Plattenbau:Grauen Riesen denken mit

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Wieder ein Versuch, den Wegzug aus der "Platte" zu bremsen.

Ulrike von Leszczynski

In Berlin hat die schöne neue Wohnwelt schon begonnen. In der ersten Online-Reihenhaussiedlung Deutschlands im Pankower Musikerviertel schließen sich die Fenster wie von Geisterhand, wenn der Eigentümer einen Code in sein Handy tippt. Vernetzte Haustechnik macht es möglich, auch wenn der Bewohner gar nicht zu Hause ist.

Vernetzt und bezahlbar wohnen

Dass solche intelligenten Häuser kein Privileg von zahlungskräftigen Bauherrn sein müssen, will die Berliner Ingenieurin und Arbeitswissenschaftlerin Brigitte Stieler-Lorenz beweisen. Sie schwört auf den "intelligenten Plattenbau", in dem Bewohner von Großsiedlungen auch ohne dicken Geldbeutel in den Genuss multimedialen Wohnens kommen.

Ideen zur Schau gestellt

Wie ihre Idee funktionieren könnte, will Stieler-Lorenz auf einem Innovationsforum in Marzahn-Hellersdorf präsentieren - mitten in Deutschlands größter "Platte" und finanziert vom Bundesforschungsministerium: Innovationsforum "Das intelligente Haus - Multimediales Wohnen in der Plattenbausiedlung, 3. und 4. Dezember, Alice-Salomon- Fachhochschule, Alice-Salomon-Platz 5, 12627 Berlin. Internet: http://www.webwohner.de.

Technischer Fortschritt soll Wegzug bremsen

Rund hundert Wissenschafts- und Wirtschaftsexperten vorwiegend aus den neuen Bundesländern setzen sich dann mit der Idee der intelligenten Platte auseinander. Stieler-Lorenz, Professorin und Geschäftsführerin eines kleinen Ostberliner Produkt- und Prozessinnovationsbüros, sieht viele Vorteile: Einen Gewinn an Lebensqualität für die Mieter und auch einen Anreiz für die Wohnungsbaugesellschaften, den anhaltenden Wegzug aus den Großsiedlungen durch mehr technische Raffinessen in den Häusern zu bremsen.

Fernsehen mit 500 Programmen

"Und die Wirtschaft ist ganz scharf darauf", ergänzt Stieler-Lorenz. "Das ist ja ein Riesenmarkt, wenn es klappt." Einen Pluspunkt hat die modernisierte Platte schon: Mit der Sanierung sind in vielen Häusern leistungsfähige Breitbandkabelnetze verlegt worden. Ein Anschluss an ein solches Netz ermöglicht beispielsweise den Empfang von 500 digitalen Fernseh- und Radiokanälen.

Das Kabelnetz ist für die Professorin gleichsam die Basis für die technische Aufrüstung einer Mietwohnung. Möglich sind neben mehr Unterhaltung vor allem Service-, Kontroll- und Sicherheitsleistungen.

Wie die Technik sich in den Haushalt einschaltet

Eine Multimedia-Plattenbauwohnung, in der alle technischen Geräte in einem Netzwerk verbunden sind, könnte ihre Bewohner vor dem Verlassen digital darauf hinweisen, dass der Herd noch an ist. Die Heizung würde von selbst herunterfahren, wenn ein Fenster offen steht und so Betriebskosten sparen. Eine kostengünstige Internet- Standleitung ermöglichte neue Formen der Computerarbeit - vom Lernen bis zum Broterwerb. Lästige Gänge zu den Bezirksämtern entfielen, wenn Formulare über ein regionales Internet ausgetauscht würden.

Nachbarn wären online zu erreichen, nicht zuletzt der Hausmeister. "Bei so einem Konzept entstünde eine völlig neue regionale Kommunikation mit viel Zeit- und Kostenersparnis", betont Stieler- Lorenz.

Mieter werden gefragt

In Marzahn-Hellersdorf hat die Geschäftsführerin im November eine Umfrage unter 7000 Mietern gestartet, um zu erfahren, was sich die Bewohner wünschen - und was sie für mehr Wohnkomfort bezahlen wollen.

Der erste Trend der Umfrage, der noch nicht repräsentativ ist, hat sie überrascht. "Die meisten Mieter haben sich für einen kommunalen Auskunfts- und Beratungsservice interessiert", sagt sie. Ganz weit oben auf dem Wunschzettel standen darüber hinaus ein besserer Einblick in die Betriebskosten sowie aktuelle Informationen zu kulturellen Veranstaltungen in der Siedlung.

"Dafür waren die Marzahner und Hellersdorfer bereit, 10 bis 50 Mark mehr im Monat auszugeben", resümiert Stieler-Lorenz.

Teure Erfahrungswerte

Ganz so kostengünstig wird das Wohngefühl der Zukunft nicht zu haben sein. Erfahrungen aus dem Cohnschen-Viertel, einer Multimedia- Siedlung im brandenburgischen Henningsdorf, haben bei der Wohnungssanierung Mehrkosten von 6000 bis 8000 Mark ergeben. Für die Bewohner der Werkssiedlung erhöhte sich der Mietpreis um zwei bis drei Mark pro Quadratmeter.

In Sachsen-Anhalt beobachtet Dieter Schwarzenau, Professor an der Technischen Hochschule Magdeburg, wie Mieter auf interaktive Kabelfernsehnetze reagieren. Seine Erfahrungen: Die Dienste sind zu wenig attraktiv und die Endgeräte zu teuer.

Das wirtschaftliche Plus der Großsiedlungen - viele Nutzer auf wenig Raum - greift noch nicht richtig. In Leipzig-Süd ist ein Mulitmedia-Projekt, in das vor allem Schulen eingebunden sind, gerade angelaufen.

Brigitte Stiehler-Lorenz will nun all die Ost-Erfahrungen auf dem Forum bündeln und dann neue Ideen ausbrüten. "Ich höre ja immer, wir Ossis seien an neuer Technik nicht so interessiert. Das ist ein großer Irrtum", sagt sie.

(dpa)

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