Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz:Ein Schnellschuss und seine Folgen

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Nach den Skandalen am Neuen Markt haben Tausende Anleger geklagt, ein Gesetz sollte die Justiz entlasten - der Erfolg ist zweifelhaft.

Daniela Kuhr

Wenn Thomas Mahlich das Wort "Kapmug" hört, winkt er genervt ab. "Das war ein Schnellschuss und purer Aktionismus des Gesetzgebers nach dem Ende des Neuen Marktes", sagt der 47-jährige Anwalt.

Auch so mancher Richter äußert Zweifel an der Ausgestaltung des Kapmug. (Foto: Foto: dpa)

"Kapmug" ist die Abkürzung für das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Es ist eine Spätfolge der Skandale an dem früheren Wachstumssegment der Frankfurter Börse.

Eigentlich sollten die neuen Musterverfahren die Klagen von geschädigten Anlegern, die nach dem Börsenboom zeitweise massenhaft bei den Gerichten eingingen, leichter handhabbar machen - für die Kläger, für die Richter und für die Beklagten. "Doch einige Anwälte missbrauchen die neuen Möglichkeiten, um Prozesse zu verschleppen", sagt Mahlich, der Partner bei der Wirtschaftskanzlei Jones Day ist.

Mindestens zehn Anträge

Mahlich kennt sich aus mit Schadensersatzforderungen von Anlegern. Er vertritt Thomas Haffa, den früheren Chef des Medienkonzerns EM.TV, der erst viele Anleger am Neuen Markt steinreich und später viele arm gemacht hat. Seither überziehen Aktionäre Haffa und EM.TV mit Klagen. Auch in diesem Fall haben die Anwälte einiger Kläger ein Musterverfahren beantragt - bislang ohne Erfolg. "Die erforderliche Zahl von zehn Anträgen ist nicht zustande gekommen", sagt Mahlich. Verzögert worden seien die Prozesse dadurch aber allemal.

EM.TV ist nicht die einzige Firma des Neuen Marktes, die den Gerichten viel Arbeit macht. Weitere prominente Fälle sind die Skandalfirmen Infomatec und Comroad. Bei allen drei Aktiengesellschaften wurden die einstigen Vorstände auch strafrechtlich verurteilt: Das Strafmaß reichte von einer Geldstrafe in Millionenhöhe (EM.TV) bis hin zu sieben Jahren Gefängnis für den Comroad-Gründer Bodo Schnabel.

Doch während die strafrechtliche Aufarbeitung längst beendet ist, beschäftigen die zivilrechtlichen Klagen die Gerichte nach wie vor. So seien allein im Fall Haffa nach wie vor etwa 90 Klagen bei den Gerichten anhängig, sagt Mahlich.

Beweislast bei Geschädigten

Wohl kaum ein Kapitel in der deutschen Anlegergeschichte hat so viele Rechtsstreitigkeiten zur Folge gehabt wie der Neue Markt. Enttäuschte Aktionäre haben unzählige Schadensersatzklagen eingereicht. Das Problem dabei: Nach dem deutschen Recht muss grundsätzlich jeder Kläger seinen Fall individuell vertreten.

Wenn es also zum Beispiel um die Frage geht, ob eine Ad-hoc-Mitteilung falsch war (wie es Anleger einigen Firmen am Neuen Markt vorwarfen), dann musste jeder Kläger von Neuem beginnen, die nötigen Beweise vorzulegen. Und da die Fälle vor unterschiedlichen Richtern landeten, musste jeder Richter bei der Klärung der problematischen Frage ganz von vorn anfangen.

Dieser ungeheure Aufwand sollte sich durch das Inkrafttreten des Kapmug erübrigen: Mit dem neuen Musterverfahren sollte ein Kläger - stellvertretend für viele - eine strittige Frage verbindlich klären lassen. Anlass für das Gesetz war neben den massenhaften Schadensersatzforderungen von Anlegern am Neuen Markt auch der Mammutprozess, den 17000 Kläger seit November 2004 gegen die Deutsche Telekom führen und der den Betrieb im Frankfurter Landgericht zeitweise lahmgelegt hat.

Kritik nimmt zu

Doch so positiv die neue Möglichkeit eines Musterverfahrens anfangs auch beurteilt wurde, inzwischen nimmt die Kritik zu, und zwar auf allen Seiten. "Das ist aus meiner Sicht in erster Linie ein Instrument für Anlegeranwälte, um sich zu profilieren", sagt Mahlich, der als Anwalt von Haffa die Interessen eines Beklagten vertritt.

Doch auch der Tübinger Anwalt Andreas Tilp, der sich auf die Vertretung von Kapitalanlegern spezialisiert hat, sieht das Musterverfahren nur als "hyperaktive Kosmetik" des Gesetzgebers an. Einer der diversen Fehler der neuen Vorschriften sei, dass - anders als bei einer Sammelklage nach amerikanischem Recht - nur diejenigen Anleger von einem Musterentscheid profitierten, die selbst geklagt hätten, sagt Tilp.

Zudem müsse die Beweislast anders verteilt werden, da es Klägern oft unmöglich sei, die erforderlichen Beweise zu erbringen. Da der Gesetzgeber das Musterverfahren erst einmal austesten wollte, ist das Kapmug derzeit noch befristet bis Ende Oktober 2010. "Wenn es eine Überlebenschance haben soll, dann muss man es dringend reformieren", sagt Tilp.

Auch bei Gericht stößt das Gesetz zunehmend auf Kritik. So äußert sogar Meinrad Wösthoff, Richter in dem Massenprozess gegen die Telekom und anfangs großer Befürworter des Musterverfahrens, inzwischen Zweifel. "Man wird überlegen müssen, ob man nicht hier und da noch ein wenig nachbessern kann", sagt Wösthoff.

© SZ vom 01.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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