Glücksforschung:"Menschen orientieren sich am Umfeld"

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Der Finanzwissenschaftler Alois Stutzer über Konsumglück, Ansprüche - und das Problem, Zeit einzuteilen.

Jan Mallien

Alois Stutzer ist Professor für Öffentliche Wirtschaft und Finanzwissenschaft an der Universität Basel. Sein Spezialgebiet - die Glücksökonomie - beschäftigt sich mit den Bestimmungsgründen der Lebenszufriedenheit. Der Forschungszweig im Grenzgebiet zwischen Ökonomie und Psychologie stellt zentrale Annahmen der volkswirtschaftlichen Theorie in Frage.

"Unsere Ökonomie sollte eine Glücksökonomie sein", sagt der Basler Finanzwissenschaftler Alois Stutzer. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Herr Stutzer, gibt es ein Rezept um glücklich zu werden? Was sagt die Forschung dazu?

Alois Stutzer: Glück ist keine persönliche Konstante. Man ist nicht schicksalhaft zu einem glücklichen oder unglücklichen Leben verdammt. Die Forschung zeigt ganz klar, dass es hier sehr große Unterschiede über das Leben hinweg geben kann. An bestimmte positive oder negative Situationen gewöhnt man sich schneller als an andere.

sueddeutsche.de: Es gibt also Unterschiede in der Dauer bestimmter Glücksreize?

Stutzer: Ja. Höhere Konsumstandards bescheren uns in der Regel nur kurzzeitig Glück, weil wir uns relativ schnell an sie gewöhnen. In anderen Bereichen dauert die Anpassung wesentlich länger. Erfüllende persönliche Kontakte tragen immer wieder von Neuem zu unserem Glücksempfinden bei. Auch Arbeitslose gewöhnen sich nicht einfach an ihren Verlust, sondern haben häufig lange Zeit eine tiefere Lebenszufriedenheit, vielleicht noch nach dieser Erfahrung der Arbeitslosigkeit. Das ist das Spannende, dieser Gegensatz.

sueddeutsche.de: Wenn der Mechanismus so leicht zu durchschauen ist, müssten die Menschen ihren Alltag doch einfach nur auf Glücksmaximierung ausrichten.

Stutzer: Das wird nicht vollständig durchblickt. Vor allem bei kurzfristigen Entscheidungen werden Gewöhnungsprozesse systematisch unterschätzt. Das ist vor allem dann problematisch, wenn wir Abwägungen treffen müssen zwischen verschiedenen Lebensbereichen. Sollen wir mehr arbeiten, um uns einen höheren Konsumstandard zu leisten? Oder sollen wir die Zeit mit Freunden und der Familie verbringen? Der höhere Konsumstandard wird durch Mehrarbeit finanzierbar und bringt kurzfristig Annehmlichkeiten, langfristig gewöhnen wir uns aber daran. Andererseits entgeht uns dauerhaft Glückserfahrung, weil wir weniger Zeit für die Familie und Freunde haben - es kann zu einer falschen Aufteilung der knappen Zeit kommen.

sueddeutsche.de: Was ist den Deutschen wichtig?

Stutzer: Für Deutschland haben wir festgestellt: Berufspendler sind unzufriedener mit ihrem Leben. Ein weit entfernter Arbeitsplatz ermöglicht einem vielleicht einen höheren Lebensstandard, gleichzeitig wird aber die Zeit reduziert, die man für andere Dinge hat, die einem Glück bringen.

sueddeutsche.de: Die Debatte um die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale beschäftigt die Politik seit Monaten. Durch die Gewährung der Pendlerpauschale wird ein finanzieller Anreiz gegeben, der sich möglicherweise auch auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Kann der Staat bei solchen Entscheidungen das Glück der Bürger beeinflussen?

Stutzer: In der aktuellen Diskussion geht es um eine Verteilungsfrage, die Bürger haben sich auf diese Subvention eingestellt und ihre Wohnorte entsprechend gewählt. Trotzdem gibt es einen interessanten zusätzlichen Aspekt hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens: Wir werden in unseren Entscheidungen durch Dinge getrieben, die besondere Aufmerksamkeit bekommen - und die Pendlerpauschale kreiert Aufmerksamkeit. Es wird signalisiert, dass Pendeln weniger teuer ist für uns - dies macht den Abwägungsprozess noch schwieriger.

sueddeutsche.de: Macht Geld überhaupt glücklich?

Stutzer: Empirisch zeigt sich, dass Menschen mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen glücklicher sind als Menschen mit geringen Einkommen. Langfristig betrachtet gibt es jedoch interessante Ausnahmen. In den USA beispielsweise ist das Pro-Kopf Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, aber trotzdem sind die Leute nicht glücklicher geworden.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Stutzer: Vermutlich hängt es damit zusammen, dass die Ungleichheit stark zugenommen hat. Die ärmsten 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung haben nicht vom Aufschwung profitiert. Auch in China gab es im vergangenen Jahrzehnt einen Wachstumsschub und trotzdem hat die Zufriedenheit nicht zugenommen. Es muss also noch andere wichtige Faktoren geben, die sich ebenfalls auf die Lebenszufriedenheit auswirken.

Lesen Sie im zweiten Teil, welche Bedeutung das Anspruchsniveau für unser Glücksempfinden hat und warum es durch die Glücksforschung neue Abwägungen geben kann.

sueddeutsche.de: Welche Faktoren sind das?

Stutzer: Beispielsweise das Anspruchsniveau. Die Frage lautet: Was braucht man, um sich ein gutes Leben einzurichten? Hier neigen die Menschen dazu, sich mit ihrem Umfeld zu vergleichen. Wenn man sieht, dass andere mehr verdienen und sich extravagantere Dinge leisten, dann steigen die eigenen Ansprüche. Es kann sein, dass jetzt in China die Ansprüche schneller steigen als das tatsächliche Einkommen.

sueddeutsche.de: Wir haben heute den höchsten gesellschaftlichen Reichtum, gleichzeitig klagen viele Arbeitnehmer über zunehmende Unsicherheit. Hierzulande steht beispielsweise der Kündigungsschutz häufig zur Diskussion. Eigentlich müssten wir es uns doch leisten können, dem Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen stärker gerecht zu werden?

Stutzer: Die Glücksforschung zeigt, dass die Konsummöglichkeiten nur einen Beitrag zum Wohlbefinden leisten und dass es viele andere Aspekte gibt, die ebenfalls wichtig sind. Unsicherheit bezüglich des Arbeitsplatzes ist eine sehr große Quelle des Unglücks.

Eine wichtige Einsicht aus der Ökonomie besagt jedoch, dass man die Arbeitsplatzsicherheit nicht einfach durch zusätzliche Schutzmaßnahmen verbessern kann. Bei einem hohen Kündigungsschutz sind die Arbeitgeber weniger bereit, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen, so dass die Arbeitnehmer dann nicht mehr nur um ihre Stelle fürchten, sondern gar keine mehr haben. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass man bei Verlust der Arbeitsstelle anderswo einen neuen Job findet. Arbeitslosigkeit macht die Leute sehr unglücklich, deshalb ist das eine so schwierige Sache mit dem Arbeitsschutz.

sueddeutsche.de: Wird die Bedeutung des Geldes von andere Faktoren abgelöst?

Stutzer: Ja, je höher das Einkommensniveau liegt, umso schwieriger wird es, die Leute durch weitere Zuwächse zufriedener zu machen. Gleichzeitig brauchen wir in den von Unsicherheit geprägten Bereichen - etwa in Zusammenhang mit Arbeit - neue innovative Ideen. Wir müssen unsere Arbeitsmärkte neu organisieren. Auch für politische Institutionen benötigen wir neue Ideen. Für die Lebenszufriedenheit ist es von großer Bedeutung, ob die Bürger in den Bereichen, die ihnen wichtig sind, effektiv mit entscheiden können.

sueddeutsche.de: Was genau hat Glück mit Ökonomie zu tun? . Stutzer: Wirtschaften ist kein Selbstzweck. In der Ökonomie wird nach optimalen Wegen gesucht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Weil der Mensch nach Glück strebt, sollte unsere Ökonomie eine Glücksökonomie sein, die ein möglichst hohes Wohlbefinden der Menschen zum Ziel hat. Wenn man diese Vorstellung akzeptiert, sollte man einmal kritisch hinterfragen, was die ökonomischen Bestimmungsgrößen des Glücks sind. Was ist der Einfluss der Beschäftigung, des Wachstums, der Einkommensverteilung? Wie ist der Einfluss der Inflation? Das alles sind wichtige Größen, wenn es um wirtschaftspolitische Fragen geht - und deshalb gibt es hier einen sehr direkten Zusammenhang.

sueddeutsche.de: Im Himalaya-Königreich Bhutan wird das Bruttosozialglück erhoben. Muss sich die Ökonomie weiterentwickeln und neben dem Bruttoinlandsprodukt neue ökonomische Indikatoren aufstellen?

Stutzer: Das Bruttoinlandsprodukt mit all seinen Mängeln hat sicher weiterhin eine wichtige Funktion, gerade auch um konjunkturelle Entwicklungen festzustellen. Ich würde nicht für einen zusätzlichen großen nationalen Glücksindikator plädieren, weil die Vorstellungen von gutem Leben sehr breit sind.

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