Freie Bahn im Freistaat:"Bayern wird zum Eldorado für Anlagebetrüger"

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In den Fällen Comroad, EM.TV und Infomatec haben Staatsanwälte in Bayern die Skandale am Neuen Markt konsequent strafrechtlich aufgearbeitet. Doch der Eifer lässt offenkundig nach.

Daniela Kuhr

Die Urteile konnten sich sehen lassen: "Sieben Jahre Haft für Comroad-Gründer", "Geldstrafen für Haffa-Brüder" und "Haftstrafen im Fall Infomatec" - so lauteten die Schlagzeilen nach den spektakulären Strafverfahren vor den Landgerichten München und Augsburg in den Jahren 2003 und 2004. Damals erwarb sich die bayerische Justiz den Ruf, die Anlegerskandale am Frankfurter Börsensegment Neuer Markt konsequent strafrechtlich zu verfolgen.

Anstatt den hölzernen Hammer zu schwingen, lassen ihn viele bayerische Richter in Sachen Anlagebetrug lieber liegen. (Foto: Foto: dpa)

Inzwischen scheint das Interesse der Strafverfolger im Freistaat erlahmt zu sein. Mehrfach haben sie in letzter Zeit Ermittlungen wegen Kapitalanlagebetrugs eingestellt - mit der Begründung, die Straftaten seien bereits verjährt.

Verjährung

Nach dem Strafgesetzbuch verjährt Kapitalanlagebetrug zwar erst nach fünf Jahren. Doch die Staatsanwälte bedienten sich einer Vorschrift, die es so nur in Bayern gibt: Artikel 14 des Bayerischen Pressegesetzes. Nach diesem verjähren Straftaten, "welche durch Verbreitung von Druckwerken strafbaren Inhalts begangen werden", schon nach sechs Monaten.

Und da Kapitalanlagebetrug in aller Regel mittels "Druckwerken", zum Beispiel Prospekten, begangen wird, verjährt er nach Ansicht der Staatsanwälte in Bayern schon nach einem halben Jahr. "In den Pressegesetzen der anderen Bundesländer ist das anders geregelt", sagt der Münchner Anwalt Peter Mattil.

Der Süddeutschen Zeitung liegen drei Bescheide aus den vergangenen zwölf Monaten vor, in denen Münchner Staatsanwälte Ermittlungen wegen Kapitalanlagebetrugs mit Hinweis auf die kurze Verjährungsfrist abgelehnt haben.

"Der Freistaat entwickelt sich inzwischen tatsächlich zu einem Eldorado für Kapitalanlagebetrüger", sagt Mattil. Damit spielt der auf Kapitalanlagerecht spezialisierte Jurist auf eine Aussage des Richters an, der im Infomatec-Prozess im Jahr 2003 den Vorsitz am Landgericht Augsburg hatte.

Kapitalbetrüger und Börsenschwindler

Damals hatten die Verteidiger der beiden Ex-Vorstände des Software-Unternehmens geltend gemacht, der Vorwurf des Kapitalanlagebetrugs sei wegen des bayerischen Pressegesetzes bereits verjährt. Doch der Vorsitzende Richter Rainer Brand lehnte die Argumentation ab: Bayerns Pressegesetz enthalte, was die Anwendbarkeit der Verjährungsfristen betreffe, eine Lücke, "die dem Gesetzgeber offensichtlich nicht bewusst war". Es sei nicht vorstellbar, dass es der Wille des Gesetzgebers war, Bayern zum "Eldorado für Kapitalbetrüger und Börsenschwindler" werden zu lassen, entschied der Richter. Die bayerische Staatsregierung begrüßte das damals und sprach von einer "zutreffenden Auslegung" durch das Gericht.

Bei den Staatsanwaltschaften sieht man das mittlerweile offenbar anders - und höhere Ebenen folgen der Auffassung. So vertrat der Generalstaatsanwalt in München in einem Bescheid vom Januar die Ansicht, in Bayern gelte für Kapitalanlagebetrug die kurze Verjährungsfrist.

Regierung bleibt untätig

Das Oberlandesgericht München kam in einem Beschluss vom April ebenfalls zu diesem Ergebnis. Trotzdem sieht die Staatsregierung keinen "drängenden Gesetzgebungsbedarf", wie aus einem der SZ vorliegenden Schreiben aus dem Justizministerium hervorgeht.

"Es wäre schon wünschenswert, wenn man das im Bayerischen Pressegesetz klarstellen würde", sagt dagegen der Münchner Oberstaatsanwalt Stephan Reich. "Denn momentan spielt die Strafvorschrift des Kapitalanlagebetrugs in Bayern so gut wie keine Rolle." In den meisten Fällen allerdings werde gleichzeitig wegen des allgemeinen Vorwurfs des Betrugs ermittelt, "und der verjährt auch in Bayern erst nach fünf Jahren", sagt Reich.

Den Einwand will Mattil nicht gelten lassen. "Die Vorschrift des Kapitalanlagebetrugs wurde ja gerade geschaffen, weil sich dieser Vorwurf deutlich leichter ermitteln und beweisen lässt als der des allgemeinen Betrugs."

Nur ein Prospekt mit falschen Angaben

Für Kapitalanlagebetrug braucht es - etwas vereinfacht ausgedrückt - nur einen Prospekt, in dem falsche Angaben stehen. "Für den allgemeinen Betrug dagegen braucht man eine Täuschung, einen Irrtum und eine Vermögensverfügung, alles Dinge, die sich nur mit großem Aufwand beweisen lassen", sagt Mattil. "In Bayern sieht das derzeit im Ergebnis so aus, dass die Staatsanwälte die Ermittlungen einstellen, weil sie einerseits den allgemeinen Betrug nicht beweisen können und andererseits den Kapitalanlagebetrug für verjährt halten."

"Früher hatte man den Eindruck, die Staatsanwälte in Bayern schlagen gnadenlos zu, doch der Eindruck hat sich geändert", sagt auch der Tübinger Anwalt Andreas Tilp, der auf die Rechte von Kapitalanlegern spezialisiert ist. Seine Kritik richtet sich allerdings nicht nur gegen Staatsanwälte, sondern vor allem gegen die Zivilgerichte. Auch die griffen "dankbar auf noch so entfernte Argumentationen im Hinblick auf die deutschen Verjährungsvorschriften zurück". Für Tilp steht deshalb fest: "Die anlegerfeindlichsten Gerichte finden sich in Bayern und da speziell in München."

© SZ vom 9.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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