Haustausch:Das Heimspiel

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Statt Hotel: Eine Familie aus München tauscht im Urlaub ihr Haus mit einer Familie aus York - ein Erfahrungsbericht.

Birgitt von Maltzahn

Da ist zum Beispiel das Erlebnis mit der elektrischen Sicherung. Nie hätten wir erfahren, dass man sich in den alten englischen Häusern die Sicherungen mit Hilfe von Draht in verschiedenen Stärken selber basteln muss, wenn wir nicht für zwei Wochen zu Bewohnern einer Doppelhaushälfte in York, Nordengland, geworden wären. In derselben Zeit bewohnte eine fünfköpfige englische Familie unser Haus in München.

Die Münchner Familie vor ihrem Haus. (Foto: Foto: privat)

Wir hatten uns die Sache mit dem Haustausch lange überlegt und sind immer wieder vor der Vorstellung zurückgeschreckt, dass da fremde Menschen in unseren Betten schlafen, unsere CDs hören und sich wer weiß wie benehmen werden. Aber eine schöne, große Ferienwohnung in guter Lage ist teuer und verfügt selten über die notwendige Infrastruktur mit Spielen, Videorecorder, Internetanschluss und Musikauswahl. Unerlässlich, wenn man mit zwei Teenager-Töchtern reist und die Ferien auch bei Regenwetter angenehm bleiben sollen. Ganz abgesehen von Spül- und Waschmaschine sowie der grundlegenden Küchenausstattung.

Da ist es dann auch nahe liegend, sein in dieser Hinsicht gut ausgestattetes Haus mit einer anderen Familie zu tauschen. So landet man eben nicht in einer Touristenanlage, sondern erlebt das Land ganz authentisch.

Von der Möglichkeit, über eine Agentur einen Tauschpartner zu finden, hatten uns Freunde erzählt. Die Überlegung, eine Menge Geld zu sparen und das eigene Haus samt Garten betreut zu wissen, ließ uns dann doch mutig werden. Über die internationale Organisation "homelink" kann man sein Heim für 135 Euro mit Foto ein Jahr lang im Internet anbieten und gleichzeitig selbst mögliche Urlaubsfamilien anschreiben.

Wenn nur die Anreise als Sonderausgabe ins Gewicht fällt, kommen auf einmal ganz neue Ziele in Frage. Soll man den Sommer in Kanada verbringen oder in Australien oder doch lieber in Frankreich? Selbstverständlich warten nicht alle 13.150 Tauschpartner nur darauf, den Sommer ausgerechnet in unserem Haus in München-Pasing zu verleben.

Die Bewerbungstour ist mühsam. Gerade mal auf jede zweite Anfrage gibt es überhaupt eine Antwort, in der Regel eine freundliche Absage. Und wie überall sonst auch ist das, was man leicht bekommt, schon von vornherein nicht mehr ganz so begehrt.

Wer bei uns anfragt, wird überaus kritisch geprüft und die meisten der Bewerbungen verwerfen wir schnell wieder. Zu klein, zu weit weg vom Meer, spießige Einrichtung, irgendetwas findet sich schnell. Damit geht die Zeit ins Land, und plötzlich muss man sein Inserat immer wieder in die Hotlist setzen lassen, für diejenigen, die ganz dringend im Sommer noch ein Ziel suchen. In dieser Liste steht auch der Hilferuf aus York. Die eigentlichen Tauschpartner seien kurzfristig krank geworden, und man suche dringend nach einer Alternative.

York, diese mittelalterliche Stadt in Nordengland, mit ihrer berühmten Kathedrale, einer fast vollständigen Stadtmauer, das klingt so gut, dass die letzten Bedenken schwinden. Allerdings ist der Weg dorthin weit, und man muss sich auch auf einen Autotausch einlassen. Die englische Familie, Eltern samt drei Mädchen zwischen 9 und 13 Jahren, hat im Familienrat befunden, dass die Idee, nach München zu kommen "very good and exciting" sei. Auf den Autotausch stellen sie sich auch spontan ein.

Wir schicken per E-Mail Fotos von den Häusern, den Zimmern und den Autos hin und her. Dass wir ganz vergessen haben, uns selbst per Bild vorzustellen, merken wir erst am Flughafen in London-Stansted. Doch wir erkennen die Tauschfamilie sofort. Zwei Erwachsene, drei Mädchen, das müssen die Latchfords sein.

Die Yorker Familie vor ihrem Haus. (Foto: Foto: privat)

Alle Bedenken, was das wohl für Leute sein mögen, sind passé, auch wenn nicht viel Zeit bleibt, miteinander zu reden, denn im Sturmschritt geleitet uns Gary zum Auto, damit wir Parkgebühren sparen. Dabei betont er unentwegt, alles sei "very easy and without any problem". Die Latchfords haben ja bereits Tauscherfahrung und sind entsprechend zuversichtlich, dass alles gut gehen wird. Davon lassen wir uns anstecken.

Doch bevor der Urlaub überhaupt beginnen konnte, musste dann doch mehr vorbereitet werden als bei einer normalen Reise. Die Gäste sollten ein sauberes Haus vorfinden, also wurden Fenster geputzt, der Staubsaugerbeutel gewechselt, die Kaffeemaschine entkalkt, der Keller ausgemistet, die Betten frisch bezogen, Informationen über Einkaufsmöglichkeiten, das öffentliche Verkehrssystem und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung zusammengestellt und ein paar Lebensmittel zur Begrüßung eingekauft.

Weil beide Familien jeweils am selben Tag anreisen, kreuzen sich die Wege am Flughafen zur Schlüsselübergabe. Dann fahren wir mit einem Volvo mit ungewohnter Automatic-Schaltung 180 Meilen (rund 300 Kilometer) in Richtung Norden, nach York. Das klappt ganz gut, nur ein Seitenspiegel muss dran glauben. Irgendwie erscheinen einem die Abmessungen bei Linksverkehr dann doch ziemlich anders. Die armen Engländer haben es noch schwerer: Sie müssen im Rechtsverkehr mit ungewohnter Gangschaltung ihren Weg durch die Großstadt finden. Weil sie sich dabei natürlich verfahren haben, konnten sie gleich feststellen, dass die Münchner recht hilfsbereit sind.

Und dann das fremde Haus: Die Einrichtung unseres kleinen Backstein-Doppelhauses ist sehr englisch; hellgelbe und rosa Zimmer, Dielenboden, überall Gardinen und viele Kissen auf den Sofas. In den Immobilienangeboten liest man dort übrigens keine Quadratmeterangaben, sondern nur die Zimmerzahl. Offenbar werden in England häufig Häuser ge- und verkauft. Überall sind Schilder von Maklern zu sehen. Während unseres Aufenthalts zieht nebenan innerhalb von einem Tag eine Familie aus und die nächste bereits wieder ein.

Es sind diese kleinen Eigenarten der anderen Nation, die man erst so richtig wahrnimmt, wenn man lebt wie ein Einheimischer. Engländer liegen zum Beispiel viel steiler im Bett als wir; sie brauchen mindestens zwei Kopfkissen. Und alles ist viel teurer als in Deutschland: Eine Kugel Eis kostet umgerechnet zwei Euro, ein Bier in einem Pub etwa fünf Euro.

Dafür hat das große Einkaufszentrum am Stadtrand rund um die Uhr geöffnet. Die Verkäufer dort sind auch um Mitternacht noch freundlich, und die Menschen kaufen ganz selbstverständlich um diese Zeit Lebensmittel, aber auch die Schuluniformen für ihre Kinder ein. Es gibt eine riesige Auswahl an frischen Produkten, Gewürzen und speziellen Gerichten für Vegetarier und sogar Veganer, auf fast allen Dingen steht "lowfat" und "sugarfree", dennoch sind nicht gerade wenige Leute, die wir sehen, zu dick.

Die besonderen Sicherungen im Haus lernen wir kennen, als wir den Rauchmelder beruhigen wollen, der unsinnigerweise dauernd piepst. Jede Steckdose hat einen eigenen Schalter und jedes Haus eine Alarmanlage und natürlich überall Rauchmelder. Die Sicherungen waren gut versteckt. Um an sie heran zu kommen, mussten wir erst einmal eine Wand des Einbauschranks ausbauen. Der entsprechende Sicherungsdraht ist aufgerollt wie Nähgarn.

Unsere Töchtern sind ein bisschen enttäuscht, dass sie als unter 18-Jährige am Wochenende von den Türstehern an den Pubs abgewiesen werden. Am Sonntag klappt es dann doch, aber um 23 Uhr ist der Spaß bereits wieder vorbei. In England läuft vieles anders. Man geht dort zuerst in den Pub, dann ins Restaurant, das viel länger geöffnet hat, und danach noch zum Einkaufen. Die Menschen sind überaus gelassen, freundlich und höflich; wenn man sich an einer engen Stelle begegnet, zum Beispiel auf der Stadtmauer von York, hört man dauernd ein "sorry" oder "excuse me".

Mit unserer Tauschfamilie hielten wir ständig Kontakt per E-Mail. Hin und wieder beklagten wir uns über den leichten Nieselregen, der oft eine Stunde anhielt, ohne zu ahnen, welchen Fluten gleichzeitig unsere Gäste in München ausgesetzt waren. Aber sie haben nie geklagt, waren immer wohlgemut und gut gelaunt. Sie fanden München auffallend sauber und natürlich sehr preisgünstig. Das erklärt, warum sie gar nicht auf die Idee gekommen sind, dass man für Bierflaschen auch Pfand bezahlt. Sie haben alle Flaschen im Container entsorgt, wussten dann aber nicht, was sie mit den Trägern machen sollten.

Informationen

Für 135 Euro kann man bei homelink Mitglied werden und ein Jahr lang sein Heim im Internet anbieten. Auf Wunsch erscheint es auch im jährlich neu aufgelegten Mitgliederkatalog. Zur Zeit stehen 13 150 Tauschpartner in 69 Ländern zur Verfügung. Das Prinzip basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Für größere Schäden gibt es einen speziellen Garantiefonds.

© SZ vom 27.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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