GEZ:Ein Ungetüm, dem niemand entkommt

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Vier neue Modelle und viel Geld: In Wiesbaden geht es um Alternativen zur GEZ. Eine Bestandsaufnahme der Behörde, der etliche Kritiker Ähnlichkeit mit der Stasi bescheinigen.

Simon Feldmer

Irgendwie hat fast jeder seine persönliche GEZ-Geschichte zu erzählen, auch Mike, der Taxifahrer. "Denen musste ich kürzlich über 100 Euro nachzahlen", sagt Mike. Es ist das erste, was dem jungen Kölner einfällt, als er erfährt, dass sein Fahrgast bei der GEZ zu Besuch war.

Gerade haben der Geschäftsführer und seine Abteilungsleiter wortreich versichert, dass es sich bei der GEZ um eine Institution handle, bei der es "auf Basis von Recht und Gesetz absolut gerecht" zugehe. GEZ-Geschäftsführer Hans Buchholz hat diesen Satz oft wiederholt. Und dann steigt man ins Taxi, "Recht" und "Gesetz" klingen noch im Ohr, und der Fahrer berichtet ungefragt von seiner Gebühren-Gerechtigkeit.

Während Mike von der GEZ-Zentrale auf dem Gelände des Westdeutschen Rundfunks im Kölner Stadtteil Bocklemünd losfährt, erzählt er: Seine Freundin sei zu ihm gezogen, habe aber vergessen, sich bei der GEZ abzumelden. Jetzt hätten sie seit einem halben Jahr zwar nur noch einen Fernseher, den sie auch noch selten anschalteten, aber die Rundfunkgebühr, ja, die hätten sie für das letzte halbe Jahr doppelt zahlen müssen. "Schon klar, war unser Fehler. Aber dass dir bei dem Laden jemand entgegenkommt, darauf kannst du lange warten", sagt Mike.

Der besagte Laden ist die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (GEZ). Sie sieht genauso sperrig aus, wie ihr Name sich liest. Ein grauer, sandfarbener Flachbau, der sich über mehrere aneinander gestückelte Betonkomplexe erstreckt. Knapp 1100 Menschen arbeiten hier. Bis zu 93.000 Vorgänge - Briefe, Faxe, E-Mails - sind es täglich. Fast jeder Deutsche hatte schon mal mit diesem bürokratischen Monster zu tun. Von Mittwoch an beraten die Ministerpräsidenten in Wiesbaden Alternativen zur GEZ - es geht um vier Modelle und um viel Geld.

42 Millionen "Kunden"

Wer auch nur ein altes Kofferradio daheim rumstehen hat, ist heute ein Fall für die GEZ. Zahlungspflichtig ist, wie der Rundfunkgebührenstaatsvertrag ausführt, "wer ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereithält". Man muss also nicht hören oder schauen. Bereithalten genügt. Das kostet derzeit 17,03 Euro im Monat. 7,28 Milliarden kamen so im vergangenen Jahr zusammen. 70,1 Prozent davon gehen an die ARD, 25,8 Prozent an das ZDF, 2,2 Prozent an Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, 1,9 Prozent an die Landesmedienanstalten, die den privaten Rundfunk kontrollieren. Die Daten von fast jedem Haushalt, Unternehmen und vielen Gewerbebetrieben sind bei der GEZ gespeichert. "Wir haben 42 Millionen Kunden", sagt Geschäftsführer Buchholz.

Es sind kleine unspektakuläre Geschichten, aber auch große schlagzeilenträchtige, die über die Jahre das Image der GEZ in Stasi-Nähe gerückt haben. Die größeren wurden in diesem Sommer in TV-Magazinen auf RTL und Sat 1 oder in der Bild-Zeitung unter Schlagzeilen wie "Jetzt kassieren die GEZ-Schnüffler richtig ab" abgehandelt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung rollte teilweise etwas länger zurückliegende Fälle auf: Von einer Fitnessstudiobetreiberin war die Rede, die für sieben unangemeldete Radios und einen Fernseher 2410,92 Euro nachzahlen sollte, von einem mittellosen Freiberufler, dessen Befreiungsantrag abgelehnt worden sei, oder von einem Gebührenbeauftragten, der im Jahr 1999 17.7636,81 Mark verdient haben soll.

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Anfang September verurteilte das Amtsgericht Neumünster einen Gebührenbeauftragten des NDR zu 1200 Euro Geldstrafe, weil er bei einem Hausbesuch ein Ehepaar bedrängt haben soll. Der Verurteilte habe zwar Berufung eingelegt, teilt der NDR mit, unabhängig davon sei er aber seit März 2007 nicht mehr für den Sender tätig. Man gehe bei Auswahl und Ausbildung der Beauftragten mit großer Sorgfalt vor, berichtet NDR-Sprecher Martin Gartzke. Gleichwohl lasse sich niemals mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass jemand aus dem Ruder laufe.

Aus dem Ruder gelaufen ist einiges: Seit ihrer Gründung 1976 steht die GEZ in der Kritik. Einst als Inkassobetrieb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins Leben gerufen, wurde die GEZ nach und nach mit Verwaltungsaufgaben beladen. Seit April 2005 prüft die GEZ selbst, wer aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen - Hartz IV-Empfänger, Studenten, Schwerbehinderte - von der Zahlung befreit wird. Früher waren dafür die Sozialämter zuständig. Einen Ermessensspielraum sieht Buchholz nicht: "Wenn ein Bescheid vorliegt, der den Kriterien für eine Befreiung entspricht, wird befreit." Im Rundfunkgebührenstaatsvertrag sei alles genauestens geregelt. Gesetz ist Gesetz. Alles korrekt.

Hans Buchholz ist seit sechs Jahren der oberste Gebühreneintreiber der Republik. Die Kritik bringe ihn nicht aus der Ruhe: "Wenn man den Bürgern ans Geld will, ist das nie angenehm." Buchholz ist Rheinländer und "bekennender Karnevalist". Er sitzt in seinem Büro mit Filzboden an einem runden Glastisch. Hinter dem Fenster fällt der Blick auf eine Dachterrasse, dahinter ist die Kulisse der Lindenstraße zu erkennen. Der Konflikt um die GEZ ist für Buchholz ein Konflikt zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk in Deutschland: "Da muss die GEZ oft als Prügelknabe herhalten." So einfach ist das in Buchholz' Welt.

Jeder Fall wird geprüft

Den oft etwas schroffen Ton in GEZ-Schreiben hält Buchholz "für in der Sache angemessen". Immer wieder steht er auf, wälzt Leitzordner, bittet Abteilungsleiter herein, lässt sich aus dem Vorzimmer Zahlen reichen. "Wir prüfen jeden einzelnen Fall", versichert der GEZ-Chef. Dabei sei herausgekommen, dass 80 Prozent der geschilderten Fälle gar nicht sein Haus beträfen. Auf die Methoden der 1800 Gebührenbeauftragten habe er keinen Einfluss. Die seien als eigenständige Unternehmer bei den Landesrundfunkanstalten der ARD beschäftigt. Beim zuständigen Südwestrundfunk spricht man von "Einzelfällen".

Ganz so einfach ist es freilich nicht. Denn der Beauftragtendienst ist ein wesentlicher Hebel im System der GEZ. Dass es hier zu Komplikationen kommt, ist zumindest einkalkuliert. Schließlich könnte man die Gebührenbeauftragten auch bei der GEZ oder den ARD-Anstalten anstellen. Ohne Aussicht auf Provision - die Beauftragten verdienen an jedem überführten "Schwarzseher" - würden sich rabiate Methoden an den Haustüren der Republik nicht mehr auszahlen. Doch Buchholz wehrt ab: Eine Festanstellung bei der GEZ mache keinen Sinn. So eine Aufgabe sei nur regional und provisionsausgerichtet sinnvoll zu organisieren, sagt er. Auch NDR-Sprecher Gartzke befindet: "In der Gesamtbetrachtung hat sich das System bewährt."

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Bewährt hat sich das System, wenn man auf die Bilanz von Hans Buchholz blickt. Seit der frühere Verwaltungsdirektor des WDR an der GEZ-Spitze steht, ist die Zahl der Gebührenzahler um zehn Prozent gestiegen. Heute zahlen 94 Prozent der Privathaushalte ihre Rundfunkgebühren, auf nicht ganz freiwilliger Basis.

Buchholz erklärt in seinen Worten: "Die Landesrundfunkanstalten und die GEZ haben viele Maßnahmen zur Sicherstellung der Gebührengerechtigkeit eingeleitet." Mailings an "Nichtzahler" und die Kontrollen vor Ort wurden verschärft. Nur so konnte Buchholz jährlich dem Verwaltungsrat, an dessen Spitze der designierte NDR-Intendant Lutz Marmor steht, ein steigendes Gebührenaufkommen vermelden. Stolze 620 Millionen Euro spülten die begleitenden Maßnahmen 2006 in die Kassen.

Auf freiwillige Gebührenzahler will man sich bei der GEZ nicht verlassen. Wenn man die freiwilligen Anmeldungen (1,4 Millionen) mit den Abmeldungen (2,3 Millionen) gegenrechnet, kommt für 2006 ein Minus von 900 000 Gebührenzahlern heraus. Der negative Trend sei seit Jahren Realität, so Buchholz. Und so hat der frühere Polizei-Hauptmann die Zügel angezogen: Von Adressbrokern wie der Bertelsmann-Tochter AZ Direct oder der Ditzinger Firma Schober werden Adressdaten zugekauft.

Infos vom Einwohnermeldeamt

Auch umzugsbedingte Ummeldungen bei den Einwohnermeldeämtern landen bei der GEZ. In den aufgefrischten Adressdaten werden dann "Schwarzseher" gefiltert. Die bekommen es mit der GEZ zu tun, per E-Mail, per Brief. Oder ein Handelsvertreter mit Ausweis des Norddeutschen Rundfunks oder Bayerischen Rundfunks klingelt und fragt: "Störe ich gerade bei der Tagesschau?"

In den Augen von Datenschützern ist diese Praxis - seit zwei Jahren abgesichert durch den Rundfunkgebührenstaatsvertrag - zumindest fragwürdig. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, spricht gegenüber der Süddeutschen Zeitung von einem "höchst ungewöhnlichen Verfahren". Die Polizei kaufe ja auch nicht einfach von privaten Dienstleistern irgendwelche Adressen ein. Man müsse sich fragen, so Schaar, ob es sich bei diesem umfassenden Kontrollsystem um ein angemessenes und zeitgemäßes Verfahren handle.

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GEZ-Chef Buchholz findet nichts Schlechtes an diesem System. Während er seinen Besucher durch das mit Panzerglas und Kameras gesicherte Rechenzentrum führt, spricht er stolz von "einem der saubersten Datenbeständen der Bundesrepublik". Hier liegen Daten aus 30 Jahren GEZ, die per Knopfdruck auf dem Bildschirm eines Sachbearbeiters landen können. Computermonitore blinken, Hochleistungsrechner surren. Buchholz spricht von jenem Grundversorgungsauftrag des Rundfunks, der nur durch einen gerechten Gebühreneinzug sicherzustellen sei. Das hört sich alles an wie aus einer anderen Zeit. 25 Jahre war Buchholz beim WDR. Davor arbeitete er als Polizist. In den Siebzigern bewachte er den damaligen sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew auf Staatsbesuch in Bonn.

Verschrotten zählt nicht

Dass die verschärften Maßnahmen sich negativ auf die Akzeptanz von ARD und ZDF auswirkten, glaubt der GEZ-Chef nicht. Gleichwohl bestätigt Buchholz eine steigende Zahl von Abmeldeversuchen mit der Begründung: Wir haben keinen Fernseher mehr. Der Bestand an TV-Geräten sei erstmals rückläufig in Deutschland. "Früher war eine Abmeldung eine Abmeldung, heute haken wir nach", sagt Buchholz.

Fast 200.000 Abmeldungen könnten so vermieden werden. "Stecker raus und in den Keller stellen genügt nicht", berichtet Hermann-Josef Flosbach, Leiter des Geschäftsbereiches Gebühreneinzug. Man müsse den Verkauf des TV-Gerätes glaubhaft machen. Mit anderen Worten: Verschrotten zählt nicht. Vom Schrottplatz bekommt man keinen Beleg. Flosbach kann wohl zu recht sagen: "Viele melden sich aus Verärgerung ab. Aber ohne sachgerechte Begründung schafft es keiner."

Die Kasse muss klingeln: Selten hat eine Imagekampagne der GEZ den Nagel so auf den Kopf getroffen, wie der aktuelle Slogan "Natürlich zahl' ich". Für diesen Spruch stehen Buchholz und Kollegen quasi persönlich ein. Die Debatte über die Verhältnismäßigkeit eines Kontrollsystems, in dem ohnehin fast jeder zahlt, wird angesichts des flächendeckenden Gebühreneinzugs jedoch notwendiger denn je. Besonders in Zeiten, in denen Fernsehen und Hörfunk übers Internet fast überall und von jedem zu konsumieren sind. Die zu Jahresbeginn eingeführte "Gebühr für neuartige Empfangsgeräte" (Buchholz), also für internetfähige Computer oder Handys, hat den Renovierungsbedarf einer Konstruktion aus den siebziger Jahren, die teure ARD-Moderatoren und zu einem Teil die Fußball-Bundesliga ernährt, nur noch sichtbarer gemacht. Diese Einsicht hat mittlerweile auch die Politik erreicht, deshalb steht das Thema jetzt auf der Tagesordnung.

Eines ist aber für GEZ-Chef Buchholz klar: "So effektiv und wirtschaftlich wie durch die GEZ kann das eigentlich keine andere Institution bewerkstelligen." Man glaubt ihm aufs Wort. Buchholz' Vertrag in Köln läuft bis 2011. Dann ist er 65, und für ihn ist Schluss. Für die GEZ wohl nicht. Buchholz sagt: "Solange es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, gibt es auch die GEZ." Auf ein Entgegenkommen bei seiner Nachzahlung kann Taxifahrer Mike also noch lange warten.

© SZ vom 17.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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