Finanzkrise:"Schwarzer Dienstag" an den Börsen

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Der zweite Tag nach dem Beben in New York: Erneut verliert der Dax - und auch an den asiatischen Börsen fallen die Kurse. Verzweifelt versucht die japanische Zentralbank, gegenzusteuern.

Der zweite Tag nach dem Beben in New York: Erneut verliert der Dax deutlich - und auch die asiatischen Börsen erleben einen Kurssturz.

Amerikas "Schwarzer Montag'" erreichte nun auch die Börse in Hongkong. (Foto: Foto: AP)

Der Schock nach der Pleite von Lehman-Brothers sitzt tief. Sehr tief. Noch immer sind die Folgen zu spüren, auch in Frankfurt. An der Deutschen Börse verlor der Dax erneut an Boden. Bereits zu Handelsbeginn fiel er um 1,6 Prozent auf 5965 Punkte, womit er nur knapp über dem am Vortag erreichten Zwei-Jahres-Tief von 5942 Zähler notierte. Aktienhändler hatten bereits prophezeit, die 6000-Punkte-Marke werde nur schwer zu halten sein. Auch der MDax verlor 1,14 Prozent auf 7674,41 Zähler. Der TecDax stand 2,03 Prozent tiefer bei 723,52 Punkten.

Besonders betroffen waren erneut die Finanzwerte. Die Aktien der Allianz fielen um fast fünf Prozent, der der Deutschen Bank um über drei Prozent und die der Commerzbank um über sechs Prozent.

An der Londoner Börse sackte der Leitindex FTSE-100 am Dienstagmorgen nach Handelsbeginn um 1,5 Prozent auf 5127 Zähler ab. Auch in Paris gab der Leitindex CAC-40 nach und fiel nach Börseneröffnung um 1,7 Prozent auf 4098 Punkte.

Auch in Japan ist das Beben zu spüren. Direkt war der spektakuläre Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers nicht zu spüren, da am Montag die Börsen vieler asiatischer Länder wegen eines Feiertags geschlossen hatten. Nun jedoch werden auch diese Länder mit voller Wucht getroffen. Neben dem japanischen Nikkei, der nach einem Feiertag am Dienstag zeitweise um 4,6 Prozent stürzte, waren auch die Börsen in Australien und Südkorea im frühen Handel tief in den roten Zahlen.

Nikkei stürzt ab

Der S&P/ASX-Index in Sydney verlor mehr als 2,5 Prozent, der Kospi in Südkorea mehr als 5,3 Prozent. Der ST Index in Singapur eröffnete gut drei Prozent schwächer.

In Tokio stürzte der 225 führende Werte umfassende Nikkei gleich zum Handelsauftakt erstmals seit März unter die psychologisch wichtige Marke von 12.000 Punkten. Um 09.22 Uhr Ortszeit notierte das Börsenbarometer einen Verlust von 563,59 Punkten oder 4,61 Prozent auf den Zwischenstand von 11 651,17 Punkten. Am Montag waren die japanischen Aktien- und Finanzmärkte wegen eines nationalen Feiertages geschlossen.

Unterdessen pumpte die japanische Zentralbank Medienberichten zufolge 1,5 Billionen Yen (zehn Milliarden Euro) in den Finanzmarkt. Notenbankgouverneur Masaaki Shirakawa erklärte, sein Institut werde sich weiterhin bemühen, die Märkte zu stabilisieren. Die Bank von Japan (BoJ) beginnt am Dienstag unter dem Eindruck der Krise in den USA ihr zweitägiges Zentralbankratstreffen. Ökonomen erwarten, dass die Notenbank ihren Zinssatz von 0,5 Prozent unverändert lässt.

Dow Jones auf historischem Tief

Nach der US-Bankenpleite hatten die Finanzmärkte in den USA einen "schwarzen Montag" erlebt. Der US-Leitindex Dow Jones erlitt zum Börsenschluss am Montagabend (Ortszeit) in New York den stärksten Einbruch seit der Wiederaufnahme des Handels nach den Terrorattacken vom 11. September 2001. Angesichts der Hiobsbotschaften durch die Insolvenz von Lehman Brothers und die Übernahme von Merrill Lynch durch die Bank of America verlor der Dow Jones 4,42 Prozent auf 10917,51 Punkte.

Die drei wichtigsten Rating-Agenturen der Welt haben unterdessen den angeschlagenen US-Versicherungsriesen AIG herabgestuft. Moody's senkte ihre Bewertung auf A2 von Aa3, Standard & Poor's auf A-Minus von AA-Minus und Fitch auf A von AA-Minus. Alle drei Institute erklärten, weitere Herabstufungen könnten folgen.

AIG hat infolge der Kreditkrise deutliche Kursverluste erlitten. Sollten Rating-Agenturen die Bonität der weltweit zweitgrößten Versicherung über einen gewissen Punkt hinaus herabstufen, könnten Geschäftspartner ihr Kapital abziehen. Dies könnte Medien zufolge die Überlebensfähigkeit des Konzerns gefährden.

Der Gouverneur des Bundesstaates New York, David Paterson, sieht nach dem Kollaps der Bank Lehman Brothers bis zu 30.000 Stellen an der Wall Street in Gefahr. Die ganzen Auswirkungen der Krise dürften erst in Monaten oder gar Jahren klarwerden, sagte er. Nach Angaben des New Yorker Arbeitsamts seien im Juli 181.000 Menschen an der Wall Street beschäftigt gewesen, 11.000 weniger als im Vorjahr. Jede Stelle im Finanzsektor schafft Experten zufolge bis zu vier weitere Arbeitsplätze.

Merrill Lynch und der Bank of America drohen in Folge der 50 Milliarden Dollar schweren Fusion inzwischen ein Gerichtsverfahren. Eine New Yorker Rechtsanwaltskanzlei kündigte im Namen eines Aktionärs an, gegen beide Institute vor dem Obersten Gericht des Staates New York einen Anlegerprozess anstrengen zu wollen. Grund dafür seien die unfairen Bedingungen der Transaktion gegenüber den Aktionären.

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Deutsche Finanzexperten und Politiker sind sich in der Bewertung des jüngsten Höhepunkts der Finanzkrise in den USA nicht einig. Der Bankenexperte Wolfgang Gerke sagte, er rechne nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers mit einem baldigen Ende der Turbulenzen.

Gerke sagte, der schlimmste Teil der Krise sei vorbei. "Ich war einer der ersten, die das Ausmaß der Krise vorhergesehen und davor gewarnt haben, dass sie auch auf die Realwirtschaft durchschlagen wird. Jetzt aber sage ich - vielleicht auch wieder als einer der ersten - dass es Anlass für die Hoffnung gibt, dass wir dem Ende der Krise entgegensteuern", sagte er.

Der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, rief zu Gelassenheit auf. Dagegen sah der Leiter des Center for Financial Studies, Jan Pieter Krahnen, auch deutsche und europäische Geldinstitute in Gefahr.

Die US-Regierung habe es abgelehnt, Lehman Brothers zur Seite zu springen, und so gezeigt, dass die Banken sich nicht auf eine staatliche Rettung verlassen können. Es sei richtig, dass die Europäische Zentralbank Geld in den Markt pumpe, um diesen zu beruhigen. "Man muss es nur rechtzeitig wieder herausziehen", mahnte der Experte.

Schließlich sei die US-Notenbank nicht unschuldig an der Krise. "Sie hat zu viel Geld in den Mark geschleust", sagte Gerke. Die Krise werde auch Gewinner hervorbringen. Banken wie Goldman Sachs oder die Bank of America, die sich vergleichsweise wenig am Markt für zweitklassige Immobilienkredite engagiert hätten, seien nun in der Lage, diese Kredite günstig aufzukaufen.

Straubhaar sagte, in Deutschland müsse keine Panik ausbrechen. "Wenn der Dax um vier Prozent abstürzt, heißt das noch lange nicht, dass die deutsche Konjunktur in gleichem Maße betroffen sein wird", sagte er. "Diese neue Welle der Finanzkrise wird hierzulande allenfalls geringe Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben. Wachstumsprognosen werden maximal um einige wenige Prozentpunkte nach unten zu revidieren sein."

Dem Ökonom zufolge ist Deutschland gut gegen Krisen gerüstet. "Wir werden diese Rezession deutlich weniger zu spüren kriegen als alle anderen US-Rezessionen aus der Nachkriegszeit, weil wir besser als je zuvor für diese Herausforderung gerüstet sind", sagte Straubhaar. Deutschland habe begonnen, den Staatshaushalt zu sanieren und wichtige Strukturreformen am Arbeitsmarkt vorgenommen.

Ansteckungsrisiko für den Markt der Kreditderivate

Krahnen sagte, zwar habe sich die direkte Ansteckungsgefahr für deutsche Banken durch Lehman Brothers' Insolvenzantrag nicht erhöht. Sehr groß sei aber das indirekte Ansteckungsrisiko über den Markt für Kreditderivate, sogenannte Credit Default Swaps (CDS), auf dem auch der angeschlagene US-Versicherer AIG und Lehman Brothers tätig seien.

"Wenn das Vertrauen in den CDS-Markt erschüttert ist, wird das auch für die europäischen und deutschen Banken sehr unangenehme Folgen haben", sagte Krahnen. Auch die Aufsichtsbehörden seien mit den sehr komplexen Kreditderivaten überfordert gewesen. "Diese Undurchschaubarkeit war von manchen Banken durchaus gewollt", sagte Krahnen. "Es ging oft auch darum, Risiken an Parteien zu verschieben, deren Risikomanagement weniger gut war."

Überschattet von der weltweiten Bankenkrise beginnt der Bundestag mit den Beratungen über den Haushalt für 2009. Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die schwächere Konjunktur können die Etatziele der Koalition gefährden. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) strebt trotz der Risiken und steigender Ausgaben eine weitere Senkung der Neuverschuldung an. Sein Entwurf sieht bei Gesamtausgaben von 288,4 Milliarden Euro neue Schulden von 10,5 Milliarden vor. Endgültig verabschiedet werden soll der Bundeshaushalt Ende November.

Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel rechnet damit, dass sich die negativen Auswirkungen des "Schwarzen Montags" an den Börsen allein für den Bund auf zehn Milliarden Euro bis 2012 belaufen könnten. Das sagte sie der Passauer Neuen Presse.

Zugleich kritisierte Scheel den Haushaltsplan 2009. Die konjunkturell gute Situation der vergangenen drei Jahre sehe man der Finanzplanung nicht an: "Es wurde keine Vorsorge getroffen, nicht gespart, kaum Schulden reduziert."

© sueddeutsche.de/dpa/Reuters/ssc/mel/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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