Hypo Real Estate:Die Nacht der Abrechnung

Lesezeit: 5 min

Wie der Kollaps einer Bank und des deutschen Finanzsystems in letzter Sekunde abgewendet wurde.

G. Bohsem, M. Hesse, S. Höll, P. Blechschmidt und N. Fried

Es ist kurz nach zwölf Uhr an diesem Montag in Berlin, als Torsten Albig, der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, diese Worte sagt: "Ja, wir sind in einer Krise." Sie sind nicht mehr als eine Vergewisserung, eine nüchterne Beschreibung des Orkans, der am Wochenende auf dem deutschen Finanzmarkt gewütet hat. Sie sind gewissermaßen der regierungsamtliche Beleg dafür, dass die gesamte deutsche Finanzwirtschaft am vergangenen Wochenende kurz vor dem totalen Zusammenbruch stand, dass die amerikanische Finanzmarktkrise endgültig in Deutschland angekommen ist.

Von der Finanzkrise voll erwischt: der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate. (Foto: Foto: ddp)

Nur wenig mehr als zehn Stunden vorher stand eines der größten Finanzinstitute der Republik vor der Schließung, die Hypo Real Estate (HRE) mit Sitz in München. Eine Bank, die so groß ist wie die Mitte September Pleite gegangene US-Investmentbank Lehman Brothers. Sie ist etwa achtmal so groß wie die ins Trudeln geratene Mittelstandsbank IKB.

Nur kurz vor knapp wurde die HRE gerettet, mit der Unterstützung anderer Banken, vor allem aber mit Mitteln aus den Kassen des Staats. Der Bund muss eine Bürgschaft von 26,6 Milliarden Euro übernehmen, damit die Hypo Real Estate weiter arbeiten kann und damit ihr die anderen Banken Geld leihen. Geld, das das Institut dringend braucht, um seine laufenden Geschäfte finanzieren zu können.

Um die Dramatik der Rettungsaktion zu erfassen, muss man sich an den vergangenen Donnerstag erinnern. Die Spitzen der deutschen Bankenbranche trafen sich mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, um die Lage zu beraten. Die Stimmung war nach Angaben von Teilnehmern nicht gelöst, aber auch nicht angespannt. Steinbrück hatte zuvor in einer Regierungserklärung vor dem Parlament versichert, dass die deutsche Bankenlandschaft nicht so stark von der Finanzmarktkrise betroffen sei wie die amerikanische. Er betonte dem Parlament und den Bürgern gegenüber, dass ihre Einlagen sicher seien, trotz all der Turbulenzen, die den Finanzmarkt in den Wochen davor erfasst hatten. Immerhin war kurz zuvor die halbe Wall Street untergegangen, und das Geschäftsmodell der Investmentbank hatte sich ein für allemal erledigt. "Die Welt wird nicht mehr so sein wie vor dieser Krise", sagte der Finanzminister und prophezeite, dass die amerikanische Hochfinanz ihre dominante Rolle verlieren werde. Das deutsche System der Universalbanken, wo die Institute eben auch über Einlagen verfügten, habe sich als deutlich robuster erwiesen als das amerikanische Modell.

Schon einige Zeit unter Beobachtung

Ernster wurde der Ton, als Steinbrück nach dem Treffen in der großen Runde noch in kleinerem Kreis weiter diskutierte - mit den Chefs der Deutschen Bank und der Commerzbank, Josef Ackermann und Martin Blessing, mit Bundesbankpräsident Axel Weber und dem Chef der Finanzaufsicht, Jochen Sanio. In dieser Runde, so wird aus Finanzkreisen berichtet, sei das Thema HRE angeschnitten worden. Insbesondere die Bankenvorstände hätten den Minister darauf hingewiesen, dass sich da womöglich etwas zusammenbraute. Die Aussagen trafen Steinbrück nicht unvorbereitet. Sein Ministerium beobachtete zu diesem Zeitpunkt die Lage bei der HRE schon seit etwa zwei Wochen.

An diesem Donnerstag war die Lage an den Finanzmärkten schlecht, am Freitag darauf war sie noch schlechter. Wider ersten Meldungen waren die Verhandlungen über das Rettungspaket gescheitert, mit dem die US-Regierung den dortigen Banken faule Kredite von bis zu 700 Milliarden Euro Dollar abnehmen wollte. Am Nachmittag dann gab es eine erste Krisenbesprechung über die HRE. Daran nahmen nach Angaben aus Finanzkreisen wiederum Sanio, Weber und auch der Chef des Bankenverbands, Klaus Peter Müller, teil. Zugeschaltet war auch Steinbrücks für die Finanzmärkte zuständiger Staatssekretär Jörg Asmussen.

Weil die HRE-Tochter Depfa langfristige Verpflichtungen im großen Stil kurzfristig finanziert hatte, spitzte sich auch die Lage bei der HRE zu. Es waren länger laufende Kredite mit einem anderen bedient worden, die nur wenige Wochen oder sogar nur einen Tag lang laufen. Das geht normalerweise solange gut, wie der Markt ausreichend Geld zur Verfügung stellt. Doch schon am Freitag zeichnete sich ab: Genau dieses Geld ist nicht da. Infolge der Finanzmarktkrise war kaum eine Bank bereit, der anderen etwas zu leihen.

Lesen Sie weiter, was Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück wichtig war.

Steinbrück setzte Asmussen als Krisenmanager ein. Den ganzen Samstag verhandelte der Staatssekretär mit der HRE, mit den anderen Banken, mit der Bundesbank und mit Sanio. Am Sonntag dann setzte sich Asmussen in ein Flugzeug nach Frankfurt, um die Verhandlungen persönlich fortzusetzen. Sie dauerten bis tief in die Nacht. In der Zwischenzeit ging es auch in anderen europäischen Ländern hoch her. Die belgisch-niederländische Finanzgruppe Fortis wurde aufgeteilt und teilweise verstaatlicht. Die britische Regierung kaufte den Hypothekenfinanzierer Bradford and Bingley.

In Frankfurt forderten die Banken nach Angaben aus der Regierung ähnliches. Der Staat müsse HRE komplett übernehmen müsse, um den Finanzmarkt vor dem Zusammenbruch zu retten. Asmussen weigerte sich. Immer wieder telefonierte er mit Steinbrück. Dieser stand im ständigen Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel. Auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet sei konsultiert worden, ebenso wie die Regierungen in Großbritannien und in Frankreich. Es sei Steinbrück und Merkel wichtig gewesen, die Position der staatlichen Stellen genau abzustimmen und abzufragen, heißt es in Regierungskreisen. Nur weil alle der Meinung gewesen seien, ein Zusammenbruch der HRE stelle eine Bedrohung für das gesamte Finanzmarktsystem in Deutschland und womöglich in Europa dar, hätten der stellvertretende SPD-Vorsitzende und die CDU-Chefin schließlich für ein Einspringen des Staats votiert. Doch damit waren die Verhandlungen nicht beendet.

Die Entscheidung vermitteln

Den Vertretern der Bundesregierung kam es darauf an, die Rettung für die Anteilseigner der HRE und auch für die anderen Banken so teuer wie möglich zu machen. Deshalb pochten sie darauf, dass sich die Institute maßgeblich an der Geldspritze beteiligen und auch einen Teil der Bürgschaft mit übernehmen. Die Verhandlungen wurden mehrmals unterbrochen und standen kurz vor dem Abbruch. Erst um halb zwei in der Nacht sei es zu einem Ergebnis gekommen. In letzter Sekunde - BaFin-Chef Sanio hätte die HRE dicht machen müssen, bevor die Börse in Tokio öffnete, sprich um zwei Uhr.

Dann ging es in Berlin vor allem darum, die Entscheidung den Parteien und dem Parlament beizubringen. Noch in der Nacht wurden die Partei- und Fraktionschefs zu einer telefonischen Schaltkonferenz mit Merkel und Steinbrück eingeladen, die am Montag gegen 8.30 Uhr begann. Steinbrück verteidigte die Rettungsaktion. "Das ganze Land hätte großen Schaden genommen", beschrieb er die Alternative nach Angaben aus seinem Umfeld. Zahlreiche deutsche Landesbanken und Sparkassen hätten in Bedrängnis geraten können, und der deutsche Finanzmarkt wäre in eine schwere Krise geraten.

Auch bei einer Sitzung des Präsidiums der SPD habe Peer Steinbrück die Lage als äußerst schwierig geschildert, sagten Teilnehmer der Sitzung. Zugleich habe Steinbrück sich aber überzeugt gezeigt, dass die Lage in Deutschland unter Kontrolle sei. "Er hat den Eindruck erweckt, dass man das alles im Griff behalten kann", hieß es. Auch habe der Minister darauf verwiesen, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit sachlich über die Lage informieren müsse, um Aufregung oder Panik bei Sparern und Kleinanlegern zu verhindern. Die Kommunikation nach außen sei sehr wichtig, zitierten Teilnehmer aus dem Vortrag Steinbrücks.

Hier kam es indes zu einer Panne. Sein Ministerium hatte zunächst davon gesprochen, die HRE müsse abgewickelt werden, was von dem Institut dementiert wurde - und was sein Sprecher nachher korrigieren musste.

© SZ vom 30.09.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: