"ideal house cologne":Vom Blob zur Kiste und zurück

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Lego-Häuser und Läuterungszellen: Die Kölner Möbelmesse sucht das ideale Haus - vergebens.

Holger Liebs

(SZ vom 17.01.2003) Irgendwann geht es im so genannten Leben nur noch um die Frage, wann man endlich wieder unter die Dusche kommt. Dann, wenn man sich nicht nur Reinigung, sondern vor allem Läuterung, innere Einkehr und irgendwie immer auch die Neuformatierung der eigenen, mit überflüssigen Dateien zugemüllten Festplatte erhofft - dann fangen die Probleme eigentlich erst an.

Rot sind beide Ideal-Häuser verpackt. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Denn der ausgeleierte Temperaturregler, der Wasserstrahl, der immer - immer! - falsch dosiert ist, die ganze hellbraun geflieste Tristesse des deutschen Durchschnittsbadezimmers: all das macht einem klar, dass es mit der mental dringend benötigten Läuterung nicht so weit her sein kann. Weil es die ideale Behausung für die tägliche Katharsis eben nur in der Fiktion gibt.

Design der Zukunft

Immerhin gibt es wenigstens Menschen wie den Berliner Designer Jochen Schmiddem, die den vermutlich notwendigen Umweg über die Utopie gehen, die ihrerseits dann tatsächlich manchmal aus der Zukunft in die Gegenwart zurückstrahlt, ins wirkliche Leben. Wie beispielsweise Schmiddems futuristische Dusch-Vision "Pharo Cocoon", eine schimmernde High-Tech-Blase, die von Steven Spielberg sofort in Tom Cruise' Traum-Appartement im Film "Minority Report" integriert wurde - und die in etwa so aussieht, als wäre das Gesicht aus Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei" mit einem Astronautenhelm gepaart worden: Schmiddems Design-Hybrid aus Mutterbauchhöhle und Raumschiffinterieur wurde mittlerweile mehrfach mit Design-Preisen ausgezeichnet, und so ist es nicht ganz ohne Gewicht, dass Schmiddem kürzlich zu Protokoll gab, das Design der Zukunft sei immer genau das Gegenteil von dem, was gerade auf der Kölner Möbelmesse gezeigt werde.

Italiener bleiben fern

Das ist vielleicht ein wenig gemein, denn es ist ja nicht wirklich so, dass eine Möbelmesse gewöhnlich wie ein Think Tank für die Wohn-Avantgarde funktioniert. Blaugrüne Duftkerzen, neobarock geschwungene Ledersessel oder knorrige Tisch-Ungetüme im Safari-Look spiegeln nun mal eher den Mainstream der Nachfrage als die Speerspitze des Angebots.

Aber da auch Schnörkelliebhaber oder Esoterik-Fraktionäre immer weniger Möbel kaufen - um stattliche zehn Prozent ging der Branchenumsatz 2002 zurück -, musste sich die Kölner Möbelmesse in diesem Jahr etwas einfallen lassen. Da ist, erstens, der neue Name, "imm cologne", der eine

Internationalität suggeriert, die gerade die diesmal ferngebliebenen italienischen Hersteller Lügen strafen.

Über zwei rote Kisten

Und weil hehre Ideale in Zeiten der Rezession eben einfach attraktiver sind als die schnöde Wirklichkeit - kostengünstiger sind sie ohnehin -, stehen jetzt zwei garagengroße, rote Kisten in den Kölner Messehallen: zwei Varianten einer Behauptung, nämlich der, dass es das "ideal house" wirklich gebe.

Krank im Kopf

Wo eine Behauptung ist, ist natürlich auch ihr Dementi nicht weit. Wohnvisionen, Ideale gar, sind immer auch zerbrechliche Kopfgeburten; das Hineinzerren ins Hier und Jetzt macht sie blass und krank, sie werden klein und verschwinden. So auch geschehen bei den Wohn-Modellen von Konstantin Grcic und Karim Rashid.

Ein Regallager

Wobei der Münchner Grcic sich der Aufgabe von sich aus geschickt entzogen hat: Er entwarf keine Behausung, sondern ein Konzept: eine Art Regallager, ein Metallschacht, in dem verschiedenste Möbel-Preziosen von Philippe Starck bis Dieter Rams versammelt sind. Eine zwiespältige Hommage: Nimmt die Stapelware den VIP-Entwürfen doch gerade die Einzigartigkeit, die sie in die Klassiker-Warteschleife gebracht hat. Aber wohnen, nein: wohnen kann man hier auch nicht.

Ein Raumschiff

Grcics Kiste kontert Rashid, ein Großmogul des intra-uterinen Blob-Designs, mit der üblichen entwerferischen Abrundungs-Hysterie, die ihre Inspiration aus Bienenstöcken, Fischschwärmen oder Flügeltieren aller Art bezieht. Leider ist sein aus diversen Wohn-Inseln, Plastik-Kammern und Gucklöchern bestehendes Ideal-Raumschiff so lieblos und schreiend bunt geraten, dass es eher an die schleimigen panic rooms der horriblen Geburtsszenen aus dem Science-Fiction "Matrix" erinnert als an eine schwerelose Idealexistenz.

Eine gute Alternative

Man möchte am liebsten einen dieser Messe-Tretroller entwenden und wie andere hurtige Design-Nomaden weitersausen - vielleicht bis zum Stand Nils Holger Moormanns, der auch sehr irdische Probleme hat: Er führt seit geraumer Zeit einen Rechtsstreit mit Ikea - wegen des Copyrights für das Billy-Regal. Moormanns Vorschlag auf der "imm" heißt "Billy Clever" und ist eine echte Konkurrenz für die schwedische Bastelanstalt: Das Regal lässt sich werkzeugfrei binnen Sekunden zusammenbauen - und ist nahezu bombenfest. Auch ein Ideal: Lebenszeit sparen.

Rettung im Museum

Die andere Alternative ist, ganz auf Ideale zu verzichten, die ohnehin nie erreicht werden - wie etwa der Anti-Perfektionist Ettore Sottsass, dem das Kölner Museum für Angewandte Kunst anlässlich der "imm" eine Einzelschau widmet. Sottsass gebührt das Verdienst, die reformerischen Wohn-Utopien der internationalen Bauhaus-Elite über Bord geworfen und sie mit der Design-Gruppe "Memphis" durch postmoderne - nein, nicht Beliebigkeit, sondern: Ironie ersetzt zu haben. Berühmt seine quietschrote Schreibmaschine "Valentina", der von leuchtenden Kunststoffwellen gerahmte Spiegel "Ultrafragola", das Regal "Carlton", das aussieht wie eine bunte Gottesanbeterin - und die zahlreichen Bauten, von denen das MAK 26 Modelle zeigt: eine purifizierte Lego-Welt, die gerade durch ihre spielerische Distanz zu luftleeren Idealräumen Platz zum Träumen schafft.

Man kann natürlich weitersuchen, etwa auf dem Kölner Ausstellungsparcours "Passagen". Auch dort findet man Reinigungs- und Läuterungskanäle, etwa von Mike Meiré bei fiedler contemporary. Aber sind sie mehr als Tunnels, die in die Ratlosigkeit enttäuschter Weltenflucht führen?

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