Gold:Das heiße Ende der Eheringe

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Bei Heraeus, einem der bedeutendsten Goldschmelzer Europas, zählt jedes Gramm - je höher die Preise für Edelmetalle steigen, desto wichtiger wird das Recycling.

Simone Boehringer

Das Frontgebiss mit den abgewetzten Goldkronen trägt keine Gravur. Der zerkratzte Ehering daneben schon: Willi, 20. 9. 1974 steht darauf, auf der Innenseite des Armreifs darüber heißt es Ricarda H., das Datum ist unleserlich. Der Schmuck und die Zähne sind Abfall, aber dennoch wertvoll. So wertvoll, dass ihre Besitzer damit schon in kleinen Mengen gutes Geld verdienen können. "Wir bekommen sehr viele Behältnisse voll solcher edelmetallhaltiger Abfälle täglich", sagt Thomas Lampert. Sie werden recycelt, um das enthaltene Gold, Silber, Platin und Palladium in Reinheit zurückzugewinnen.

Lampert arbeitet bei Heraeus im hessischen Hanau, einem der führenden Edelmetallverarbeiter in Europa. Apothekersohn Wilhelm Carl Heraeus hatte 1856 in seiner Einhorn-Apotheke als erster auf der Welt ein Verfahren entwickelt, in großen Mengen das sehr hitzeresistente Platin bei 1772 Grad Celcius zum Schmelzen zu bringen. Auf dieser Expertise im Umgang mit Edelmetallen fußt heute ein Firmenimperium mit 11300 Mitarbeitern und 12 Milliarden Euro Umsatz.

Lampert muss den Edelmetallgehalt der angelieferten Abfälle bestimmen und sie dann wieder in mehreren chemischen Scheideprozessen in ihre Bestandteile zerlegen. "Kostenstellenleiter für die Probeentnahme" nennen sie hier seinen Job. Dazu schmilzt er täglich ohne Rücksicht auf Form und Herkunft Edelmetallhaltiges im Wert von einigen Hunderttausend Euro ein und gießt daraus Barren. Seit 26 Jahren hantiert der 44-jährige Chemiker mit den wertvollsten Metallen der Welt. Er ist damit einer der dienstältesten Goldeinschmelzer bei Heraeus.

1100 Tonnen aus Altgold-Recycling

Derzeit hat Lampert besonders viel zu tun. Die Preise für Edelmetalle steigen immer höher. Recycling ist ein wichtiger Bestandteil im Geschäft mit Edelmetallen geworden.

Als der Chemiker 1981 seinen Job angetreten hatte, war der letzte große Edelmetallboom gerade zu Ende gegangen. Der Goldpreis hatte sich von seinem Rekordhoch im Februar 1980 bei 870 Dollar je Feinunze nahezu halbiert, Silber war von knapp 50 Dollar auf weniger als 15 Dollar je Unze gefallen und Platin, damals wie heute das wertvollste Edelmetall, kostete weniger als 500 statt der vorherigen 1050 Dollar. Folglich spielte das Recycling von Gold in den nächsten zwei Jahrzehnten eine untergeordnete Rolle. "Heute werden sogar die Späne nach dem allabendlichen Saubermachen konsequent wiederverwertet", sagt Lampert.

Seltenheit hat ihren Preis

Der Abbau von Vorräten in der Erde wird dagegen immer schwieriger. Zum Teil gibt es die Edelmetalle nur noch in großer Tiefe, die Neugewinnung stagniert. Im vergangenen Jahr umfasste zum Beispiel das Gesamtangebot an Gold rund 4000 Tonnen, davon stammten aber 1100 Tonnen bereits aus dem Altgold-Recycling, Tendenz steigend.

Edelmetalle haben gegenüber fast allen anderen Stoffen den Vorteil, dass sie nicht rosten und nicht verbrennen können. Sie sind daher praktisch nicht vergänglich. "Alles je geförderte Gold der Welt umfasst bis heute geschätzt etwa 158000 Tonnen. In Würfelform würde es locker unter das Brandenburger Tor passen", sagt Wolfgang Wrzesniok-Roßbach, Marketingleiter im Handel bei Heraeus. Ein analoger Würfel aus dem noch rareren Platinmetallen würde gerade einmal 9000 Tonnen wiegen und daher schon "in einem Einfamilienhaus Platz finden", meint Wrzesniok.

Die Seltenheit hat ihren Preis. Weil die Nachfrage, vor allem aus den aufstrebenden Volkswirtschaften wie China, Indien und Russland deutlich höher geworden ist und gleichzeitig im Zuge der Dollarkrise das Bedürfnis vor allem nach Gold und Silber zu Anlagezwecken wuchs, stiegen die Preise der börsennotierten Edelmetalle stark an. So kostete eine Feinunze Gold, das entspricht 31,1 Gramm, zuletzt knapp 800 Dollar. Vor wenigen Wochen war der Preis sogar bis auf 845 Dollar hochgeschnellt.

"Manche Leute bringen sogar ihr Tafelsilber und ihre Münzsammlung"

Auch Platin notiert mit etwa 1440 Dollar je Unze um 30 Prozent höher als noch zu Jahresbeginn, Silber ist seitdem um knapp 20 Prozent auf zuletzt knapp 15 Dollar gestiegen. Schon für ein Gramm reinstes Gold kann man inzwischen gut zu Mittag essen, von einer Unze sogar fast den Lebensunterhalt eines Monats bestreiten. Kein Wunder, dass sich in größeren Städten praktisch in jeder Einkaufsmeile mittlerweile eine Ankaufstelle für Edelmetalle findet, meist bei Juwelieren und Goldschmieden.

Zu Heraeus-Mann Lampert kommen vor allem gewerbliche Kunden: Schmuckhersteller, Banken, kleinere Edelmetallhändler. Sie alle liefern in der Regel das Material ab, das ihre Kunden ihnen überlassen oder an sie verkauft haben. Aber auch Privatleute sind grundsätzlich willkommen, ab 200 Gramm Altware aufwärts werden sie von Heraeus bedient. "Manche Leute bringen sogar ihr Tafelsilber und ihre Münzsammlung", sagt der Chemiker und zeigt auf zwei weitere dieser Sammelschalen, die ansonsten eher in Großbäckereien Verwendung finden dürften als in der Industrie.

Insgesamt erinnert vieles in der Abteilung Probeentnahme an eine große Küche aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts: Die Küchenzeile mit ihrer gusseisernen Anrichte hat drei Löcher anstelle der sonst üblichen Kochplatten. Darunter sind Schmelztigel angebracht, aus Tongrafit, weil nur der "die für die Schmelze von Edelmetallen benötigte Hitze aushält", sagt Lampert.

Der Goldeinschmelzer stellt die Kiste mit dem Schmuck und dem alten Gebiss auf die Waage - 3,3 Kilogramm. "Ein paar Gramm weniger werden als Barren herauskommen", prognostiziert er. Mit einer Schaufel befördert Lampert den goldenen Abfall in den Schmelztigel und schaltet die Induktionsschmelze an. Die Wirbelströme, die für die Hitze verantwortlich sind, erzeugen ein unangenehmes Dauerpiepen. Dafür zerläuft die sperrige Masse unter lautem Puffen und Knacken binnen zwei, drei Minuten in ein orange-gelbes Süppchen. Geschätzter Marktwert:

Zwischen 40.000 und 55.000 Euro, je nach Reinheit des Goldes und Wechselkurs zum Dollar, in dem der Marktpreis für Gold an der Börse berechnet wird. "Die Geräusche kommen von der Luft, die aus Hohlkörpern wie Ohrringen entweicht sowie von Zähnen und andere organischen Bestandteilen, die verbrennen", erklärt Chemiker Lampert und rührt mit einem dicken Kohlegrafitstab weiter in der Goldsuppe. Eine Prise Natriumnitrat, "damit auch alle Verunreinigungen verbrennen", roter Qualm entsteht - fertig. Lampert gießt den Inhalt des Tigels in eine Barrenform. "Die Schlacke kann später abgehackt werden, dann haben wir ein reines Edelmetall."

Privat kein "Goldfreak"

Die eigentliche Qualitätsprobe des aus dem Schmuck gewonnenen Barrens erfolgt eine Stunde später, nachdem der Barren erkaltet ist. Ein paar Späne reichten, um nach einigen chemischen Trennprozessen den Kunden ihre Lieferung adäquat zu bezahlen. "Das geht streng nach Reinheit und Marktpreis", versichert Lampert.

Sobald die Metalle angekauft sind, muss sie der Kostenstellenleiter der hauseigenen Handelsgesellschaft melden. "Alle Abteilungen des Hauses überschreiben die Risiken, die durch das Halten von Edelmetallen entstehen, sofort an den Handel", sagt Hans-Günter Ritter, Geschäftsführer der Heraeus Metallhandelsgesellschaft. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat Heraeus im vergangenen Jahr allein aus dem An- und Verkauf von Edelmetallen erzielt. "Auch dieses Jahr wird außergewöhnlich", versichert Ritter und spielt damit auf die weiter gestiegenen Edelmetallpreise an.

Allein die Edelmetallschätze von Heraeus sind in der Bilanz unter dem ausgewiesenen Vermögen mit 460 Millionen Euro aufgeführt. Dennoch bleibt Thomas Lampert beim täglichen Umgang mit so viel Wertvollem gelassen. Beim Besuch im Tresorbüro, wo kiloschwere Platinbarren auf Holzpaletten befördert werden, sagt er: "Ich könnte jetzt nicht sagen, dass ich privat zum Goldfreak geworden bin."

© SZ vom 01.12.2007/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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