Mehrgenerationenhäuser:Full House

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"Vom Wäscheservice oder Computerkurs über die Leih-Oma" - zurück zur Großfamilie: Mehrgenerationenhäuser sollen das barrierefreie Miteinander von Alt und Jung ermöglichen.

Oliver Herwig

Geht es nach Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), stehen sie bald überall, in jedem Landkreis, jeder kreisfreien Gemeinde: Mehrgenerationenhäuser, Treffpunkte für Jung und Alt, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 439 Einrichtungen sollen bis 2010 entstehen, Begegnungshäuser, in denen "alte und junge Menschen voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam etwas bewegen" sollen. Circa 200 sind bereits fertig.

Ursula von der Leyen: Politische Vorkämpferin für deutsche Mehrgenerationenhäuser. (Foto: Foto: ddp)

Der Bund hat für sein Aktionsprogramm 98 Millionen Euro bereitgestellt und will jedes dieser Häuser über einen Zeitraum von fünf Jahren mit jährlich 40 000 Euro fördern. In das Programm aufgenommen wurde unter anderem ein Mehrgenerationenhaus im Münchner Stadtteil Harthof mit Angeboten für alle Altersgruppen, das Ministerin von der Leyen Anfang Februar dieses Jahres eröffnete.

Was aber steckt hinter dem Begriff "Mehrgenerationenhaus"? Eine Art Wohngemeinschaft, ein Sozialcafé? Meistens geht es um ganz konkrete Dienstleistungen, "vom Wäscheservice oder Computerkurs über die Leih-Oma bis hin zum Mittagstisch für Schulkinder und die Krabbelgruppe", sagt die Ministerin.

Barrierefrei bauen

"Mehrgenerationenhäuser, das ist ein ziemlich weicher Begriff", findet Christine Degenhart, Architektin aus Rosenheim und Expertin an der Beratungsstelle Barrierefreies Bauen in der Bayerischen Architektenkammer. In erster Linie geht es um Treffpunkte am Tage, um "Räume, die Begegnung zulassen zwischen unterschiedlichen Gruppen und zugleich Rückzugsräume anbieten." Die wenigsten Häuser offerieren echte Wohngemeinschaften oder Patchwork-Familien auf Zeit, zunächst geht es um kleine Schritte an Ort und Stelle.

Generell gilt für Degenhart: "Möglichst viel Flexibilität im Inneren und Bezüge nach draußen, zum Garten." Verschiebbare Trennwände teilen Räume, wenn die einen werken und die anderen miteinander lesen möchten. Dass alle Häuser barrierefrei gebaut werden, ist für sie selbstverständlich. Wichtig sei eine "kontrastreiche Gestaltung, damit sich Ältere sofort zurechtfinden", rät die Architektin, "das muss nicht quietschbunt sein. Im Gegenteil: je klarer die Architektur, desto besser bringen sich die Menschen ein".

Gemeinschaft bedeutet Vielfalt

Generationenhäuser können auch aus Familienzentren oder Seniorentreffs wachsen. Wie das Stuttgarter Haus Heslach der Rudolf Schmid und Hermann Schmid Stiftung. Was anfangs als reines Pflegeheim gedacht war, entwickelte sich zu einem Stadtteilzentrum mit Supermarkt und Wohnungen, Läden und Praxen.

Die Herausforderung für das Stuttgarter Büro Drei Architekten - Kai Haag, Sebastian Haffner, Tilman Stroheker - lag darin, so Gegensätzliches wie Ruhe und Spielplätze zu verbinden, dazu ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln. Dazu zählen weiche Faktoren wie Atmosphäre, gezielte Lichtführung und klare Materialien.

Die verschiedensten Nutzungen des Hauses am Hang sind gestapelt: unten liegen ein öffentliches Foyer, Bank und Bäcker, darüber eine Verwaltungsebene, anschließend folgt das Pflegeheim mit direktem Zugang zum Garten, darüber zwei Stockwerke für Pflegebedürftige. Das Haus öffnete bereits im Frühjahr 2001. Wer einen Blick auf das vielfältige Programm des Stuttgarter Hauses wirft, ahnt, dass Gemeinschaft Vielfalt bedeuten kann, wenn die Großfamilie durch soziale Einrichtungen abgelöst wird.

Das kann aber auch privat funktionieren. Im sogenannten Gartenpark Höhenkirchen entstehen südlich von München neun Generationenhäuser mit Garten, Terrasse, Keller und Hobbyraum. Baubeginn ist im Sommer dieses Jahres. Lange hatte Architekt Tobias de la Ossa die Idee verfolgt und endlich einen Bauträger gefunden - die Bayerische Bau und Immobilien Gruppe.

Mehr als nur ein Tagestreff

Ein knallroter Anbau über dem Stellplatz dient als Erkennungszeichen. Hier können die Großeltern einziehen - wahlweise deren Enkel. Die Häuser können sich verschiedenen Lebenssituationen anpassen, sind aber nicht barrierefrei. Gebrechlichkeit steht bei den Käufern nicht direkt auf dem Programm. Das bestätigt Pressesprecherin Sabine Sommer: "Sie sind zwischen 30 und 50 Jahre alt und scheinen nicht direkt übers Alter nachzudenken."

Integriertes Wohnen und barrierearme Häuser sind hierzulande im Gegensatz zu Skandinavien oder Österreich noch ein gesellschaftliches Tabu. Die Initiative des Bundesministeriums kommt deshalb keineswegs zu früh. Noch versorgen Familien rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen. Und die Großeltern übernehmen regelmäßig ein Drittel der Kinder. Sie wollen nicht ins Heim abgeschoben werden.

Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Empirica denken nur 15 Prozent der Älteren daran, die eigene Wohnung aufzugeben. Viele aber könnten dazu gezwungen sein, da nur wenige Haushalte über ebenerdige Duschen verfügen oder Türen, die breit genug sind, einen Rollstuhl aufzunehmen.

In Zukunft müssen Generationenhäuser mehr sein als Tagestreffs, sie müssen zu vollwertigen Häusern wachsen und so den gesellschaftlichen Kitt bilden, als institutioneller Ersatz der aussterbenden Großfamilie.

Information: Details zum Thema und zum Förderprogramm finden sich online unter www.bmfsfj.de/mgh und unter www.mehrgenerationenhaeuser.de

© SZ vom 11.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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