Notkirchen nach dem Krieg:Holzkirche zum Selberbauen

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Der Architekt Otto Bartning rückte die Gemeinde näher an den Altar und inspirierte die Bauhaus-Bewegung.

Von Joachim Göres

Wer im Nürnberger Stadtteil Ziegelstein die evangelische Gnadenkirche sucht, braucht gute Augen. Inmitten eines Gewerbegebiets steht sie versteckt auf einem Hinterhof, kein großer Turm weist auf sie hin. Der rechteckige Sakralbau mit den beigefarbenen Leichtbauwänden und mit einem kleinen Glockenstuhl auf dem circa sieben Meter hohen Schieferdach wirkt von außen alles andere als imposant.

In vielen der Notkirchen von Otto Bartning rückt die Gemeinde nah an den Altar heran. (Foto: Foto: Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau (OBAK))

Der Eindruck ändert sich beim Betreten des Innenraums schlagartig. Holz wohin man schaut. Ein Dutzend Holzpfeiler tragen die Holzdachkonstruktion, die Bänke sind in Ovalform um den hölzernen Altar herum gruppiert. Das durch die kleinen schmucklosen Fenster unterhalb des Dachgestühls einfallende Licht schafft einen freundlichen Raum, der Baustoff sorgt für eine Atmosphäre, die an ein Zelt oder eine Hütte erinnert.

"Viele Gottesdienstbesucher haben das Gefühl, dass hier die Weihnachtsgeschichte spielen könnte", sagt Georg Heldmann, Vorsitzender des Freundeskreises der Gnadenkirche. Dass sie sich hier wohlfühlen, hat noch einen Grund: Die Gemeinde hat die Kirche 1951 weitgehend in Eigenregie aufgebaut. Das verbindet bis heute.

Mauern aus Trümmersteinen

Eine Kirche zum Selberbauen - diese Idee hatte der Architekt Otto Bartning. Überall in Deutschland waren Kirchen durch den Krieg zerstört, allenthalben war das Bedürfnis groß nach einem gemeinsamen Gebetsraum angesichts der materiellen und seelischen Not und Verlusts der Heimat, den viele erlitten. Für eine herkömmliche Kirche fehlte das Geld. Also entwickelte Bartning für die von ihm so bezeichneten Notkirchen einen Holzbausatz, der in Serienproduktion gefertigt wurde. Dazu gehörten Dachbinder, Pfetten, Dachtafeln, Fenster und Türen.

Der 1883 in Karlsruhe in einem Pfarrhaus geborene Bartning beschreibt die Herausforderungen der Nachkriegszeit in einem Artikel von 1948 so: "Heute gilt es, mit der baren Not zu ringen... All dies, unabhängig von deutschen Materialengpässen, für 10.000 Dollar pro Notkirche mit 450 Sitzplätzen lieferbar und aufstellbar in etwa drei Wochen." Bei den größeren Kirchen Bartnings des Typs A und B, die 350 bis 500 Menschen Platz bieten, füllten Gemeindemitglieder die tragende Konstruktion mit Mauerwerk aus, wozu meist Trümmersteine verwendet wurden.

Die kleinere Gnadenkirche mit ihren Leichtbauwänden gehört zum Typ D, ist als Gemeindezentrum konzipiert und kostete einst 30.000 Mark. Das Geld spendeten Christen in Dänemark. Die Ziegelsteiner Gemeindemitglieder mauerten das Fundament und stellten unter Anleitung die Holzkonstruktion auf. Ein Kirchenraum für 200 Gottesdienstbesucher, der mit einigen Handgriffen - der Altar wird zugeklappt, die Kanzel in eine Nische an den Rand gestellt - schnell zum Gemeinderaum umfunktioniert werden kann. "Noch heute profitieren wir bei den Heizkosten davon, dass sich die Wärme durch das Holz und die niedrige Decke länger hält", sagt Heldmann.

Auch die Lukaskirche ein Worms wurde von Otto Bartning gebaut. (Foto: Foto: Immo Wittig)

92 dieser Gotteshäuser, die sich trotz Serienfertigung im äußeren Erscheinungsbild voneinander unterscheiden, existieren heute noch - allein zwölf der Notkirchen stehen in Bayern, unter anderem das Gemeindehaus der Kreuzkirche und die Golgathakirche in München, die Martin-Luther-Kirche in Würzburg und die Christuskirche in Viechtach. "Die Notkirchen Bartnings waren nie als Provisorium gedacht, sondern für eine lange Nutzung geplant. Die meisten von ihnen sind bis heute in einem guten Zustand", sagt der Kultursoziologe Immo Wittig, Vorstandsmitglied der Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau. (OBAK).

Bartning ging es vor allem um die Gestaltung des Innenraums. Bereits 1928 wurde in Brandenburg an der Havel die von ihm entworfene Christuskirche eingeweiht, die durch ihren sachlichen Stil und die Funktionalität zu den Klassikern des modernen Kirchenbaus zählt. Ein Kindergarten ist so an den Altarraum angegliedert, dass man seinen Platz auch zur Erweiterung des Kirchen-Innenraums nutzen kann. Der Altar ist demontierbar, die Bänke können flexibel aufgestellt werden, sodass der Gottesdienstraum auch für Gemeindeveranstaltungen genutzt werden kann.

"Früher sollte die Kirche von außen was hermachen und protzig wirken. Bartning hat dies abgelehnt. Unter seinem Einfluss ist die Gemeinde näher an den Altar gerückt, das Gestühl steht oft im Halbkreis. Bartning hat die Funktion einer Kirche als Versammlungsraum betont, wobei immer die sakrale Nutzung im Vordergrund steht", so Wittig.

Er erinnert zugleich an Bartnings vergessene Bedeutung als Initiator der Bauhaus-Bewegung: "Bartning hat zum ersten Treffen dieser Bewegung unter anderem Gropius eingeladen, in seiner Wohnung entstanden die ersten Manuskripte zu dieser neuen Idee des Bauens. Gropius hat das Bauhaus dann im Alleingang gegründet. Bartning hat nicht zum Bauhaus gehört, aber Bauten errichtet, die diesem Stil sehr ähneln." Am umfangreichsten zeigt sich heute sein Werk auf Helgoland, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1959 maßgeblich am Wiederaufbau beteiligt war und einen skandinavischen Stil durchsetzte, mit einheitlicher Farbgestaltung und ohne viel Schnörkel.

Es ging dem einstigen Präsidenten des Bundes Deutscher Architekten (1950 bis 1959) nie um den schönen Schein, sondern um die substantielle Lösung konkreter Probleme. So sind viele seiner Aussagen bis heute aktuell, etwa auch folgende: "Die Kirche soll alle Tage geöffnet sein...Dem Diebstahl ausgesetzte Schmuckwerte sollen lieber vermieden werden, als dass um des Schmuckes willen die Kirche an sechs Tagen der Woche verschlossen bleibt."

Information: Ausstellungen zu Bartnings Werk sind in folgenden von Bartning erbauten Kirchen zu sehen: 11. April bis 17. Mai: Cyriakkapelle Erfurt, Im Gebreite 75; 21. bis 23. Mai: während des evangelischen Kirchentags in der Andreaskirche in Bremen-Gröpelingen, Lütjenburger Str. 22; 12. bis 21. Juni: St. Petri-Kirche Hannover-Döhren, Am Lindenhofe 19; 23. August bis 13. September: Kreuzkirche Vlotho-Wehrendorf, Wehrendorfer Str. 46. Weitere Einzelheiten: www.otto-bartning.de

© SZ vom 11. 04. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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