Kreditvergabe:"Hokuspokus zum Nachteil der Verbraucher"

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Datenschützer kritisieren die Verfahren, mit denen Banken und andere Firmen kontrollieren, ob Kunden zahlungsfähig sind.

Daniela Kuhr

Michael Wilken schüttelt den Kopf. Er kann immer noch nicht glauben, was er erlebt hat, als er sich bei einer Bank nach den Konditionen für einen Ratenkredit erkundigte.

"Das Gespräch verlief ausgesprochen nett", erzählt der Mann mit den kurzen grauen Haaren. Die Bankmitarbeiterin sei freundlich und geduldig gewesen. "Sie entschuldigte sich noch dafür, dass das Eintippen meiner Daten etwas länger dauere, weil sie ein neues Computerprogramm hätten."

Doch plötzlich sei die Stimmung gekippt. "Als der Computer ihr das Ergebnis mitteilte, wurde sie ganz blass: Statt der in der Werbung angebotenen 4,5 Prozent hätte ich elf Prozent Zinsen zahlen sollen", sagt er. "Es war ihr richtig unangenehm." Eine Erklärung habe sie nicht liefern können. "Sie sagte nur, dass ihr leider die Hände gebunden sei. Der Computer habe meine Risiken berechnet, und das sei nunmal das Ergebnis."

Wilken und die Bank kamen nicht ins Geschäft. Das liegt allerdings nicht an den hohen Kreditzinsen, die er hätte zahlen sollen, sondern daran, dass das Ganze ohnehin nur ein Test war. Im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (Vzbv) hatte die Münchner GP Forschungsgruppe 21 Personen in elf verschiedene Kreditinstitute geschickt, um das Prozedere bei der Kreditvergabe näher zu beleuchten.

Undurchsichtiges Verfahren

Die Tester interessierte dabei vor allem das sogenannte Scoring. So nennt man das automatisierte Verfahren, bei dem die Banken anhand von bestimmten Daten des Kunden auf dessen Zahlungsfähigkeit schließen. Beispiele sind Beruf, Familienstand, aber teilweise auch die Wohngegend oder die Staatsangehörigkeit. Kunden mit guter Bonität erhalten günstigere Konditionen als solche mit schlechter Bonität.

Neben der völligen Intransparenz dieses Verfahrens kritisieren die Verbraucherschützer vor allem eines: " Die Resultate, die das Scoring bringt, sind genauso verlässlich wie der Blick in die Kristallkugel", stellte Vzbv-Vorstand Gerd Billen am Mittwoch bei der Präsentation der Testergebnisse in Berlin fest. Banken und Auskunfteien sprächen immer von "wissenschaftlichen Verfahren", doch davon könne keine Rede sein. "Das ist ein einziger Hokuspokus, der da zum Nachteil der Verbraucher veranstaltet wird", sagt Billen.

Scoring ist mittlerweile weit verbreitet. Nicht nur Kreditinstitute arbeiten damit, sondern auch die Telekommunikationsbranche, der Versandhandel oder Versicherungskonzerne. Einige Unternehmen haben ihre eigenen Methoden entwickelt, andere greifen bei Bedarf auf die Dienste von Auskunfteien zurück. Diese haben ihre Erkenntnisse zum Teil durch eigene Recherchen gewonnen, aber auch, indem Verbraucher irgendwo mit einer Kundenkarte bezahlt, ihre Adresse angegeben oder nach einem Kredit gefragt haben.

"Auch jeder, der Zahnersatz will, muss damit rechnen, dass sein Zahnarzt eine Auskunftei befragt und dann entscheidet, ob er Vorkasse verlangt", sagt Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz. Zu den großen Anbietern von Scoring zählen laut Vzbv Unternehmen wie Bürgel, EOS, Infoscore, die Schufa oder Creditreform.

Aufseher eingeschaltet

Die Unternehmen, die mit Scoring arbeiten, behaupten, das Verfahren sei auch für die Verbraucher vorteilhaft. So könnten zum Beispiel Kredite effizienter vergeben und Verträge schneller geschlossen werden. Von den niedrigen Kosten würden letztlich die Kunden profitieren.

Der jetzt abgeschlossene Test der Verbraucherschützer kommt allerdings zu einem völlig anderen Ergebnis: "Wir haben den Eindruck, dass Scoring eine Legitimation für Gewinnmaximierung ist", sagt Dieter Korczak, Geschäftsführer der GP Forschungsgruppe. Die überprüften Banken hätten damit geworben, dass der Kreditzins bei ihnen ab 3,9 Prozent oder im höchstens Fall ab 4,5 Prozent betrage.

Doch in keiner der 82 Stichproben sei diese Kondition tatsächlich auch angeboten worden. "Nach dem Scoring lagen die Zinsen plötzlich zwischen sieben und 15 Prozent", sagt Korczak. Man wolle deshalb die Finanzaufsicht Bafin einschalten. Sie solle überprüfen, ob die Banken nicht mit unzulässigen Lockvogelangeboten geworben hätten.

Scoring ermögliche willkürliches Verhalten, kritisiert Verbraucherschützer Billen. Oftmals wüssten die Kunden weder, dass mit Scoring gearbeitet wurde, noch, welche Daten verwendet oder wie sie gewertet würden. Absurd seien zum Teil auch die Ergebnisse: So könne jemand, der mehrere Kredite aufgenommen und korrekt zurückgezahlt hat, eine sehr gute Note erhalten. Ein anderer, der sich nie verschuldet hat, stehe dagegen allein deshalb schlechter da, weil aussagekräftige Daten über ihn fehlten.

"Scoring ist eine moderne Kopfnote", stellt Datenschützer Schaar fest, "und zwar eine, bei der wir nur das Ergebnis erfahren, aber nicht, wie es zustande gekommen ist." Wichtig sei daher unbedingt, dass der Gesetzgeber für mehr Transparenz sorge und den Betroffenen einen Auskunftsanspruch gewähre.

© SZ vom 24.01.2008/sho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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