Marktforscher planen mit:Für jeden die passende Wohnung

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Mieter werden etikettiert: Als "Traditionsverwurzelt", "Moderner Performer" oder "Hedonist". Wie Investoren und Vermieter persönliche Informationen über ihre künftigen Kunden sammeln.

Roswitha Loibl

Das Schreckgespenst hat einen Namen: "Hedonist". Wenn er sich in einem Wohnhaus eingenistet hat, dann geht es bergab. Wo und wie er wohnt, ist ihm nicht sehr wichtig, Hauptsache er kann billig leben. Dann bleibt ihm mehr Geld für seine Markenklamotten und sein elektronisches Spielzeug. Für diese Statussymbole gibt er sein eher schmales Einkommen gerne aus, für Miete weniger gern. Deshalb vergisst er die Monatszahlung durchaus einmal, schlimmstenfalls zieht er eben um.

Wohnen hinter dieser bunten Fassade "Hedonisten"? (Foto: Foto: AP)

Als Benjamin Poddig vom Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung (vhw) seine Milieustudie einem Kreis von Vertretern der Wohnungswirtschaft vorstellte, waren sich alle Zuhörer einig: Wir müssen unsere Häuser so gestalten, dass diese Hedonisten einen Bogen darum machen. Sie könnten andere Mieter vergraulen und ihresgleichen anziehen. Immerhin elf Prozent der deutschen Bevölkerung werden dem Milieu zugeordnet, das vor allem deshalb eine Wohnung braucht, "damit der DVD-Spieler nicht nass wird", so zitierte Poddig einen Branchenscherz.

Viele Datenquellen

Um die richtigen Kunden anzusprechen, informieren sich Investoren und Eigentümer großer Wohnanlagen aus den fast unerschöpflichen Datenquellen, die ihnen amtliche Statistik, Wissenschaft und Marktforschung zur Verfügung stellen. Die Untersuchungen erfassen Alter, Kaufkraft, Haushaltstyp, Wahlverhalten oder auch Wanderungsbewegungen. Dazu kommen Milieustudien, die immer mehr Beachtung in der Immobilienbranche finden. Sie basieren auf Daten wie denjenigen von Sinus Sociovision.

Die Marktforscher haben 17,8 Millionen Adressen in ihrer Datenbank erfasst. Sie befragen jährlich mehr als 50000 Menschen nach ihren Einkaufs- und Freizeitgewohnheiten, nach Familienleben oder Zukunftsplänen. Daraus leiten sie genau definierte Typen ab, die Etiketten erhalten wie "Traditionsverwurzelte", "Moderne Performer" oder eben auch "Hedonisten". Diese Gruppe lebt gerne billig und anonym - gut gepflegte, überschaubare Wohnanlagen könnten also ein Gegenmittel sein.

Dienstleister wie der vhw oder das Institut für Innovatives Bauen (IIB) entwickeln auf dieser Basis Analysen für die Immobilienwirtschaft. So erarbeitet der Verband vhw Stadtpläne, die für jedes Viertel angeben, wie stark die sozialen Gruppen dort vertreten sind. "Wir nützen diese Untersuchungen zur Zielgruppenfindung", erläutert Jürgen Probst, Geschäftsführer der Corpus Immobilien Makler in Köln. Bevor die Corpus Immobilien Gruppe ein Grundstück entwickelt, ein Gebäude kauft oder saniert, muss sie wissen, wer dort einziehen soll. "Unser Ziel ist es, eine hohe Umschlagsgeschwindigkeit zu haben."

Überregionale Unternehmen wie Corpus ziehen auch Informationen über die Wirtschaftsstruktur und die Branchenentwicklung zu Rate. Daraus lassen sich mitunter unerwartete Schlüsse ziehen. Eine deutschlandweite Studie über die Zukunftsregionen der Exportwirtschaft bewertete die Autoindustrie mit ihrer Massenfertigung kritisch. Für Jürgen Probst bedeutet dies in der Konsequenz: "Stuttgart sehen wir immer noch positiv, aber wir werden intensiver hinsehen, bevor wir etwas kaufen. Premium-Preise sind nicht realistisch."

Was realistisch ist, hängt nicht nur von den Finanzen der möglichen Kunden ab. Ebenso wichtig ist die Frage: Soll für Familien oder Kinderlose gebaut werden? Simone Rieß, Leiterin Marketing und Research bei der Bayerischen Hausbau, nennt als Beispiel für einen Single- und Paar-Standort den Arnulfpark in München. Dort ist die Architektur klar und schnörkellos, kleinere Wohnungen dominieren, Dachterrassen sind ein Muss. Eine höhere Einkommensgruppe peilt der Alte Hof mitten in der City an, wo in großzügig geschnittenen Wohnungen edelste Materialien zum Einsatz kommen.

Auch hier werden vorwiegend Kinderlose einziehen. Bis in Details wirken sich die Marktforschungs-Ergebnisse aus: Wie hoch die Fenster sind und wie die Hauseingänge aussehen, sogar das Farbschema der Innenausstattung - all dies orientiert sich am Geschmack der Zielgruppe. Um Familien anzuziehen, müssen die Wohnungen nicht nur größer sein, sondern idealerweise auch einen Gartenanteil bieten und im Mix mit Einfamilienhäusern stehen.

Lage, Lage Lage...

Vom Umfeld hängt es ab, wie hochwertig die Ausstattung ist. Wenn ein Neubaugebiet in der Nähe eines Kraftwerks liegt, dann läuft es in der Kategorie Einstiegsobjekt, und das bedeutet: einfache Architektur und günstige Ausstattung. Wichtigstes Argument für Käufer ist der niedrige Preis. Der Bauträger erwartet, dass die Bewohner hier nur einige Jahre verbringen, bis sie sich etwas Besseres leisten können. Mitunter schlägt die eigene Erfahrung jedoch die Marktforschung.

Ein Objekt der Bayerischen Hausbau in München-Trudering war für eine Überraschung gut: "Eigentlich ist das ein Familienstandort, doch dann stellten wir fest, dass ins Dachgeschoss ältere Käufer einzogen, die ihr Haus aufgegeben hatten, aber im Grünen bleiben wollten", berichtet Simone Rieß. Barrierefrei gelangen sie mit dem Aufzug in die Tiefgarage, genießen Ausblick und Sicherheit und müssen sich nicht um einen Garten kümmern.

Umgehend revidierte das Unternehmen seine Entwürfe für das nächste Projekt in Trudering. Ursprünglich waren dort im Dachgeschoss Wohnungen mit viel Glas vorgesehen, doch das ist bei älteren Herrschaften nicht so beliebt. Weniger Fenster, dafür mehr Stellflächen für Möbel - das kam bei den Kunden sehr gut an.

Milieustudien

Die Wohnungswirtschaft vertraut nicht mehr allein auf die grobe Einteilung ihrer Zielgruppen in Singles, Zweipersonenhaushalte oder Familien. Auch Merkmale wie Beruf, Alter, Schulbildung oder Einkommen erweisen sich für das Marketing als zu ungenau. Aussagekräftigere Daten liefert die Trendforschung, deren Ergebnisse die Hersteller von Konsumgütern schon lange nutzen. Lebensstile, Ziele und Werte stehen im Mittelpunkt dieser Untersuchungen.

Darin kristallisieren sich Milieus heraus, die sich als "Gruppen Gleichgesinnter" umschreiben lassen. Ein großer Anbieter solcher Daten ist die Heidelberger Sinus Sociovision GmbH. Ihre Terminologie ist im Marketing weit verbreitet. Fast ein Drittel der Deutschen gehört einem der "gesellschaftlichen Leitmilieus" an. Dazu zählen die "Etablierten" (zehn Prozent), die Exklusivität suchen, die "Postmateriellen" (zehn Prozent), die eine liberale Grundhaltung mit intellektuellen Interessen vereinen, und die "Modernen Performer" (neun Prozent), die jung, leistungsorientiert und flexibel sind.

Die größte Gruppe stellt die "Bürgerliche Mitte" mit 16 Prozent dar. Sie strebt im Beruf und im Privatleben nach gesicherten Verhältnissen. Die zweitgrößte Gruppe, die "Traditionsverwurzelten", wird ihren Anteil von vierzehn Prozent aus Altersgründen nicht halten können. Zu ihr zählt die Kriegs- und Nachkriegsgeneration, für die Werte wie Sicherheit und Ordnung eine wichtige Rolle spielen.

© SZ vom 19.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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