Merrill Lynch und Deutsche Bank:Der lange Schatten der Kreditkrise

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Nach den schlechten Zahlen der US-Investmentbank Merrill Lynch hoffen Analysten auf bessere Nachrichten von der Deutschen Bank. Doch bislang ist unklar, wie diese ihre bisherigen Wertkorrekturen vorgenommen hat.

Martin Hesse

Die Führungskrise bei Merrill Lynch hält die Bankenwelt in Atem. Zwar war Stanley O 'Neal auch am Montagnachmittag noch Chef der amerikanischen Investmentbank. Doch an der Wall Street galt sein Rücktritt zu diesem Zeitpunkt als ausgemacht. Die Online-Ausgaben amerikanischer Zeitungen wie Wall Street Journal und New York Times rechneten noch am selben Tag mit der Demission des 56-Jährigen.

Abschreibungen in unerwarteter Höhe: Merrill Lynch. (Foto: Foto: AP)

Während an der Wall Street über O'Neals Nachfolge spekuliert wird, konzentriert sich in Europa die Diskussion auf die Frage, ob europäische Investmentbanken in dieser Woche mit ähnlich schlechten Zahlen aufwarten könnten wie zuletzt Merrill Lynch.

Die amerikanische Investmentbank hatte vergangene Woche den schlimmsten Gewinneinbruch in ihrer 93-jährigen Geschichte gemeldet. Der Quartalsverlust von 2,24 Milliarden Dollar war sechsmal so hoch, wie O'Neal erst zwei Wochen zuvor avisiert hatte. Grund waren Abschreibungen in Folge der Kreditkrise von 8,4 Milliarden Dollar.

Die Turbulenzen an den Märkten haben keine Bank so stark in Mitleidenschaft gezogen wie Merrill Lynch, einen der größten Spieler im Geschäft mit verbrieften Immobilienkrediten. Weil O'Neal außerdem an den Führungsgremien der Bank vorbei mit der US-Bank Wachovia über einen Zusammenschluss verhandelt haben soll, wandte sich das Board, das über die Besetzung des Managements entscheidet, gegen den Chef der letzten fünf Jahre.

Die Analysten sind zuversichtlich

Analysten halten es für sehr unwahrscheinlich, dass die Deutsche Bank mit ähnlichen Überraschungen aufwartet wie Merrill Lynch, wenn Vorstandschef Josef Ackermann am Mittwoch das Zahlenwerk für das dritte Quartal vorlegt. "Ich würde mich sehr wundern, wenn die Deutsche Bank die bereits angekündigten Wertberichtigungen anpassen muss", sagt Andreas Weese, Banken-Analyst bei Unicredit.

Ackermann habe schließlich stets Transparenz und Vertrauenswürdigkeit gefordert und sich als Vorreiter hingestellt. Ähnlich sieht es Konrad Becker von Merck Finck: "Die Deutsche Bank ist sich sehr bewusst, dass es unklug wäre, Transparenz zu fordern, Zahlen in die Welt zu setzen und diese kurz darauf zu korrigieren."

Die Deutsche Bank hatte am 3. Oktober vorläufige Zahlen für das dritte Quartal genannt. Sie müsse in Folge der Kreditkrise im Investmentbanking insgesamt Verluste in Höhe von 2,2 Milliarden Euro verbuchen. Gute Erträge in stabileren Geschäftsbereichen wie Privatkundengeschäft und Vermögensverwaltung würden die Belastungen jedoch mehr als ausgleichen und für einen Vorsteuergewinn von 1,2 Milliarden Euro sorgen, Steuergutschriften dürften daraus sogar einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro machen.

Analysten rechnen damit, dass Ackermann diese Zahlen am Mittwoch bestätigt. Sie erhoffen sich aber deutlich mehr von der versprochenen Transparenz. Bislang hatte die Deutsche Bank nämlich im Dunkeln gelassen, aus welchen Bereichen die Verluste kommen und welche Bewertungsmethoden sie angewendet hat. "Die spannende Frage ist, wie die Zahlen zustande kamen", sagt Becker.

Markt- oder Modellpreise?

Unklar sei, bei wie vielen verlustträchtigen Wertpapieren die Bank für die Abschreibungen echte Marktpreise zugrunde legte und wo sie auf theoretische Modellpreise zurückgreifen musste, weil es mangels Handel keine Marktpreise gab. Davon hänge schließlich ab, wie verlässlich die Angaben zu den Verlusten sind, argumentiert der Analyst. Während Merrill Lynch den Wert verbriefter Wertpapiere um bis zu 30 Prozent nach unten korrigiert hatte, legen die bislang bekannten Deutsche-Bank-Zahlen nur eine Korrektur um etwa fünf Prozent nahe.

Noch stärker als auf die Zahlen für das dritte Quartal wird sich das Augenmerk der Analysten und Aktionäre aber darauf richten, welchen Ausblick Ackermann für die Zukunft gibt. "Ich gehe davon aus, dass über die Wertberichtigungen hinaus auch das operative Geschäft in einigen Bereichen eingebrochen ist", sagt Becker.

Unicredit-Analyst Weese glaubt zwar auch, dass die Erträge in einigen Geschäftsbereichen nicht wieder das gleiche Niveau erreichen, wie vor Ausbruch der Kreditkrise. "Doch ich glaube nicht, dass Ackermann von seiner Prognose abweicht, die Deutsche Bank werde 2008 vor Steuern 8,4 Milliarden Euro verdienen." Der Deutsche-Bank-Chef hatte diesen Ausblick am 3. Oktober unter den Vorbehalt gestellt, "dass die Märkte normal funktionieren".

Positiv interpretierten Anleger am Montag eine Mitteilung der Schweizer Großbank UBS. Nur einen Tag vor der Bekanntgabe der Quartalszahlen trat das Institut Befürchtungen entgegen, es könnte ähnliche Überraschungen geben wie bei Merrill Lynch. Der Verlust werde in der bereits genannten Spanne von 358 bis 477 Millionen Euro liegen. Allerdings warnte UBS auch, auf die Bank könnten im vierten Quartal weitere Abschreibungen zukommen.

© SZ vom 29.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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