Handel mit Derivaten boomt:Hebeln, bremsen, hoffen

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Ein Übernahmekampf zeigt, wie der dramatisch wachsende Handel mit Derivaten die Finanzwelt verändert - auch für Anleger, die unwissentlich solche Titel im Depot haben.

Martin Hesse

Es sind Zahlen, die schwindlig machen: An den internationalen Terminbörsen wurden vergangenes Jahr zwölf Milliarden Terminkontrakte gehandelt. Standardisierte Wetten auf die Kursentwicklung von Aktien, Devisen, Anleihen, Rohstoffen und Zinsen sind bei Anlegern so beliebt wie nie zuvor.

Ein Händler an der Chicago Mercantile Exchange. (Foto: Foto: AP)

Gehandelt werden Kontrakte, deren Wert sich indirekt von dem Preis eines anderen Wertpapieres oder Rohstoffs ableitet (lateinisch: derivare). Man spricht daher auch von Derivaten. Die Zahl der gehandelten Kontrakte schießt in die Höhe, und damit die Beträge, die Anleger gewinnen oder verlieren können. Allein hinter den an der Eurex, dem Terminmarkt der Deutschen Börse, gehandelten Futures und Optionen stand per Ende Februar ein Wert von 2,7 Billionen Euro.

Jedesmal, wenn ein Kontrakt den Besitzer wechselt, verdient die Börse mit. Das ist der Grund, warum sich in den Vereinigten Staaten derzeit drei der weltweit führenden Terminbörsen eine Übernahmeschlacht liefern. Am Donnerstag hatte die Intercontinental Exchange (ICE) fast zehn Milliarden Dollar für das Chicago Board of Trade (CBOT) geboten und so die Offerte der CBOT-Nachbarin Chicago Mercantile Exchange (CME) ausgestochen.

Es geht um die Vorherrschaft an den globalen Terminmärkten. Die noch junge New Yorker Börse ICE ist zwar insgesamt weit abgeschlagen. Ihr Londoner Ableger gilt allerdings als größte europäische Energiebörse.

Handelsvolumen explodiert

Der Handel mit Derivaten wird jedoch nicht nur über die Terminbörsen abgewickelt. Im Gegenteil: Eine der zuletzt besonders gefragten Finanzspezialitäten, sogenannte Kreditderivate, werden sogar ausschließlich außerhalb der Börse gehandelt.

Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich belief sich der Wert der nicht börsengehandelten Derivate zur Mitte vergangenen Jahres auf 370 Billionen Dollar, das war ein Viertel mehr als Anfang 2006.

Für das dramatische Wachstum des Derivatemarktes gibt es mehrere Antriebskräfte. Zum einen sichern sich Anleger mit Termingeschäften gegen Kursschwanklungen ab.

Umgekehrt lassen sich über Derivate jedoch bei geringerem Kapitaleinsatz deutlich höhere Gewinne erzielen, als wenn man das jeweils zugrundeliegende Wertpapier kauft.

In den vergangenen Jahren niedriger Zinsen wuchs das Bedürfnis der Anleger, über Derivate zusätzliche Renditechancen zu generieren, andererseits wuchs im Zuge des weltweiten Börsencrashs nach der Jahrtausendwende auch das Sicherheitsbedürfnis.

Risiken besser steuern

Handelten traditionell vor allem Profianleger mit Derivaten, haben längst auch Privatanleger den Markt für sich entdeckt. In Deutschland setzten Banken beispielsweise 2006 mehr als 127 Milliarden Euro mit Derivaten für Privatanleger um. Auch Fonds dürfen seit 2004 Derivate einsetzen.

Nicht immer sind sich Anleger überhaupt bewusst, dass sie Derivate im Depot haben. "Derivate werden sowohl für institutionelle Kunden als auch bei Privatkundenfonds verstärkt eingesetzt", sagt Jens Gottsmann, Portfolio-Manager bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken.

Laut Gottsmann setzen Fonds Derivate in der Regel ein, um Risiken besser steuern zu können. "So kann man beispielsweise in turbulenten Börsenzeiten wie zuletzt schneller und billiger reagieren."

Anstatt bei einem Kursrutsch Aktien zu verkaufen und verstärkt in sichere Anleihen zu investieren, erhöhe man über Derivate indirekt das Gewicht der Anleihen im Depot und sichere sich gegen Verluste bei Aktien ab. "Daher wird in turbulenten Börsenphasen das Risiko im Fonds durch Derivate eher reduziert", folgert Gottsmann.

Das gilt allerdings nicht gleichermaßen für Zertifikate. Zwar investieren Anleger überwiegend in Garantie-, Bonus- und Discountzertifikate, die ja gerade einen Puffer gegen Kursschwankungen bieten sollen. Doch wenn die Kurse schnell fallen, unterschreiten sie häufig die Schwellen, bis zu denen die Sicherung gilt, und die Anleger werden voll an den Verlusten der zugrundeliegenden Aktie beteiligt.

Besonders groß sind die Risiken bei so genannten Hebel-Produkten. "Fallen dort die Kurse unter bestimmte Schwellen, droht Anlegern der Totalverlust", sagt Markus Straub von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.

In den turbulenten vergangenen Börsenwochen hat sich ein weiteres Problem gezeigt: "Bei den extremen Schwankungen konnten die Emittenten zeitweise keine Kurse stellen, so dass Anleger nicht aus ihren Investments herauskamen", erklärt Straub. Die Emittenten, die Zertifikate auflegen, sichern sich ihrerseits wiederum an den Terminbörsen gegen Verluste aus den Zertifikate-Geschäften ab. Sie haben nach Einschätzung Straubs ihre Risiken in der Regel im Griff.

© SZ vom 17. März 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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