"Ich vermisse nichts":Die Legende von der familienfeindlichen Stadt

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Der Münchener Architekt Andreas Hild lebt mit Frau und fünf Kindern in einer Stadtwohnung an der Münchener Leopoldstraße. Ein Haus im Grünen kommt für ihn nicht in Frage.

Interview: Katharina Mütter

Auch in der Umgebung des "Walking Man" auf der Leopoldstraße lässt es sich mit kindern gut leben. (Foto: Foto: dpa)

Andreas Hild ist Architekt in München. Mit seinen Mitarbeitern plant er momentan das Münchner St.-Anna-Kloster zu Wohnungen um. Die größte wird 200 Quadratmeter groß sein, das sind 60 mehr, als er mit seiner siebenköpfigen Familie über den Büroräumen in Schwabing zur Verfügung hat.

SZ: War das Jugendamt schon da?

Andreas Hild: Wie bitte?

SZ: Sie haben fünf Kinder, ihr jüngstes ist drei, ihr ältestes ist 13 Jahre alt. Und Sie leben mitten in der Stadt, mit Blick auf die Leopoldstraße, in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung ohne Garten. Es gibt viele, die halten das für unverantwortlich und ziehen schon mit einem Kind raus ins Grüne...

Hild: Stimmt, der Topos Einfamilienhaus besitzt immer noch eine ungeheure Kraft, obwohl schon der Besuch bei der Oma in so einem Viertel zeigt, wie traurig es in diesen Siedlungen rund um die Stadt ist, die oft überhaupt keine ländliche Idylle bieten - geschweige denn ein vielfältiges Angebot, egal ob für junge Familien oder Menschen, bei denen die Kinder bereits ausgezogen sind.

SZ: Sie leben also nicht notgedrungen hier zwischen Autoverkehr, Passantenströmen und Geschäftslärm?

Hild: Natürlich nicht, ich lebe hier schon fast so lange, wie ich in München bin, meine Frau zog zu mir, dann kamen die Kinder und von Zeit zu Zeit mieteten wir ein wenig Raum dazu.

SZ: Wie muss man sich das vorstellen, mit fünf Kindern?

Hild: Wir wohnen im vierten Stock ohne Aufzug, es ist also relativ aufwändig, ,,mal eben kurz'' nach draußen zu gehen. Wir brauchten daher einen zentralen Raum in der Wohnung, in dem sich das Leben abspielen kann. Das größte Zimmer haben wir zur Küche umgeplant, sie ist gut 40 Quadratmeter groß. Und unser Esstisch ist drei Meter lang, bietet also ausreichend Platz für die Familie und Freunde. Ein Wohnzimmer können wir uns schenken, meine Frau hat ein Arbeitszimmer und ansonsten gibt es zwei Kinder- und ein Elternschlafzimmer.

SZ: Was vermissen Sie?

Hild: Eigentlich gar nichts. Eine Dachterrasse wäre schön, stimmt. Aber ansonsten habe ich die Wahl zwischen sieben Italienern. Wenn ich Hunger habe, kann ich um kurz vor 20 Uhr noch einkaufen, meine Kinder gehen allein ins Kino, sind schnell in der Schule und bei Freunden. Und bei der WM hatten wir auf unserem - zugegebenermaßen - sehr kleinen Balkon die besten Plätze! Meine Familie würde mich kaum sehen, wenn mein Büro in der Stadt wäre und wir auf dem Land wohnen würden. Natürlich finden meine Kinder auch das Melken auf dem Bauernhof toll. Doch wenn die Kinder des Bauern vom Heuen erzählen, dann erklären meine Kinder ihnen halt das Rolltreppefahren. Das Leben in der Stadt ist anders, schlechter ist es nicht für Kinder.

SZ: Und für Eltern?

Hild: Sicher ist es hier oft anstrengender, den Alltag zu bewältigen. Doch glauben Sie mir, es ist auch anregender.

© SZ vom 15.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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