Geld in jeder Beziehung:Solange du deine Füße ...

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Wieder daheim: Wenn Kinder zu ihren Eltern ziehen, gibt es oft Streit ums Geld. Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov / SZ)

Die Rollenverteilung gerät durcheinander, wenn erwachsene Kinder wieder bei ihren Eltern wohnen. Am Geld entzünden sich dann schnell Konflikte, die tiefer gehen.

Von Lea Hampel

Franziska B. könnte stolz darauf sein, wie sie wohnt. Das dreistöckige Haus steht in einem noblen Viertel der Stadt, hat Garten und Wohnküche. Und doch: Sie sieht es eher als Test ihrer Coolness, ob sie jemandem davon erzählt. Denn auf den Treppen, die sie derzeit hochsteigt, hat sie als Dreijährige ihre ersten Schritte gewagt. Franziska B. wohnt bei ihren Eltern. Sie ist 29 Jahre alt, hat einen Doktortitel, ist Unternehmensberaterin. Und Teil eines Phänomens, für das es viele Namen gibt, keiner ist schmeichelhaft. Nesthocker werden sie genannt, Riesenbabys, Bumerangkinder: Kinder, die zu Hause wohnen, obwohl sie genau das nicht mehr sind, Kinder.

Während diese Konstellation früher vor allem ein aus Italien bekanntes und belächeltes Phänomen war, nimmt sie auch bei uns zu. In Europa ist die Anzahl der jungen Erwachsenen, die bei ihren Eltern wohnen, von 44 Prozent im Jahr 2007 auf 48 Prozent 2012 gestiegen. Christoph Hutter nennt Eltern mit erwachsenen Kindern im Haus eine "große Einflugschneise der Erziehungsberatung". Das sei in den vergangenen Jahren ein wichtiges Thema geworden, sagt der Pädagoge. Er berät für das Bistum Osnabrück Familien und befasst sich wissenschaftlich mit dem Phänomen.

Oft ist das altvertraute Heim der erste Anlaufpunkt, wenn's im Leben unruhig wird, und das wird häufiger: Orts-, Job- und Partnerwechsel gehören zur Normalbiografie. Auch Franziska B. fand es logisch, bei ihren Eltern einzuziehen, als sie nach der Promotion bei einer Unternehmensberatung anfing und nie lange in derselben Stadt war. Seitdem genießt sie, dass die Mutter gekocht hat, wenn sie Freitagabend vom Bahnhof kommt. In ihrem Unternehmen ist sie nicht die einzige. Sogar ein Manager schläft am Wochenende bei den Eltern. "Bei einem Job, bei dem man lange arbeitet und im Hotel schläft, wird alles Vertraute und Familiäre in der kurzen Freizeit besonders wichtig", sagt sie. Pädagoge Christoph Hutter sieht weitere Gründe: Die Erwachsenenwelt, früher verheißungsvoller Ort, dessen Eintrittskarte Führerschein und eigener Wohnungsschlüssel waren, scheine zunehmend "bedrohlich", so Hutter. Gleichzeitig haben junge Menschen heute zu ihren Eltern oft ein partnerschaftliches Verhältnis. Ohne Zoff mit dem Vater fehlt der Grund, seine Füße nicht mehr unter dessen Tisch zu stecken.

Ein weiterer Grund für diesen Schritt wird immer wichtiger: das Geld. Die Mieten in Ballungsräumen steigen, Menschen unter 40 Jahren leben oft in prekären Verhältnissen und sind - vor allem in den vergangenen Jahren - besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Das traute elterliche Heim ist auch monetär letzte Zuflucht. Auch bei Franziska B. war das ein wichtiger Grund. Sie mag ihre Heimatstadt, hat dort Freunde. Doch die Mieten gehören zu den höchsten in Deutschland. "Ich weiß nicht, wie ich die monatlichen Ausgaben für eine eigene Wohnung vor mir rechtfertigen könnte. Meine Eltern haben so viel Platz", sagt sie. "Warum soll ich meinen halben Monatsnettolohn dafür hergeben, am Wochenende in eine leere Wohnung zu kommen?" Was als Übergangslösung gedacht war, wird so schnell Gewohnheit.

Vor allem in den ersten Wochen freuen sich die Eltern über gemeinsame Abende und die Kinder über saubere Wäsche. Doch nach der Euphorie brechen alte Rollenmuster auf. So sehen es beispielsweise Franziskas Eltern nicht gern, wenn ihre Tochter nachts alleine durch die Stadt läuft. "Das würden die sonst gar nicht mitbekommen", sagt Franziska. Weil man sich zu kennen glaubt, wird ignoriert, dass alle Beteiligten sich verändert haben: Die Eltern sind es längst gewohnt, keine Verantwortung für das dreckige Geschirr anderer zu tragen, und die Kinder haben ihr eigenes Verständnis von Pünktlichkeit entwickelt. "Wer über 20 wieder zu Hause einzieht, zieht in eine WG", sagt Christoph Hutter. Doch das bedenken viele nicht - und dann gibt es Streit.

Nicht selten dreht sich der ums Geld. Auf der Internetseite adultchildrenlivingathome.com von Christina Newberry sind Finanzen schon auf der Startseite Thema. Die Kanadierin ist selbst Bumerangkind. Sie ist erst mit 21 und dann noch mal nach einer Scheidung mit 29 Jahren wieder bei den Eltern eingezogen. Mittlerweile verkauft sie Ratgeber zum Ärger mit erwachsenen Kindern im Haus. Zum Thema Geld hat sie besonders viele Einträge in ihrem Blog, Titel wie "Wie viel Miete Sie von Ihrem erwachsenen Kind verlangen sollten" werden oft angeklickt.

Dass Geld jedoch vom Einzugsgrund zum Streitthema wird, hat verschiedene Gründe. Gerade wenn das Sparen die einzige Motivation ist, gibt es leicht Ärger. Denn wer einzieht, um weniger Geld auszugeben, wird nicht freudig Scheine für den Einkauf hinlegen. Manchen Kindern sind Zusatzkosten, die sie verursachen, nicht bewusst - und das in einer Phase, in der Eltern für ihre Altersvorsorge arbeiten. Sind sich dann noch Vater und Mutter uneinig, wie sie mit dem Kind umgehen sollen, wird daraus schnell ein Dauerstreit.

Zudem ist Geld oft ein Tabuthema. Die wenigsten haben als Kinder mit ihren Eltern über Geld gesprochen, umso schwerer fällt es, das als Erwachsener zu thematisieren. "Das offene Wort darüber, was die Familie hat, wie viel sie braucht und wie sie mit Geld umgehen will, ist selten", sagt Erziehungsberater Hutter. Zudem verdeutlichen die Finanzen das neue Ungleichgewicht: Früher konnte ein dreckiges Zimmer mit Taschengeldentzug geahndet werden, bei einem Erwachsenen mit eigenem Einkommen funktioniert das schlecht.

Zu praktischen Frage wie der, welche Miethöhe man für ein Zimmer berechnet, kommen emotionale Fallstricke: Den Kindern ist es unangenehm, den Eltern auf der Tasche zu liegen. Andererseits haben die Eltern ein schlechtes Gewissen, Geld zu verlangen - es widerspricht ihrem Verständnis, für die Kinder da zu sein. "Ich habe mehrfach angeboten, Miete zu zahlen oder mich zumindest an den Nebenkosten zu beteiligen", erzählt Franziska B. Ihre Mutter habe sich dann dagegen entschieden, das anzunehmen. "Das wäre schäbig", waren ihre Worte.

Wer Geld und Wohnung stellt, möchte auch die Regeln für den Alltag bestimmen

Gleichzeitig ist finanzielle Beteiligung ein Ausdruck von Autonomie. Franziska B. kauft öfter Lebensmittel, von denen sie weiß, dass sich ihre Eltern sie nicht leisten würden. Und besorgt Kleinigkeiten. "Dann machen meine Eltern oft einen furchtbaren Aufstand und versuchen ernsthaft, mir die zwei Euro, die ich für Brot bezahlt habe, zu ersetzen", erzählt sie. Wenn Eltern diese Eigenständigkeit nicht zulassen, greift ein Prinzip, das Christoph Hutter "Kontrolle durch Versorgung" nennt. Denn Geld ist Macht. Und nicht wenige Eltern denken, dass sie sich auch in den Alltag einmischen dürfen, wenn sie ihn mitfinanzieren. Bei Franziska B. hat das zwar noch nie zu Streit geführt, und sie fühlt sich respektiert von ihren Eltern. "Aber als ich zwischen zwei Stellen ein paar Monate Pause zum Reisen gemacht habe, war schon zu spüren, dass ihnen dieses lange Nichtstun missfällt und sie sich sorgen, auf welchem Weg ihr Kind hier ist", erzählt Franziska B. "Solche Gedanken hab' ich da zum Beispiel in ihren Gesichtern gelesen, wenn ich mal den halben Tag Zeitung lesend im Wohnzimmer rumlag."

Mittlerweile gibt es viele Beratungsangebote und Literatur für Nesthocker und ihre Eltern. Christina Newberry hat sogar einen "Haushaltsbudgetrechner" kreiert. "Er ermöglicht Ihnen, die schwierigen finanziellen Herausforderungen zu meistern, die mit erwachsenen Kindern in Ihrem Haushalt einhergehen", wirbt sie auf ihrer Website. Das pure Rechnen, so Christoph Hutter, reicht jedoch nicht, um Konflikten vorzubeugen. Denn Kosten sind bei den Streitereien oft nur Projektionsfläche. "Am Geld werden Sachen ausgetragen, die da nicht hingehören", sagt der Pädagoge. Erst vor Kurzem hatte er wieder einen Vater vor sich, der seitenweise vorrechnete, was seine Kinder ihn kosten. "Aber eigentlich ging es um Kontrolle und darum, dass er als Vater akzeptiert werden wollte."

Nur klare Regeln schaffen einen Alltag, der alle Generationen glücklich macht

Expertin Newberry rät zu klaren Regeln. "Das ist der einzige Weg, wie alle glücklich im Haus zusammenleben können", sagt sie. Auf ihrer Website gibt es sogar einen Vertrag, den man - gegen Geld natürlich - herunterladen kann. Christoph Hutter hält nicht die Verschriftlichung für nötig, sondern ein Bewusstsein für die Situation: Erwachsene ziehen mit Erwachsenen zusammen, also sollte man WG-artige Bedingungen gemeinsam aushandeln. "Manche sind entsetzt und finden, man könnte etwas Inniges wie Familie nicht mit etwas Profanem wie einer WG vergleichen", sagt er. "Aber nur so, und nicht mit Hotel Mama, kann es klappen." Wie in einer WG müsse es beim Geld gerecht zugehen: "Wenn einer das Klapprad draußen stehen hat und der andere den 5er BMW, muss sich das in der Miete niederschlagen", sagt er. Können die Kinder kein Geld zahlen, sollten sie Aufgaben übernehmen. Vor allem aber müsste man, so Hutter, viel reden. Und zwar wenn die Stimmung gut ist, am Sonntagnachmittag, bei Cappuccino auf der Terrasse. "Das ist sinnvoller, als im Streit zu brüllen: Und außerdem will ich jetzt 500 Euro Miete." Funktionieren könne das Zusammenleben seiner Auffassung nur, wenn es "gute Rahmung habe und zeitliche Eingrenzung". Langfristig, ist der Pädagoge überzeugt, sollte man ohnehin getrennt leben. Unabhängigkeit voneinander sei die beste Grundlage für eine gute Beziehung.

Für Franziska B. ist es mittlerweile selbstverständlich, in einer besonderen WG zu leben. Trotzdem hat sie es in ihrer neuen Firma nicht erzählt. Und wenn es doch zur Sprache käme, dass sie im Hotel Mama wohnt, ohne Erklärung würde sie das nicht stehen lassen: "Ich würde erklärende und rechtfertigende Sätze hinzufügen wie: Im Moment bin ich unter der Woche eh im Hotel."

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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