Gesetzliche Krankenkassen:Warten auf Damokles

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Warum die Kassen trotz Überschüssen die Beiträge nicht senken - und nicht einmal Sozialpolitiker verlangen, dass die Bürger weniger Geld an ihre Krankenkasse überweisen müssen.

Andreas Hoffmann

Seltsam diese Ruhe in Berlin. Besonders unter den Sozialpolitikern. Gemeinhin gilt für sie ein ungeschriebenes Gesetz, das da lautet: Man muss bei möglichst jedem Anlass niedrigere Beiträge fordern. Häuft etwa die Arbeitslosenversicherung oder die Rentenkasse Überschüsse an, ertönt bald der Ruf: "Die Beiträge müssen runter." Oder: "Das Geld gehört den Bürgern."

Nicht so bei der gesetzlichen Krankenversicherung. In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat sie 173 Millionen Euro Plus erzielt, das bis Januar sogar auf mehrere Milliarden Euro steigen könnte. Denn der Staat muss ihnen noch 1,25 Milliarden Euro Steuermittel überweisen und vom Weihnachtsgeld profitieren die Kassen auch - weil dafür Beiträge fällig werden.

In der Jahresabrechnung könnten also vielleicht 1,5 bis zwei Milliarden Euro Überschuss stehen. Ein nettes Sümmchen, das Begehrlichkeiten weckt. Vor allem, weil die Bürger noch nie so viel an ihre Kasse überwiesen haben wie in diesem Jahr. Der durchschnittliche Beitrag hat den Rekordwert von 14,8 Prozent des Bruttolohns erreicht. Doch diesen Spitzensatz will offenbar keiner senken.

Das Schweigen hat Gründe

Selbst die sonst lärmenden Liberalen zeigen sich zugeknöpft. Deren Gesundheitsexperte Daniel Bahr sagt: "Man kann die Kassen nicht auffordern, pauschal die Beiträge zu reduzieren." Dazu sei viel zu unsicher, wie sich die Finanzlage künftig entwickelt. Auch die redefreudige Ulla Schmidt, die regelmäßig mit den Kassen um Beiträge ringt, schweigt. Ihre Sprecherin sagt, dass sich die Gesundheitsministerin zu niedrigeren Beiträgen nicht äußern möchte.

Das Schweigen hat natürlich Gründe. Es ist die Ungewissheit, was die Kassen demnächst erwartet, etwa wegen der Konjunktur. Von ihr profitieren die Kassen längst nicht so stark wie Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Ein Drittel der Kassenmitglieder sind Rentner, doch weil die Renten zuletzt kaum gestiegen sind, überweisen sie auch nicht mehr an die Kassen. Auch die gesunkene Arbeitslosigkeit hilft wenig. Viele der neu entstandenen Jobs werden schlecht bezahlt, wodurch auch die Kassen kaum mehr Geld einnehmen. So wuchsen ihre Einnahmen je Mitglied in diesem Jahr bisher nur um 0,7 Prozent.

Zudem sorgen sich die Kassenmanager um die Kosten. Dank einiger Spargesetze gelang es zuletzt, die Ausgaben für Arzneien etwas zu begrenzen, doch nun legen sie wieder stärker zu. Zum Beispiel sind die Kosten für die sogenannten patentgeschützten Präparate, wie bestimmte Krebsmittel, mit zweistelligen Raten gestiegen. Weil es dafür keine billigen Ersatzpräparate gibt, können die Ärzte nicht so leicht ausweichen. Die Behandlung durch die Ärzte könnte sich ebenfalls verteuern. Die große Koalition will neue Honorarregeln einführen, wobei die Mediziner mehr Geld erhalten sollen. Zehn Prozent zusätzlich haben die Ärzte schon verlangt, macht für die Kassen Mehrkosten von 2,6 Milliarden Euro.

Schließlich müssen die Kassen noch Schulden abbauen. Ende 2006 lagen diese bei 2,7 Milliarden Euro, bis Ende 2008 sollen sie auf null schrumpfen. Grund ist der Gesundheitsfonds, der 2009 starten soll. Dieses Kernelement der Gesundheitsreform soll dann das Geld im System neu verteilen, aber viele Kassenmanager fürchten die Folgen. Werden sie genug Geld aus dem Fonds erhalten? Müssen sie Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern verlangen? Droht vielleicht einigen Kassen der Konkurs? All das lässt die Kassenfunktionäre vorsichtig sein, weshalb sie kaum die Beiträge senken wollen. Einer sagt: "Der Gesundheitsfonds hängt wie ein Damoklesschwert über uns. Wir wissen nicht, wann es niedersaust."

© SZ vom 05.12.2007/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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