Konsequenzen der Hypothekenkrise:Pessimistische Börsenaspiranten

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Die US-Immobilienkrise hat das Emissionsgeschäft beinahe zum Erliegen gebracht, Investoren agieren vorsichtig. Der Hamburger Hafen soll nun ein Signal senden.

Simone Boehringer

Vordergründig scheinen die europäischen Aktienmärkte die Hypothekenkrise in Amerika schon so gut wie verdaut zu haben. Die wichtigsten Börsenbarometer wie Dax und Euro Stoxx 50 notieren längst wieder in der Nähe ihrer Höchststände vom Juli, und prompt melden sich, nach einer weit länger als üblichen Sommerpause, auch wieder ernstzunehmende Börsenkandidaten zu Wort, die dem Publikum erstmals ihre Aktien anbieten wollen: Bei der Solartechnologie-Unternehmen Centrotherm zum Beispiel lief am Donnerstag die Zeichnungsfrist ab.

Der Hersteller von Produktionsanlagen für Solarzellen und Solarsilizium wollte an diesem Freitag die erste Aktienplatzierung im oberen Segment der Deutschen Börse (Prime Standard) seit der Emission des Maschinenbauers Homag Mitte Juli sein (Tabelle).

An der Wiener Börse hat sich für den 19. Oktober mit Strabag einer der führenden europäischen Baukonzerne angekündigt. Voraussichtlicher Emissionserlös: rund 1,3 Milliarden Euro. Anfang November dann will in Deutschland die Hamburger Hafen und Logistik AG folgen.

Größte Aktienemission der zweiten Jahreshälfte

Mit einem erwarteten Volumen von einer Milliarde Euro dürfte dieser Börsengang der größte an deutschen Börsen in der zweiten Jahreshälfte werden. In Frankreich richten sich derweil alle Augen auf ein für den 24. Oktober anvisiertes milliardenschweres Börsendebüt des technischen Prüfkonzerns Bureau Veritas.

Aber es gibt auch eine andere, weniger optimistisch stimmende Seite: Der Finanzdienstleister Hypoport, der für das wenig regulierte Einstiegssegment Entry Standard vorgesehen war, hat Anfang der Woche beschlossen, keine neuen Aktien auszugeben, sondern lediglich die vorhandenen Titel an der Börse listen zu lassen.

"Eine öffentliche Platzierung ist für uns immer unattraktiver geworden, nachdem die Aktienkurse von anderen Finanzdienstleistern im Zuge der Subprime-Krise um bis zu 50 Prozent eingebrochen sind", sagte Vorstandsmitglied Ronald Slabke. Am Mittwoch sagte der Werkzeughändler Lerbs seinen für diesen Freitag vorgesehenen Gang an den Entry Standard wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen zwischen der Firma und den Investoren ebenfalls ab.

Börsengänge im Immobiliensektor schwierig

Auch im Immobiliensektor "sind Börsengänge zur Zeit schwierig nach der sehr schlechten Kursentwicklung nahezu sämtlicher Titel der Branche", sagte Josef Ritter, leitender Aktienemissions-Experte bei der Deutschen Bank. Ursprünglich hatten für dieses Jahr zahlreiche Gesellschaften ein Aktiendebüt in Form eines sogenannten Reits angepeilt.

Ein Gesetz für diese neuen steuerbegünstigten Immobilienfonds war im März verabschiedet worden und hätte mehrere Börsengänge mit Milliardenvolumina nach sich ziehen können. Doch dann kam die amerikanische Hypothekenkrise, die die Risikofreudigkeit vieler Investoren gegen null tendieren ließ.

"Das Emissionsgeschäft ist im zweiten Halbjahr nahezu zum Erliegen gekommen", sagt Ute Gerbaulet, die das Aktienemissionsgeschäft der Commerzbank in Frankfurt leitet. "Die US-Immobilienkrise hat die Märkte verunsichert", attestiert auch Volker Fitzner von Pricewaterhouse-Coopers.

Anleger bestimmen die Preise

Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sind von Juli bis September insgesamt 179 Unternehmen an die Aktienmärkte in Europa gegangen und damit 28 mehr als im Jahr davor - jedoch deutlich weniger als im zweiten Quartal mit 254 Erstemissionen. Die Unternehmen sammelten noch 12,8 Milliarden Euro bei Investoren ein, 22 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2006. An deutsche Börsen wagten sich bis Mitte Juli ganze 20 Firmen. Und ihre Papiere liefen zumeist schlecht. Sogar zweistellige Kursverluste sind schon fast üblich.

"Mittlerweile sind Aktienemissionen zwar wieder machbar, die Investoren sind aber preissensibler geworden", sagt Deutsche-Bank-Experte Ritter. Zwischen fünf und fünfzehn Prozent billiger bekommen Investoren Aktien eines Börsenneulings in der Regel im Vergleich zu einem etablierten Unternehmen, um für das höhere Risiko zu entschädigen, das mit einem Engagement in einen Debütanten gemeinhin verbunden ist.

"Derzeit bestimmen die Anleger die Preise, es sei denn, es handelt sich um einen Wert in einer speziell begehrten Branche", beobachtet auch Neuemissions-Chefin Gerbaulet von der Commerzbank. Die Solartechnikfirma Centrotherm gilt als ein solcher Kandidat, weshalb die meisten Experten diesem Debüt auch nicht unbedingt eine marktentscheidende Bedeutung beimessen.

"Sicherlich beobachten Anleger derzeit jede Emission. Eine echte Signalwirkung dürfte aber am ehesten vom Börsendebüt des Hamburger Hafens ausgehen", sagt Andreas John, der das Thema Börsengänge bei der DZ Bank verantwortet. "Größere Emissionen werden in naher Zukunft tendenziell besser laufen als kleinere, weil Investoren in unsicheren Zeiten immer auf eine größtmögliche Liquidität der Titel aus sind", prognostiziert Ritter von der Deutschen Bank.

Lange Warteschlange

Die Warteschlange möglicher Börsenkandidaten ist dennoch lang, versichern Experten. Neben den Immobilienfirmen harrten vor allem auch viele Beteiligungsgesellschaften der nächsten erfolgreichen Emissionswelle: "Durch die Kreditkrise ist es sehr schwer geworden, Portfolio-Firmen an einen nächsten Finanzinvestor weiterzuverkaufen. Für die Private-Equity-Branche ist daher ein Börsengang wieder eine attraktive Alternative zur Veräußerung von Unternehmen geworden", sagt Ritter.

Darüber, welcher Zeitplan für die Börsenkandidaten in den nächsten Monaten der Richtige ist, sind sich die Fachleute uneins. Einige empfehlen, besser noch in diesem Jahr zu debütieren als im nächsten, falls sich die Konjunkturerwartungen im Zuge der Hypothekenkrise doch noch stärker verschlechtern. Andere, wie Gerbaulet von der Commerzbank, neigen eher zum nächsten Jahr, weil die zweiten Halbjahre für Neulinge bislang häufig die schwierigeren gewesen seien.

Ganz diplomatisch äußert sich DZ-Bank-Vertreter John: "Wir raten Firmen grundsätzlich davon ab, einen Börsengang nur von kurzfristigen Erwägungen am Markt abhängig zu machen." Das gilt auch für Anleger. Wie bei jedem anderen Aktiengeschäft auch sollte Neuemissionen nur zeichnen, wer vom Geschäftsmodell des Kandidaten überzeugt ist.

© SZ vom 12.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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