Krankenkassen:Das Imperium schlägt zurück

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Die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will den Kassen-Dschungel lichten. Anstatt sieben Einzelorganisationen soll künftig auf Bundesebene nur der Spitzenverband Bund der Krankenkassen wirken. Wie die Verbände um ihre Daseinsberechtigung kämpfen.

Andreas Hoffmann

Doris Pfeiffer hegt einen Schatz, um den sie viele Manager beneiden dürften: ihren Terminkalender. Zum ersten Mal seit Jahren findet die Kassenfunktionärin leere Seiten vor. "Das ist seltsam, wenn der Arbeitstag nicht völlig verplant ist", sagt sie. Doch das terminlose Leben hält nicht an, Doris Pfeiffer, 48, Ökonomin mit Doktortitel, soll die Revolution einleiten - jedenfalls wenn es nach Ulla Schmidt geht.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt: Den Kassen-Dschungel lichten (Foto: Foto: dpa)

Die Gesundheitsministerin will den Kassen-Dschungel lichten. Derzeit widmen sich sieben Einzelorganisationen vom Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) bis zum Verband der Seekasse dem Gesundheitswesen. Künftig soll auf Bundesebene nur der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpiBu) wirken.

Doris Pfeiffer soll ihn aufbauen. Die Vorstandschefin wird dann über einen Brutto-Etat von 32Millionen Euro herrschen und mehr als 130 Leute beschäftigen. Der SpiBu soll den Verbänden Arbeit abnehmen, was nebenbei Ulla Schmidts Macht stärken würde. Bei Gesetzen müsste sie statt mit sieben Verbänden nur mit einem streiten. Es klingt harmlos, wenn sie sagt, dass der neue Verband nur für "mehr Effizienz und weniger Bürokratie" sorgen solle. Die alten Organisationen seien ein Anachronismus.

Der Anachronismus könnte aber lange leben. Im Kampf mit der Politik rüsten die Verbände auf. Schon während der Gespräche über die Gesundheitsreform hatten sie gegen die "bis dato nie vorhandene Machtkonzentration" gewettert, nun wollen sie den SpiBu auf Schleichwegen lahmlegen. Arbeitsgruppen entstehen, Fachleute brüten über die Zukunft.

Hans Jürgen Ahrens, Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, sagt mit Blick auf Ulla Schmidt, manche hätten gedacht, die Spitzenverbände würden künftig keine Rolle mehr spielen: "Doch die Verbände sind lebendiger denn je." Bei der AOK fahnden Funktionäre nach neuer Tätigkeit, dem AOK-Verband könnte ein Drittel seiner Aufgaben verlorengehen und einige Leute auch. Aber Ahrens sagt: "Wir geben niemanden ab."

Ums Überleben kämpft auch der Ersatzkassenverband (VdAK), dem zum Beispiel Barmer oder die DAK angehören. Seit Wochen trifft sich ein "Vorstands-Workshop zur Zukunft des Verbandes". Dort haben die Fachleute aufgelistet, was sie heute alles für ihre Mitglieder tun. Heraus kam eine achtseitige Liste mit 73 Dienstleistungen von der "Betreuung der ersatzkasseninternen Verteilung der Beitragseinzugskostenvergütung" über die "Frequenzstatistik Zahnärzte-Planung" bis hin zur "Füllstandsanzeige Arznei-/Hilfsmittel".

All diese Dienste "sind erforderlich, um die Arbeit insgesamt aufrechtzuerhalten", heißt es in einem Schreiben. Der Appell scheint gewirkt zu haben. Mitte Juli verständigten sich die VdAK-Mitglieder darauf, "eine starke politische Interessenvertretung der Ersatzkassen zu organisieren", wie es in einem internen Papier heißt. Dazu bedürfe es "einer schlagkräftigen Politik/Strategieabteilung und einer effektiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit". Auf seiner Homepage sucht der VdAK bereits Personal, neun Stellen sind offen.

Beschäftigte benötigt auch Doris Pfeiffer. Ihre Büro-Etage in einem Glasbau an der Friedrichstraße ist ein Provisorium. An den Wänden fehlen die Bilder, in den Räumen die Mitarbeiter. Bis zum 1. Juli 2008 soll der Aufbau beendet sein. Am selben Tag bekommt sie in Berlin-Mitte einen Nachbarn. Einige hundert Meter entfernt startet der AOK-Bundesverband seine Arbeit.

© SZ vom 30.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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