Höhen und Tiefen:Viele Anleger verpassen die Hausse

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Der Dax beendet das vierte Jahre in Folge mit einem Gewinn. Im nächsten Jahr könnte das allerdings anders aussehen.

Simone Boehringer

Der Dax beendet das vierte Jahre in Folge mit einem Gewinn. Wer Anfang des Jahres Geld in deutsche Aktien anlegte, kann sich im Schnitt über ein Kursplus von mehr als zwanzig Prozent freuen. Für das nächste Jahr trauen die Experten den Börsen nicht mehr so viel zu.

Angst vor fallenden Börsenkursen (Foto: Foto: ap)

Michael Frenzel steht mächtig unter Druck. In Zeiten haussierender Börsen muss sich der Vorstandsvorsitzende der TUI dafür rechtfertigen, warum ausgerechnet die Aktie von Europas größtem Touristik- und Schifffahrtskonzern im Dax der mit Abstand größte Verlierer des abgelaufenen Aktienjahres ist.

Insgesamt haben mit TUI, Adidas und Deutscher Telekom nur drei von 30 Aktien aus der ersten Börsenliga das Jahr mit Kursverlusten beendet.

TUI ist damit auch ein Beispiel dafür, dass es selbst in guten Zeiten am Aktienmarkt auf die richtige Auswahl der Titel ankommt. Das sogenannte Stock-Picking werde wichtiger, schreiben auch die Anlagestrategen großer Banken derzeit gerne in ihre Marktausblicke für 2007.

Rekordwerte noch nicht erreicht

Sie haben dabei allerdings im Hinterkopf, dass mögliche Kunden möglichst in ihre Filialen kommen sollen, um sich diese oder jene Auswahl erläutern und verkaufen zu lassen. Im kommenden Jahr könnte dieser Ansatz allerdings eine besondere Relevanz bekommen.

Der Dax hat zwar noch nicht seine Rekordwerte aus dem Jahr 2000 erreicht, doch nach vier Jahren satter Kursgewinne in Folge wächst die Angst, dass sich die Hausse 2007 dem Ende nähern könnte. Und den richtigen Ausstiegszeitpunkt will keiner verpassen.

Ein Problem dabei: Viele Investoren, allen voran Privatanleger, haben das Gros der bisherigen Aktienhausse in Deutschland verpasst und könnten angesichts der derzeit kursierenden rosigen Konjunkturprognosen eventuell noch (zu) spät einsteigen.

Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) in Frankfurt, das sich der Förderung der Aktienkultur verschrieben hat, sieht mit wachsender Sorge, dass sich die meisten Anleger "prozyklisch verhalten", wie DAI-Experte Franz-Josef Leven es nennt. "

Rückgang der Aktionärszahlen

Die höchsten Aktionärszahlen gab es mit knapp 13 Millionen im Jahr 2001, also just zu dem Zeitpunkt, in dem die Kurse fielen - nach fünf Jahren Hausse in Folge", stellt Leven fest. Im abgelaufenen Aktienjahr, das der Dax mit einem satten Plus beendet hat, ist die Zahl der Aktionäre weiter zurückgegangen, auf zuletzt knapp zehn Millionen.

Dabei hätten sie - mit Ausnahme einer Korrekturphase im Mai, als der Dax 14 Prozent verlor - mit den meisten Standardwerten sehr gut gelegen. Spitzenreiter im Dax war die Aktie des Stahlriesen Thyssen-Krupp, deren Kurs sich binnen Jahresfrist mehr als verdoppelte. Das Unternehmen profitierte vor allem von der gestiegenen Nachfrage nach Metallen aller Art, insbesondere nach hochwertigem Stahl.

Zu den Dax-Gewinnern gehörten auch die Titel von Europas führendem Autokonzern Volkswagen. Nach Jahren der Krise griff bei den Wolfsburgern zum einen ein ausgeklügeltes Sanierungsprogramm. Zum anderen beflügelte der Einstieg von Porsche die Phantasie der Investoren.

Zu den positiven Überraschungen gehören auch die Papiere der Deutschen Lufthansa sowie von Deutscher Börse und MAN, die um wenigstens die Hälfte oder mehr zulegten.

Alle drei Werte profitierten dabei auch von Fusionsphantasien. So verkündigte Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber neben hohen Gewinnen wiederholt, an der in der Branche anstehenden Konsolidierung "aktiv mitmischen" zu wollen.

Geringes Jahresplus

Der Maschinen- und Nutzfahrzeugkonzern MAN könnte sich zu neuer Größe aufschwingen, wenn die angekündigte Übernahme des Konkurrenten Scania klappt. Von einem solchen Schritt würde im Übrigen auch der VW-Konzern profitieren, der an beiden Firmen beteiligt ist.

Einen Sonderfall stellt die Aktie der Deutschen Börse dar. Zuerst beflügelte die Idee einer Fusion mit Euronext den Kurs. Doch als im November endgültig klar war, dass die Mehrländerbörse dem Mitbieter New York Stock Exchange den Vorzug gibt, fiel der Kurs nur kurzfristig, um seitdem um mehr als zehn Prozent auf ein Rekordhoch zu steigen.

Für 2007 rechnet das Gros der Analysten nach einem Jahr des Gewinnwachstums im zweistelligen Prozentbereich bei den meisten Unternehmen nur noch mit einstelligen Zuwächsen. Zwischen rund sechs Prozent allgemein für europäische Konzerne und acht bis neun Prozent für deutsche und US-amerikanische Unternehmen liegen die durchschnittlichen Schätzungen.

Zwar hat die derzeitige Konjunkturlokomotive China für 2007 wieder ein Wirtschaftswachstum nahe zehn Prozent angekündigt; aber in den Vereinigten Staaten, nach wie vor Taktgeber der westlichen Volkswirtschaften, hängt die Perspektive davon ab, ob der zuletzt stark kreditfinanzierte Wirtschaftsboom langsam abebbt oder gar eine Rezession folgt.

Nach einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung unter 400 Finanzmarktbeobachtern aus Banken, Versicherungen und der Industrie dürften diese Aussichten gerade ausreichen, um den Dax noch auf rund 6700 Punkte zu hieven. Das wäre ein Jahresplus von nicht mal fünf Prozent.

Zunehmend defensive Branchen

Diverse spezifischere Befragungen, etwa nur unter Experten von Banken, hatten allerdings deutlich höhere Prognosen von teils weit mehr als 7000 Zählern zum Ergebnis. Unabhängig vom genauen Kursziel sehen viele Beobachter einen hohen Absicherungsbedarf im neuen Jahr.

Deshalb finden sich zunehmend Titel defensiver Branchen auf den Empfehlungslisten: Versorger-, Chemie-, Infrastruktur- und Grundstoffwerte und vereinzelt Versicherer. Bankaktien dürften nur dann gut laufen, wenn Emissions- und Übernahmemärkte weiter boomen, denn das ist für viele Geldhäuser das lukrativste Geschäft.

© SZ vom 30.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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