Mein erstes Mal (VI):Jo und Pol und ich

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Ende der neunziger Jahre war jedes Unternehmen Weltmarktführer. Irgendwie. Zum Beispiel auch Lernout & Hauspie. Was geschah, als ich die Aktien kaufte.

Martin Hesse

Irgendwann ist es soweit. Man hat etwas Geld. Doch wie um Himmels Willen legt man es an? SZ-Redakteure berichten, wie es war - beim ersten Mal. Folge VI.

Jo Lernout und Pol Hauspie waren in Flandern mal eine ganz große Nummer. Sie entwickelten Software, mit deren Hilfe Computer menschliche Stimmen erkennen konnten. War das nicht wunderbar? Versprach das nicht das Ende aller Missverständnisse zwischen Mensch und Maschine?

Und war es nicht noch viel wunderbarer, dass man Aktien dieser Kämpfer für ein besseres Miteinander von Computer und Mensch kaufen konnte? Denn schließlich waren Lernout & Hauspie Weltmarktführer. Und in Weltmarktführer - das wusste in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre jeder - muss man investieren. Auch ich wusste das. Schließlich war ich Finanzredakteur.

Aber da kamen damals natürlich viele daher, die behaupteten, Weltmarktführer zu sein. Wenigstens fast und sicher bald ganz. Und sei es nur Weltmarktführer im Versenden von Trockenblumensträußen über das Internet.

Doch mir machte man so leicht nichts vor. Schließlich hing ich Nacht für Nacht vor den Terminals der nie versiegenden Informationsquellen Reuters und Bloomberg, sortierte Nachrichten, wälzte Datenbanken, wägte Kaufempfehlungen, legte Trendlinien an Zickzackkurven und rief irgendwann in den frühen Morgenstunden mit zitternden Händen meinen Online-Broker an.

Wie der Bill

Trotzdem: Ganz sicher war ich mir bei Lernout & Hauspie nicht. Hatte Belgien jemals einen Weltmarktführer hervorgebracht? Also erst mal nur eine Hesse-Menge investieren, wie Kollegen das spöttisch nannten, wenn ich wieder kleckerte statt zu klotzen.

Außerdem: Kurs kontrollieren, ständig. Und auf die Zahlen schauen, regelmäßig. Sehr gut lief das lange Zeit: Der Kurs stieg, die Umsätze auch, Gewinne würden später kommen, da war ich mir sicher. Denn wer würde so dumm sein, sich allein auf das eigene Urteil zu verlassen?

Also hatte ich mir angeschaut, wer noch in L&H investiert. Microsoft war dabei, Intel auch. Konnten diese Ikonen des kalifornischen Silicon Valley irren? Und was konnte schon schiefgehen, wenn Flanderns Politprominenz die Taschen auskehrte, um ein flämisches Language Valley aus dem Boden zu stampfen?

Was soll ich sagen. Es ging schief. Ich hatte mich geirrt, Bill Gates hatte sich geirrt. Die Spracherkennungs-Software von L&H war, vorsichtig ausgedrückt, etwas begriffsstutzig. Und weil die Nachfrage nicht so sprunghaft stieg, wie sich das für einen Weltmarktführer gehört, halfen Jo Lernout und Pol Hauspie etwas nach.

Sie wiesen beispielsweise Umsätze mit Firmen aus, die L&H eng verbunden waren. Und dann war da noch das blühende Korea-Geschäft: Weitgehend frei erfunden. Aber das fand erst das Wall Street Journal im Jahr 2000 heraus und nicht der junge Finanzredakteur der Süddeutschen Zeitung.

Der saß vor dem Computerbildschirm und redete sich die Lage schön: Noch ist nichts erwiesen, sicher ein Missverständnis, es wird ja nicht gleich alles den Bach runtergehen. Zu den Verdrängungsmechanismen gehörte auch, nicht mehr ganz so regelmäßig auf den Kurs zu schauen und das Thema schließlich ganz zu ignorieren, als Baisse-Spekulanten den L&H-Kurs atomisierten.

Der Rest ist schnell erzählt: Ende 2001 ging L&H in Konkurs. 2007 wurde der Prozess wegen Betrug, Kursmanipulation, Geldwäscherei, Urkundenfälschung und anderer Vergehen eröffnet, ein Urteil wird 2008 erwartet.

Die L&H-Aktien fristen in meinem Depot ein Dasein als Mahnmal für die Gefallenen der Internet-Euphorie. Einzelaktien kommen mir nicht mehr ins Haus. Fast gar nicht. Höchstens mal ein echter Weltmarktführer.

© SZ vom 27.11.2007/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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