Notgeld:Die gefährlichen Nullen

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Was ist schon eine Zwei-Cent-Münze wert? Für den Einzelnen nichts, für die Gesellschaft sehr viel. Denn die Geschichte zeigt: Wo kleine Münzen fehlen, folgen große Unruhen - und treibt das Notgeld sein Unwesen.

Uli Röhm

Münzen mit den kleinen Werten sind für die meisten Menschen eher lästiger Ballast, als dass sie den runden Metallstücken im Geldbeutel eine größere wirtschaftliche Bedeutung beimessen. Jedoch nur so lange, wie sie in den Taschen klimpern. Sobald das Hartgeld knapp wird, es keine Groschen mehr gibt, Einzelhändlern die kleinen Münzen fehlen und sie über kein Kleingeld mehr verfügen, das als Wechselgeld herausgegeben werden kann, können die Folgen verheerend sein. In kürzester Zeit kommt jede Art von Handel zum Erliegen. Haben Bürger Angst, die Dinge des täglichen Bedarfs nicht mehr kaufen zu können, dann dauert es nicht sehr lange, bis soziale Unruhen ausbrechen.

Ewige Versuchung - die Staatsschulden steigen wieder

In den Zeiten der Hyperinflation 1923 gab es sogar Gutscheine über fünfhundert Milliarden Mark.

(Foto: dpa)

So hat gerade das kleine Geld großen Einfluss auf unser Wirtschaftssystem und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs hatte der Staat den Kleingeldmangel sogar selbst ausgelöst. Die damalige Regierung sammelte in den Frontgebieten Elsass und Ostpreußen, aber auch in Oberschlesien und im Ruhrgebiet, die dort vorhandenen Münzen als wertvolles kriegswichtiges Metall ein und ließ sie schmelzen, weil die Rüstungsindustrie das Metall brauchte.

Folglich war es der Reichsbank nicht mehr möglich, die Bevölkerung flächendeckend mit Zahlungsmitteln zu versorgen. Die Inflation wuchs, ebenso die Unsicherheit der Bürger - denn dort, wo die kleinen Münzen in den Geldbörsen fehlten, wurde aus Angst nur noch wenig gekauft. Um Unruhe in der Bürgerschaft zu vermeiden, druckten Städte eigenes Notgeld und brachten es als Ersatzgeld in Umlauf. Die Notmünzen und Notscheine - das Kriegsgeld - hatten allerdings nur eine begrenzte Gültigkeit für den Zahlungsverkehr vor Ort.

Dies war keine deutsche Erfindung. Solches Notgeld gab es auch schon früher in anderen Ländern. Immer wenn Geld knapp wurde und die Bevölkerung nicht mehr mit Zahlungsmitteln versorgt werden konnte, brachte die jeweilige Staatsmacht Ersatzgeld in Umlauf. Ein Selbsterhaltungstrieb, denn die Regierungen hatten Angst, andernfalls gestürzt zu werden. Das war im frühen England der Fall und ebenso während der Französischen Revolution. Mit den billets de confiance versuchte die Regierung, die Bevölkerung zu besänftigen, so wie es auch während des Amerikanischen Bürgerkriegs geschehen war.

Wie schnell ein Staat die Kontrolle über sein Geld verlieren kann, offenbarte in Deutschland besonders eindrucksvoll die Zeit zwischen 1914 und 1923. Die Reichsregierung musste hilflos zusehen, wie die Kriegsfinanzierung zu einem rapiden Wertverlust des Geldes führte. Neben gedruckten Scheinen wurden Porzellan, Pappe, Leder, Presskohle, Seide oder Leinen ausgegeben. In einigen Fällen wurden sogar Spielkarten zu Notgeld umfunktioniert.

Rasch entwickelten sich die billigen Scheine zu beliebten Sammlerobjekten. Geschäftstüchtige Kommunen und Unternehmen begannen, das Notgeld als variantenreich gestaltete Geldscheine direkt für den Sammlermarkt zu produzieren. Aus der Not wurde eine Tugend, aus Serienscheinen "Sammlergeld", reine Finanzierungsinstrumente für Emittenten. Für Hotels, Restaurants und Firmen stellte das Notgeld mit viel Lokalkolorit ein einfaches und vor allem billiges Werbemittel dar. Es wurde nicht mehr für den Umlauf, sondern gleich direkt für Sammler gedruckt und ausgegeben.

Das Konzept funktionierte - die grafisch teilweise sehr aufwendig gestalteten Serien brachten beträchtliche Gewinne. Davon profitierte auch die Druckbranche. Vielen Grafikern und Designern, die in dieser Zeit ohnehin am Hungertuch nagten, verhalfen diese Aufträge zu Lohn und Brot, sie machten das Notgeld zu begehrten Kleinkunstwerken. Unter den Abbildungen finden sich darüber hinaus viele rührend naive Illustrationen von Hobbykünstlern.

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