfen oder Schlitzen entstanden, innen mit Galerien und Oberlichtern, Lufträumen ins Obergeschoss, geschlossenen Wohnküchen, großen Badezimmern oder begehbaren Kleiderschränken ausgestattet.

Die Nachfrage war enorm. Vor allem besserverdienende Familien leben heute hier. In den Niederlanden hat man rechtzeitig Anfang der 90er Jahre auf die gesellschaftlichen Umbrüche reagiert. Mit städtebaulichen Programmen (Vinex), experimentierfreudiger Architektur, professioneller Produktentwicklung und Vermarktung und schließlich niedrigen Bodenpreisen, von denen man hier nur träumen kann. Um 40 bis 50 Prozent weniger müssen unsere niederländischen Nachbarn für ein Reihenhaus berappen. Selbst unter Berücksichtigung eines geringeren Ausbaustandards ein schlagendes Argument.

Staat und Baubranche haben verstanden, wie die flexible, mobile und plurale Erlebnisgesellschaft wohnen will. Ein Haus ist nicht mehr der Familienbesitz, sondern Konsumartikel, in dem man für einen Lebensabschnitt verweilt und dann wieder wechselt.

Das hat nicht nur der niederländischen Baubranche einen Boom beschert, sondern auch eine neue Generation von Reihenhausbewohnern hervorgebracht.

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