Finanzplanung:Teure Wissenslücken

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Wenn es ums Geld geht, haben die Deutschen Nachholbedarf. Experten fordern deshalb, schon in den Schulen besser über Finanzthemen zu informieren.

Simone Gröneweg

Einige Finanzwissenschaftler würden die Deutschen wohl am liebsten ins Trainingslager rund ums Geld schicken. "Wir müssen die Leute fit machen", sagt jedenfalls Michael-Burkhard Piorkowsky, Professor für Konsumökonomik an der Universität Bonn. Er arbeitet an einem Konzept, wie Finanzwissen schon in den Schulen besser vermittelt werden kann.

Finanzwissen könnte in der Schule vermittelt werden. (Foto: Foto: AP)

Das ist offensichtlich dringend nötig: In den vergangenen Jahren untersuchten unter anderem die Commerzbank und die Bertelsmann-Stiftung, wie gut sich die Deutschen in finanziellen Fragen auskennen. Das niederschmetternde Ergebnis: Viele sind quasi finanzielle Analphabeten.

Wenn es um das Thema Geldanlage geht, kennen sich viele Bürger nicht aus. Fonds und Aktien sind ihnen fremd. Auch beim Thema Versicherungen und Kredite fehlt es an Wissen. "Viele Bildungsinhalte sind einfach nicht auf den Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet", bewertet Edda Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, den Schulunterricht.

Anforderungen steigen

Das ist fatal, denn die Anforderungen an den Einzelnen beim Thema Finanzen steigen ständig. So schraubt der Staat seine Leistungen kontinuierlich zurück. Die gesetzliche Rente wird gekürzt. Wer arbeitslos wird, erhält unter Umständen nur ein Jahr Arbeitslosengeld. Die Universitätsausbildung der Kinder wird künftig wohl Geld kosten. Hinzu kommt, dass die Biografien brüchiger werden. Arbeitsplatzwechsel, Arbeitslosigkeit, Scheidung - vor dreißig Jahren waren solche Ereignisse eher die Ausnahme, mittlerweile sind sie fast schon die Regel. Dadurch entstehen finanzielle Engpässe, die überbrückt werden müssen, während gleichzeitig die langfristige Altersvorsorge geplant werden muss.

Die Menschen müssten lernen, wie Investoren zu denken, heißt es bei Finanzberatern und Verbraucherschützern. "Jeder muss schätzen, wie viel Einkommen ihm im Laufe seines Lebens zur Verfügung steht und es optimal mit Hilfe von Finanzdienstleistungen über die Jahre verteilen", sagt Udo Reifner, Leiter des Instituts für Finanzdienstleistungen in Hamburg. Zur Orientierung in Finanzfragen bräuchten die Leute zunächst mal mehr Wissen, sagt Piorkowsky. Vor allem die Sicherheit einer Anlage müssten sie einschätzen lernen, um ihr Geld nicht durch riskante Anlagen zu verlieren.

Und das gilt mittlerweile auch für Menschen, die sich vor Jahren mangels Vermögen gar nicht mit komplexen Finanzprodukten auseinandersetzen mussten, denn sie konnten auf das soziale Sicherungssystem zählen. "Die Gesellschaft fordert nunmehr eine langfristige Finanzplanung auch für die Einkommensgruppen, die sich früher über das Thema Geld anlegen keine Gedanken machen mussten", sagt Verbraucherschützerin Müller.

Anzahl der Überschuldungen steigt

Für viele wird nun die Mischung aus schwindender staatlicher Absicherung, anspruchsvollen Konsumwünschen und fehlender Übersicht in Gelddingen zum finanziellen Drama: So sind schätzungsweise 3,5 Millionen Haushalte in Deutschland überschuldet; Tendenz steigend. Ihre Schulden sind so hoch, dass ihr Einkommen nicht mehr ausreicht, um die Rechnungen zu begleichen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug die Zunahme der privaten Insolvenzen im ersten Quartal 2006 im Vergleich zum Vorjahr etwa 50 Prozent. Das Inkassounternehmen Seghorn befragte im vergangenen Jahr fast 2000 Personen zu den Gründen ihrer Insolvenz. Am häufigsten wurden Arbeitslosigkeit und unwirtschaftliche Haushaltsführung genannt. "Häufig ignorieren die Menschen etwa den Faktor Zeit", beklagt der Finanzexperte Reifner. Kaufe jemand zum Beispiel einen Gebrauchtwagen, blicke er oft nur auf die Höhe der monatlichen Rate und denke nicht darüber nach, wie lange er die Raten zahlen müsse.

Reifner warnt jedoch davor, den Betroffenen selbst die Schuld zu geben. "Man muss auch die andere Seite betrachten. Banken, Versicherungen und Vermittler werben ständig mit neuen Produkten, die manchmal selbst für Fachleute nicht zu durchschauen sind. Noch schlimmer: Notsituationen werden vereinzelt von Finanzanbietern regelrecht ausgenutzt. Das zeigen viele Umschuldungen". Könne der Kunde einen Kredit nicht mehr bezahlen, bekäme er den nächsten - verbunden mit zusätzlichen Kosten. "Im Extremfall zahlt er mehr Zinsen und Gebühren als er sich an Geld geliehen hat", sagte Reifner.

Damit es gar nicht erst so weit kommt, brauchen die Verbraucher eine gute Unterstützung - doch die ist selten. Es bieten zwar ungefähr 500.000 Versicherungsvertreter und 100.000 Berater von Banken und Finanzvertrieben ihre Dienste an. Weil sie jedoch in der Regel an der Vermittlung einzelner Produkte verdienen, raten sie gerne zu dem Produkt, das viel Provision bringt. Auf die Vermittlung an sich wichtiger Produkte wird jedoch verzichtet: So hat zum Beispiel ein Drittel der Haushalte keine private Haftpflichtversicherung. Diese Police sollte aber eigentlich nicht fehlen.

Angesichts solcher Lücken muss sich bei Finanzanbietern und Kunden etwas ändern. Der Hamburger Wissenschaftler Reifner gibt den Verbrauchern deshalb zunächst einen ganz einfachen Rat: "Stellt den Beratern und Vermittlern kritische Fragen!"

© SZ vom 29.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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