Interview mit Harald Falckenberg:"Die Wurzeln des Neuen kennen"

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Er ist Geschäftsführer von Elaflex und zugleich einer der wichtigsten Sammler zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Die Begeisterung anderer Kunstsammler über "Jagdtrophäen" kann er trotzdem nicht teilen.

Holger Liebs

SZ: Welches Kunstwerk haben Sie zuletzt erworben, und wie viel hat es gekostet? Harald Falckenberg: Zuletzt habe ich eine Foto-Serie des britischen Konzeptkünstlers Victor Burgin gekauft, in der es um den Alltag in Großbritannien geht. Sie hat 50.000 Euro gekostet. Ich möchte meine Sammlung multimedial anlegen, mich nicht nur auf ein künstlerisches Medium konzentrieren. Dennoch liegt der Schwerpunkt meiner Sammlung auf großen Installationen. Vor Burgins Serie habe ich zum Beispiel eine Guantanamo-Zelle von Gregor Schneider gekauft. Die Arbeit kostete 100.000 Euro. Diese Zellen werden handelsüblich in den USA hergestellt und dort in Gefängnissen eingesetzt. Das sind äußerst sparsame Räume, am Rande des Entzugs sinnlicher Wahrnehmung.

Harald Falckenberg, Geschäftsführer seit 1979, passionierter Kunstsammler seit 1994. (Foto: Foto: Isabel Mahns-Techau)

SZ: Warum sammeln Sie Kunst? Falckenberg: Kunst ist all das, was der Alltag nicht ist.Ich habe gelernt zu funktionieren, geschäftlich wie privat. Niemand möchte zu einem unroutinierten Zahnarzt oder zu einem unroutinierten Rechtsanwalt gehen. Als Verbraucher erwartet man einwandfreie Produkte. Die Kunst bietet ein ausgezeichnetes Gegengewicht zu Routinen aller Art. Mein öffentliches Engagement für Kunst und Künstler ermöglicht es mir, einen von mir selbst unabhängigen Beitrag zum besseren Verständnis unserer Gesellschaft zu leisten.

SZ: Wann haben Sie zu sammeln angefangen? Falckenberg: Meine erste Arbeit erwarb ich 1994. Der Markt war damals an einem Tiefpunkt angelangt. Das war mein Vorteil, aber ich habe einen typischen Anfängerfehler gemacht, habe auf bekannte Namen gesetzt wie Warhol, Wesselmann, Richter. Die guten Arbeiten dieser Künstler waren längst vergriffen. Mein Freund, der Künstler Werner Büttner, öffnete mir die Augen für die Gegenwartskunst. Erst sechs Jahre später wagte ich es, mir die Kunst einer jüngeren Generation vorzunehmen. Unbequeme, radikale Kunst.

SZ: Welche Kunst genau? Falckenberg: Meine Sammlung hat drei Schwerpunkte: Erstens amerikanische Künstler um Richard Prince, John Baldessari, Paul McCarthy und Mike Kelley. Zweitens die Deutschen Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner, Georg Herold. Und drittens, eher verspielt und poetisch, Dieter Roth und Öyvind Fahlström. Dann die nächste Generation um Jason Rhoades, Jonathan Meese und John Bock, die auf Werken dieser Künstler aufbaut, und auch Vorläufer, etwa Vito Acconci, Richard Artschwager, die Wiener Aktionisten und den Situationisten Guy Debord. Vor kurzem habe ich eine größere Arbeit von Kelley gekauft.

SZ: Und die war erschwinglich? Kelley gilt als Hochpreiskünstler. Falckenberg: In diesem Fall hatte ich Glück. In den anderthalb Jahren, die es zur Herstellung dieser Arbeit brauchte, hat sich ihr Preis verdreifacht!

SZ: Warum bevorzugen Sie die dunkle Seite der Kunst? Und woher stammt Ihre Kompetenz in diesem Bereich? Falckenberg: Wieso dunkle Seite? Nach dem Anstoß Büttners habe ich mich auf die Kunst der Postmoderne konzentriert, die Zeit nach dem Scheitern der großen Ideen und Systeme, der Künstlerfürsten und Philosophenkünstler. Das war eine Befreiung. Ich sammle also Kunst, die sich dem Zufall, dem Slapstick, der Ironie und dem Sarkasmus verschrieben hat. Ich habe mir dadurch Wissen angeeignet, dass ich im Vorstand des Hamburger Kunstvereins war, dass ich viel lese und schreibe. Mein Interesse gilt der Kunst der Groteske. Dieses Feld wurde von keinem anderen Sammler bearbeitet. Mein Freund Werner Büttner hat mir viele wertvolle Hinweise gegeben. Man sammelt immer in seiner Zeit - das vergessen die meisten. Irgendwann wird die Sammlung zu groß, man wird zu alt, man hat kein Geld mehr ... dann hört das Sammeln auf. Man sammelt immer nur Ausschnitte.

SZ: Aber Ihre Sammlung ist sehr begehrt, Sie werden dauernd um Ausleihen gebeten. Und um Übernahme Ihrer Sammlung. Hamburg und Berlin sind interessiert. Wem wollen Sie sie übereignen? Falckenberg: Das weiß ich noch nicht. Hamburg fühle ich mich natürlich verpflichtet; hier wird etwas passieren. Ich habe die Ausstellungsräume gekauft und lasse sie herrichten. Aber diese Art von Kunst ist immer noch nicht genügend museal verankert. Warum soll eine Sammlung übrigens nur in einem Museum landen? Damit möchte ich fortfahren - obwohl der Schwerpunkt in Hamburg liegt.

SZ: Sie zeigen Ihre Arbeiten in eigenen Räumen. Sie haben in der Phoenix-Kulturstiftung einen Etat von 150.000 Euro. Andere geben Dauerleihgaben an Museen und ziehen sie nach einer Wertsteigerung später wieder ab. Falckenberg: Das entspricht nicht meinem Temperament. Ich habe gerne ein ungezwungen-spielerisches Verhältnis zur Kunst, und das setzt schlagartig aus, wenn man mit Behörden und Politik verhandeln muss. Dort fallen Entscheidungen so langsam und schwerfällig, dass ich das mit meinem Lebensgefühl und -rhythmus nicht vereinbaren kann. Sie kennen das Beispiel des Hamburger Bahnhofs in Berlin, wo ein endloses Gezerre um einige Privatsammlungen zu beobachten ist. Das ist aber nicht nur Schuld einiger übler Charaktere, sondern systembedingt. Wenn man Schenkungen macht, sollten diese fundiert in der Museumssammlung verankert sein. Mir ist aber auch wichtig, mit den Museen gut zusammenzuarbeiten. Ich habe schon Arbeiten ans Museum der bildenden Künste in Leipzig und ans Kölner Museum Ludwig verschenkt, auch an das Museum Louisiana im dänischen Humblebaek und an die Hamburger Kunsthalle.

SZ:Wie geht's denn jetzt weiter mit der Phoenix-Kulturstiftung in Hamburg-Harburg? Falckenberg: Ich habe das Gebäude gekauft und lasse es renovieren. Für April 2008 ist die Eröffnung einer Gemeinschaftsausstellung in der Hamburger Kunsthalle geplant. Es gibt noch keine festen Vereinbarungen, aber dafür habe ich Verständnis. Die heißblütigen Pläne von Sammlern korrespondieren nur schwer mit der langfristigen Planung der Politik für ihre Museen. Das ist noch keine Entscheidung für Hamburg als Standort, aber ein Signal. In meinem neuen Buch sind alle dortigen Aktivitäten aufgeführt. Wichtig ist mir, die Ängste abzubauen, die viele Menschen haben, wenn sie auf Kunstspezialisten treffen. Ich habe auch als Laie angefangen. Glauben Sie mir: Die Kunstwelt baut Begriffe und Künstlernamen fast wie eine Festung um sich herum auf. Doch Kunst sollte nicht schwierig sein.

SZ: Sie haben Jura studiert und arbeiten heute bei der Elaflex GmbH. Falckenberg: Ich bin seit 28 JahrenGeschäftsführer dieses mittelständischen Unternehmens. Wir produzieren Tankstellenzubehör, Zapfpistolen und Schläuche. Gerade in der Juristerei gibt es Gemeinsamkeiten mit der Kunst. Der Jurist und Unternehmer versucht immer herauszufinden, warum ein Fall etwas anders ist als die anderen und deshalb völlig anders entschieden werden muss. Das ist eine genuin künstlerische Denkweise: Auch der Künstler schöpft aus einem Wissensfundus und muss eine Differenz herstellen. In der Kunst gibt es niemals radikal Neues; es zieht seine Kraft immer aus der Unterscheidung zum Alten. Boris Groys nannte das den innovativen Austausch zwischen Neu und Alt. Das ist ein klassisches Denkmodell jedes Unternehmens.

SZ: Wie lebt der Sammler neben einem obszönen Werk von Bjarne Melgaard, neben dem Chaos von John Bock? Wird der Alltag nicht infiziert von dieser Art Kunst?

Falckenberg: Ich identifiziere mich ja nicht mit meiner Kunst. Ich wollte durch das Sammeln ja gerade eine Distanz schaffen zu meinem Leben. Deswegen habe ich auch kein Lieblingswerk im eigentlichen Sinne. Aber eines gefällt mir dann doch besonders gut, das "Piece No. 13" vom Fluxuskünstler Arthur Köpcke. Darin heißt es: "Mach das Fenster auf und halt 'ne Rede. Ist die Rede schlecht, mach das Fenster wieder zu und probier's noch mal an einem anderen Fenster." Es gibt Sammler, die begeistert sind von ihren Jagdtrophäen. Ich kann diese Begeisterung nicht teilen. Ich kann mich auch wieder von Werken trennen.

SZ: Wie sieht die Zukunft Ihrer Sammlung aus? Falckenberg: Ich gehe 2008 in den Ruhestand, dann wird die Sammung konzentriert. Die Kunst ist sehr schnelllebig - meine Sammlung war fünf, sechs Jahre lang eine der fortschrittlichsten. Bald wird sie es nicht mehr sein. Nur wenige Sammlungen sind auf der Höhe ihrer Zeit. Ingvild Goetz etwa, die Rubells oder Thomas Olbricht tun sich hier hervor. Für mich muss das Neue immer eine Bindung zum Alten haben. Gerade das Grotesk-Satirische eines Kippenberger hat eine jahrhundertalte Tradition. Damit verbinden sich auch die tieferen Lebensfragen. Eine Lichtgestalt wie Sigmund Freud versuchte wie ein Archäologe in der Vergangenheit der Seele zu wühlen, aber er tat das mit Blick nach vorne. Es gilt, etwas Neues zu schaffen. Aber man muss die Wurzeln dieses Neuen kennen.

Zum zweiten Mal verleihen der Bundesverband der Deutschen Industrie und seine Partner Süddeutsche Zeitung und Handelsblatt in diesem Jahr den Deutschen Kulturförderpreis. Informationen zum Wettbewerb unter www.kulturkreis.org.

© SZ vom 25.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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