Lehman-Pleite:Gefallener Gorilla

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Er sucht die Schuld bei allen - nur nicht bei sich selbst: Ex-Lehman-Chef Richard Fuld muss sich vor dem US-Kongress für die Pleite verantworten.

Moritz Koch

Seine Aura ist verschwunden. Gorilla tauften sie ihn an der Wall Street wegen seiner autoritären Art und breiten Statur. Nun sitzt der Silberrücken da mit eingesunkenen Schultern, klammert sich an sein Manuskript und spricht vom Schmerz. Dem Schmerz der Angestellten, dem Schmerz der Aktionäre, dem Schmerz der Gläubiger. Und seinem eigenen: "Ich fühle mich schrecklich. Jede Nacht wache ich auf und frage mich, was ich hätte anders machen können. Der Schmerz wird mich den Rest meines Lebens begleiten."

Der ehemalige Lehman-Chef Richard Fuld wird vor dem US-Kongress zur Verantwortung gezogen. (Foto: Foto: Reuters)

Richard S. Fuld Jr. war der dienstälteste Chef an der Wall Street. Keiner ist so tief gefallen wie er. Fast eineinhalb Jahrzehnte war Fuld Chef der Traditionsbank Lehman Brothers. Doch seit drei Wochen existiert Lehman nicht mehr.

"Paralysierte Märkte"

Eineinhalb Jahrhunderte Unternehmensgeschichte endeten am 15. September 2008 im Bankrott. Das Aus der viertgrößten Investmentbank Amerikas leitete den Niedergang der Wall Street ein und löste global eine Panik unter Anlegern aus, die sich seither immer weiter verstärkt. Während die Börse in New York an diesem Montag auf den tiefsten Stand seit vier Jahren stürzte, nahm sich der Kongress in Washington der Aufarbeitung der Lehman-Pleite an.

Fuld sitzt den Abgeordneten gegenüber und schildert ihnen die letzten Tage der Investmentbank, die verzweifelte Suche nach einem Kapitalgeber auf "paralysierten Märkten" und die enttäuschte Hoffnung auf eine Rettung durch die Regierung. Er spricht langsam, schluckt schwer und macht lange Pausen.

Einen "Lehman-Lifer" nennt er sich. Sein ganzes Berufsleben habe er dem Unternehmen gewidmet. Unter seiner Führung sei Lehman vom Nischenanbieter zum Global Player aufgestiegen.

Rechtfertigung vor dem Kongress

Die Abgeordneten rührt das nicht. "Sie sind hier der Bösewicht", lassen sie ihn wissen. Fuld bekennt sich zu seiner Verantwortung, genau wie zu seinen Entscheidungen. All die Nächte, in denen ihn die Frage marterte, was er anders hätte machen können, haben keine Antwort hervorgebracht. Niemand habe vorhergesehen, was geschehen ist, rechtfertigt sich Fuld. Lehman sei von einem finanzieller Tsunami fortgespült worden, der nun das ganze Land bedroht.

"Was uns geschehen ist, hätte jedem anderen Finanzkonzern auch passieren können", sagt der 62-Jährige. "Auf Grundlage der Informationen, die ich hatte, war mein Handeln vernünftig und angemessen."

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Die Abgeordneten und die Experten, die zu der Anhörung geladen sind, glauben Fuld nicht. Unter seiner Führung sei Lehman unbeherrschbare Risiken eingegangen. Die Bank habe massiv auf Kredit spekuliert und sich das Geld kurzfristig geliehen, um möglichst niedrige Zinsen zu zahlen. Das habe Lehman verwundbar gemacht und das Misstrauen der Anleger geschürt. Als sie ihr Geld zurückforderten, konnte Lehman nicht zahlen.

Aus betriebsinternen Dokumenten lesen die Kritiker heraus, dass der Vorstand Investoren das wahre Ausmaß der Misere verschwieg. So haben Fulds Gehilfen fünf Tage vor der Pleite versichert, kein neues Kapital zu brauchen, obwohl einige Mitarbeiter in Emails vor diesem Schritt gewarnt hatten.

Fünf Milliarden Dollar Boni

Vor allem aber empören sich die Kongressmitglieder über die exorbitanten Boni, die sich das Management gönnte. Noch im Januar 2008, als sich der Liquiditätsengpass schon abzeichnete, hat die Bank dafür fünf Milliarden Dollar ausgegeben. Fünf weitere Milliarden investierte sie in Aktienrückkäufe und die Ausschüttung von Dividenden, anstatt die Kapitalbasis zu stärken.

Fuld beteuert: Er habe an Lehman geglaubt, niemanden getäuscht und nichts verschwendet. Er gibt den Medien die Schuld, die Unwahrheiten berichtet hätten. Den Spekulanten, die auf den Zusammenbruch gewettet hätten. Der Regierung, die nichts zur Rettung unternommen habe. Allen außer sich selbst.

Eines aber habe die Finanzkrise ihn gelehrt, sagt Fuld. "Wir brauchen bessere Regeln. Eine globale Matrix der Regulation." Ausgerechnet er, der gefallene Gorilla der Wall Street, will das Gesetz des Dschungels abschaffen, das in der Finanzwelt bisher galt. Erst hat es ihn groß gemacht und dann sein Lebenswerk zerstört.

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