Gesundheitsfonds:Merkels Montagsauto

Lesezeit: 2 min

Siebzig Millionen Menschen, die damit fahren sollen, schauen bei der chaotischen Montage des Montagsautos Gesundheitsfonds zu, wundern sich - und werden zur Kasse gebeten.

Guido Bohsem

Von einem Montagsauto spricht man, wenn der neue Wagen Macken hat; wenn also der Motor stottert, die Armaturen klappern oder die Bremsen quietschen, wenn also gleich die erste Fahrt zu einem Reinfall wird. Montagsauto heißt es, weil man vermutet, dass so viel Murks nur von Mechanikern zusammengeschraubt worden sein kann, die noch an den Folgen des Wochenendes litten.

Die Krankenkassenbeiträge werden für die meisten steigen. (Foto: Foto: dpa)

Das Montagsauto der großen Koalition ist der Gesundheitsfonds. Das ist umso schlimmer, weil Union und SPD nur ein einziges Modell bauen, das aber 70 Millionen Versicherte nutzen sollen. Mehr noch: Im Gegensatz zum Autofahrer können sie der chaotischen Montage zuschauen, weshalb auch die Vorfreude wegfällt, die das Käuferherz bei der Bestellung eines neuen Autos normalerweise wärmt.

Gesundheitsfonds ein Montagsfonds

Weil der Gesundheitsfonds ein Montagsfonds ist, durfte keiner erwarten, dass seine Endfertigung reibungslos über die Bühne geht. Niemand sollte sich also über das Scheitern des Schätzerkreises wundern, einen einheitlichen Beitrag für die gesetzliche Krankenversicherung zu finden, den jedes Kassenmitglied und jeder Arbeitgeber von Beginn des kommenden Jahres an überweisen muss. Zu unterschiedlich waren die wirtschaftlichen und politischen Motive der angeblich unabhängigen Experten aus Regierung, Bundesversicherungsamt und Krankenkassen.

Die Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung drängten darauf, die Beiträge möglichst hoch zu schrauben, obwohl sie sich sonst gerne als Interessenswahrer der Beitragszahler gerieren. Es geht ihnen darum, den rund 210 Kassen einen komfortablen Start in die Fondswelt zu sichern. Sie wollen verhindern, dass die Versicherer schon im ersten Jahr des Fonds gezwungen sind, Zusatzbeiträge zu erheben.

Diesen können sie von ihren Mitgliedern verlangen, wenn sie mit den Fondsmitteln nicht auskommen. Um an das zusätzliche Geld zu kommen, müssen die Kassen aber eine unfassbar aufwendige und widersinnige Prozedur bewältigen. Mehr als 50 Millionen Kontonummern und Einzugsermächtigungen gilt es zu erfragen. Hat eine Kasse viele arme, alte und kranke Versicherte, muss sie die Gutverdiener unter ihren Mitgliedern umso mehr schröpfen. Diese dürften dann zu einem neuen Anbieter wechseln, was die Lage der verlassenen Kasse umso schlechter machen wird.

Die Koalition strebt möglichst niedrige Beitragssteigerungen für die Gesundheit an. Zum einen will sie den ohnehin schon äußerst unbeliebten Fonds nicht weiter diskreditieren. Das ist insofern unredlich, weil es gerade die Regierung war, die die Kosten im Gesundheitswesen in den vergangenen Wochen nach oben getrieben hat, durch üppige Honorarsteigerungen für die niedergelassenen Ärzte und einen warmen Geldregen für die Krankenhäuser.

Doch nicht nur den Ruf des Fonds haben Union und SPD im Sinn. Mehr noch geht es der Koalition darum, ihr Versprechen einzulösen, die Abgaben für alle Sozialversicherungssysteme dauerhaft unter der Schwelle von 40 Prozent des Bruttolohns zu halten.

Die Regierung bestimmt den Beitrag

Um diese Zusage auch nur halbwegs einzulösen, will sie parallel die Kosten für die Arbeitslosenversicherung im gleichen Ausmaß senken. Das aber ist angesichts der eingetrübten Konjunktur schwierig, weshalb der Gesundheitssatz eben nicht so üppig steigen darf.

Durch das Scheitern des Schätzerkreises wird endlich offenbar, was vor allem Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bislang verbrämen wollte. Es ist kein Expertengremium, sondern die Regierung, die den Beitrag bestimmt, und es sind politische Motive, die sie dabei leiten.

Das mag man in einem staatlichen Gesundheitssystem für richtig halten. Es wird jedoch dazu führen, dass Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie immer vor Wahlen vehement mehr Geld verlangen. Die Politik wird erpressbarer. Probefahrt gefällig? Sie kommt nächstes Jahr, kurz vor der Bundestagswahl.

© SZ vom 04.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: