Licht im Dunkel:Die Wüste lebt

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Ein trister Wohnblock an einer Münchner Ausfallstraße, Dreck und Krach auf zehn Spuren, 15 Stunden am Tag. Und ein Balkon, auf dem das Leben blüht.

Susanne Schneider

Fragte man einige der 60.000 Autofahrer, die Tag für Tag an Erich Menauers Wohnung vorbeibrettern, ob sie hier wohnen wollten, die meisten würden antworten: niemals. Der Verkehr, der Dreck, der Gestank! Erich Menauer aber sagt, er würde sterben, dürfte er nicht mehr hier leben. Und die acht Jahre, die er sich noch gibt, möchte er in seiner Wohnung bleiben.

Lichtblick im grauen Einerlei: Hausfassade in München-Giesing, Schwanseestraße 31 (Foto: Foto: Olaf Unverzart)

61 ist er jetzt, sein Vater starb mit 69. Er rechnet nicht damit, älter zu werden. Vor vier Monaten ist er in Frührente gegangen, das macht 18 Prozent Abzug im Monat, "aber von den acht Jahren wui i no was ham". Und darum hat er sich da, mitten in der scheinbaren Hölle, ein kleines Paradies geschaffen, kaum zwei Quadratmeter groß: sein Balkon.

Kletterrose und Apfelbaum

München-Giesing, Schwanseestraße 31, Ecke Chiemgaustraße, die Kreuzung, an der sich der Mittlere Ring für die Abbieger auf zehn Spuren verbreitert. Ein tannengrünes Haus, 1951 erbaut, das der Besitzer, eine Genossenschaft, verlottern lässt; zwei Eingänge, 20 Mietparteien, acht Balkone, sieben davon sind kahl.

Nur Erich Menauer hat seinen bepflanzt mit zwölf rot-weiß gefüllten Geranien, verteilt auf drei Blumenkästen an der Breitseite des Balkons, zwei roten Hochgeranien, einer Kletterrose und einem Apfelbaum, der heuer neun Früchte trägt, an den Schmalseiten. Dieses Jahr hat er kein Männertreu gepflanzt, wegen der Baustelle nebenan, "die bringt so viel Dreck".

Überlegenswerte Investition

Den Passanten aber fällt der kleine Trick nicht auf, sie winken ihm zu, wenn sie ihn auf seinem Balkon sehen und an der Bushaltestelle warten. Dankbar für diesen Lichtblick in der Unwirtlichkeit. Und er freut sich, winkt zurück und verspricht ihnen im Geiste, nächstes Jahr wieder mehr Blumen zu pflanzen.

Manchmal steht er draußen auf dem Balkon, schaut auf die Autos, die Stadtsparkasse, die Ampeln, die Fußgänger, die Litfaßsäule, "natürlich schnauf ich einen Haufen Feinstaub ein". Manchmal nimmt er sich seinen Klappstuhl und ein Weißbier und setzt sich auf den Balkon. Kürzlich hat er im Baumarkt einen Klapptisch gesehen, der hätte auch noch Platz. Er überlegt, ob er ihn kauft.

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