Finanzmärkte:Vom Immobilien-Lotto zum Rohstoff-Roulette

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Weil der US-Hypothekenmarkt eingebrochen ist, zieht es internationale Spekulanten an die Rohstoffbörsen - sie wetten auf Erdöl.

Andreas Oldag

Der nüchterne Bürokomplex im Londoner Vorort Weybridge verkörpert nicht gerade ausschweifenden Luxus. Doch die Mitarbeiter der Investmentfirma QCM, die hier ihren Sitz hat, verschieben mit einem Mausklick Millionen Euro rund um die Welt.

Einen Mangel an Selbstbewusstsein lässt sich QCM-Gründer Aref Karim daher nicht nachsagen. Für ihn seien ohnehin nur Renditen von mindestens 20 Prozent interessant, erklärt der publikumsscheue Fonds-Manager.

Sein Geld verdient der Ferrari-Fahrer als Öl- und Rohstoffspekulant. Diese illustre Szene wettet auf Preisschwankungen an den internationalen Handelsplätzen. Ihre Spielwiesen sind vornehmlich weitgehend unregulierte Börsen wie zum Beispiel die Intercontinental Exchange (ICE) in Atlanta.

Vom Immobilienmarkt an die Rohstoffbörse

Der Einbruch am amerikanischen Hypothekenmarkt lenkte die Aufmerksamkeit der Finanzjongleure noch stärker auf Terminkontrakte mit Öl, Erdgas und anderen Rohstoffen.

Vor allem US-Hedge-Fonds, die lange die Rendite durch Kreditderivate aufpeppten, schichten ihre Investments um. Vieles spricht nach Ansicht von Londoner Analysten dafür, dass der Rekordpreis im Juli für Rohöl von 79,45 Dollar pro Barrel - ein Barrel entspricht 159 Litern - auf Spekulation zurückgeht.

Nach einer kurzen Entspannung am Ölmarkt Ende August ist der Preis an der New Yorker Rohstoffbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) derzeit wieder auf etwa 74 Dollar je Barrel gestiegen (Chart).

Es seien in erster Linie Hedge-Fonds und Ölspekulanten, die die Preise derzeit auf eine Achterbahnfahrt von Auf- und Abwärtsbewegungen schickten, meint Jason Schenker, Rohstoff- und Energieanalyst bei der amerikanischen Bank Wachovia.

Spekulation könnte den Ölpreis um etwa zehn Prozent steigen oder fallen lassen. Der Einfluss der Opec, des Kartells der Förderländer, auf die Preise werde hingegen überschätzt.

Die Spekulanten lockt, dass die Nachfrage nach Energie und Rohstoffen in den vergangenen Jahren kräftig zulegte. Dazu beigetragen haben der Boom der Weltwirtschaft und der große Bedarf in Schwellenländern wie China und Indien. Nicht nur Hedge-Fonds, sondern auch US-Investmentbanken haben deshalb den Handel mit Öl- und Rohstoffderivaten für sich entdeckt: Gehandelt wird mit der angenommenen Nachfrage von morgen.

Es geht also um Prognosen, was zum Beispiel China oder Indien künftig bereit sind, pro Barrel Öl zu zahlen. Die Preise für die Derivate wirken dann auf die Preise an den Spotmärkten zurück. Analysten schätzen, dass allein die Banken Goldman Sachs und Morgan Stanley im Energie- und Rohstoffhandel 2006 auf mehr als zwölf Milliarden Dollar Umsatz kamen.

Häufig findet das Geschäft mit den Öl- und Rohstoffpapieren nicht an der Börse statt, sondern "Over the Counter'' (OTC), also im direkten Kontakt zwischen Händlern, Banken und Hedge-Fonds. Das Problem: Mögliche Risiken werden so lange hin und her geschoben, bis niemand mehr den Überblick hat.

Das war etwa beim inzwischen geschlossenen US-Hedge-Fonds Amaranth Advisors im vergangenen Jahr der Fall. Amaranth-Rohstoffhändler Brian Hunter hatte ein zu großes Rad gedreht.

Schlecht gewettet

Sechs Milliarden Dollar Verluste türmten sich auf, weil der 33-Jährige Wetten auf steigende Erdgaspreise abgeschlossen hatte. Die Preise sanken jedoch. Das ganze Ausmaß des Desasters wurde jetzt in einer Untersuchung des US-Senats deutlich:

Amaranth hielt zeitweise mehr als 100.000 Terminkontrakte für Erdgas. Das entsprach mehr als 20 Prozent des Jahresverbrauchs der amerikanischen Privathaushalte.

Trickreich verstand es Hunter, die Kontrakte von der stärker regulierten Nymex zur Intercontinental Exchange (ICE) in Atlanta zu verschieben. Bei dieser elektronischen Handelsplattform sei Kontrolle ein Fremdwort, hieß es im Untersuchungsausschuss. Die Senatoren fordern nun, dass für die ICE die gleichen strengen Maßstäbe wie für die Nymex gelten sollen, das heißt, dass Abschlüsse von einer bestimmten Größe an offengelegt werden.

Die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein tritt außerdem für schärfere Kontrollen von OTC-Geschäften ein. "Es sind die Verbraucher, die am Ende für die riskanten Spekulationen zahlen müssen'', sagt die Politikerin.

Gegen Hunter ermittelt die US-Aufsichtsbehörde Federal Energy Regulatory Commission wegen Marktmanipulation. Ihm droht Berufsverbot, doch er ist sich keiner Schuld bewusst. Der gebürtige Kanadier hat bereits einen neuen Hedge-Fonds gestartet.

Sein Name: Solengo Capital Advisors. Leider werde die Firmengründung durch üble Nachrede wegen seiner Vergangenheit bei Amaranth belastet, beschwert sich Hunter. Er will im großen Casino der Öl- und Erdgaskontrakte weiterhin eine große Nummer sein.

© SZ Primetime vom 04.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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