Finanzkrise: Heiner Flassbeck im Interview:"Nur ein Wunder könnte eine Rezession verhindern"

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Der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Heiner Flassbeck, über in den USA verbrannte Milliarden, die fundamentale Fehlentwicklung im Finanzsystem, die Unterschiede zu früheren Krisen - und warum es ohne Banken dann doch nicht geht.

Melanie Ahlemeier

Der studierte Volkswirt Heiner Flassbeck arbeitet seit dem Jahr 2000 bei der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) in Genf, seit knapp drei Jahren als Direktor der "Division on Globalization and Development Strategies". In den Jahren 1980 bis 1986 war der heute 57-Jährige im Bundeswirtschaftsministerium tätig, anschließend übernahm er bis 1998 die Leitung der Abteilung Konjunktur am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Von Oktober 1998 bis April 1999 war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter der Leitung von Oskar Lafontaine, Flassbecks Schwerpunkt: internationale Finanz- und Währungsfragen sowie Europapolitik. Mitte bis Ende der siebziger Jahre war Flassbeck, der an der Freien Universität Berlin zum Thema "Preise, Zins und Wechselkurs - Zur Theorie der offenen Volkswirtschaft bei flexiblen Wechselkursen" promovierte, Mitarbeiter im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Vor drei Jahren wurde er zum Honorarprofessor an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (heute zur Universität Hamburg gehörend) ernannt. Flassbeck hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt im September vergangenen Jahres "Das Ende der Massenarbeitslosigkeit".

Heiner Flassbeck: "Alle haben geglaubt, sie könnten aus Nichts Geld machen." (Foto: Foto: Schölzel)

sueddeutsche.de: Herr Flassbeck, das Vertrauen der amerikanischen Verbraucher ist so gering wie seit fünf Jahren nicht mehr, die Aussichten sind finster: Ist das schon die vielbeschworene US-Rezession?

Heiner Flassbeck: Das kann man so sagen. Nur ein Wunder könnte eine Rezession noch verhindern. Es gibt eine Abschwächung der US-Wirtschaft, die sehr ernst genommen werden muss.

sueddeutsche.de: Die USA machen nicht die erste Krise durch. Was genau unterscheidet diese Krise von den vorherigen?

Flassbeck: Als 1999/2000 die Internet-Blase platzte, hatten wir die Dotcom-Krise mit hohen Wertverlusten. Das ist vergleichbar mit dem, was jetzt passiert - doch diesmal sind offensichtlich die systemischen Risiken, also die Risiken für das Finanzsystem, wesentlich größer als damals. Dieses Mal stehen viel mehr Milliarden im Feuer. Und es wurden Risiken rund um die Welt gestreut, ohne dass man auch nur eine Ahnung davon hatte, wie gefährlich das ist.

sueddeutsche.de: Die aktuelle Krise gleicht einem Virus, der von einem Sektor auf den nächsten überspringt. Mit der US-Hypothekenkrise fing es an, später kam heraus, dass sich selbst scheinbar seriöse Landesbanken massiv im Milliardengeschäft mit Immobilienkrediten verspekuliert hatten. Eine Folge des Größenwahns?

Flassbeck: Ja, das war schon eine Art Größenwahn. Alle haben geglaubt, sie könnten aus nichts Geld machen.

sueddeutsche.de: Sie haben dafür mal den Begriff des "modernen Alchemismus" geprägt.

Flassbeck: Menschen haben geglaubt, sie könnten die Renditen bis zum Gehtnichtmehr hochjubeln - und haben überhaupt nicht begriffen, dass diese Renditen nicht im Finanzsystem, sondern in der Realwirtschaft erzeugt werden müssen. Das Finanzsystem schafft solche Renditen nicht. Es ist eigentlich gar nicht produktiv, und es weist auch keine besonderen Produktivitätssteigerungen auf - im Gegensatz zu dem, was man uns immer erzählt.

sueddeutsche.de: Heutzutage wird oft von einer "Finanzindustrie" gesprochen - das klingt nach viel Produktivität.

Flassbeck: Der Begriff ist absurd, was da geschieht, hat mit Industrie nichts zu tun. Entweder machen Banken das Einlage-Kredit-Spiel, das heißt, sie nehmen Geld kurzfristig rein und leihen es langfristig aus. Oder aber - und das ist die neue populäre Variante - sie wetten wie im Kasino auf bestimmte wirtschaftliche Ereignisse und leihen sich dafür Geld. Banken haben sich hier wie Hedgefonds verhalten. Das Problem ist, dass die meisten Menschen immer noch an die gute alte Bank glauben, die es schon lange nicht mehr gibt.

sueddeutsche.de: Für viele Beobachter ist die aktuelle Krise eine Folge der amerikanischen Zinspolitik. Die US-Notenbank hat mit immer niedrigeren Zinsen das Geld immer billiger gemacht.

Flassbeck: Von dieser These halte ich überhaupt nichts. Erstens war die Fed auch in der Dotcom-Krise im Jahr 2000 in einer sehr schwierigen Situation; damals hat sie ganz alleine den Krisen-Verhinderer gespielt, während sich die Europäische Zentralbank - wie auch dieses Mal - weitestgehend herausgehalten hat. Zum Zweiten ist diese These, dass das Finanzsystem wegen niedriger Zinsen in die Irre läuft, einfach falsch - es handelt sich vielmehr um eine fundamentale Fehlentwicklung im gesamten Finanzsystem der Welt, die unabhängig vom kurzfristigen Zins ist.

sueddeutsche.de: Wo liegt Ihrer Meinung nach der Fehler im System?

Flassbeck: Die Krise ist im Kern Folge der Idee, die in der herrschenden ökonomischen Lehre immer noch zu 99 Prozent weltweit vertreten wird: Danach sind Finanzmärkte extrem effizient, sie machen praktische keine Fehler, sie sind weise in ihrer Voraussicht in die Zukunft. Im Zuge dieser Ideologie hat man den Akteuren vollkommene Freiheiten gelassen und nicht bedacht, dass immer bloß Schneeballsysteme entstehen, die den Staat am Ende zwingen, massiv in diese Finanzmärkte einzugreifen. Das ist eine uralte Weisheit. Finanzmärkte sind in einem ernsthaften volkswirtschaftlichen Sinne überhaupt nicht effizient.

sueddeutsche.de: Die Ökonomie käme also ohne das bestehende private Bankenwesen besser zurecht?

Flassbeck: Nein, ohne Banken geht es nicht, aber mit der "Bank-Beamten-Bank" alter Prägung ging es in Deutschland auch ganz gut. Wichtig ist, dass Unternehmen Kredite bekommen - das hat man auch mit einem scheinbar sehr ineffizienten Bankensystem hinbekommen. Heute werden unendlich viele Leute unheimlich hoch dafür bezahlt, dass sie irgendwelche Wetten abschließen und in der Gegend herumzocken - das ist in meinen Augen überhaupt nicht nötig.

Lesen Sie weiter, warum der Staat in etlichen Bereichen für Regulierung sorgen muss.

sueddeutsche.de: Haben Hedgefonds mit ihren stolzen Renditeerwartungen von 30 Prozent als Nächstes unter der US-Finanzkrise zu leiden?

Flassbeck: Manche Marktbeobachter sagen, dass es Hedgefonds bald nicht mehr geben wird. Das ist durchaus möglich. Die Menschen merken vielleicht, dass es so nicht funktioniert. Damit stirbt natürlich auch der Teil in den Banken, der nichts anderes getan hat, als die Hedgefonds zu imitieren und zu finanzieren. Ihre ganze Hebelwirkung war nur über die Kredite der Banken möglich.

sueddeutsche.de: Bereinigt sich der Markt selbst, wenn die Hedgefonds über die Klinge springen?

Flassbeck: In gewisser Weise ja - wenn die Hedgefonds über die Klinge gesprungen lassen werden. Und wenn der Staat nicht anfängt, die Subprime-Verbriefungen aufzukaufen, also die Lasten der amerikanischen Immobilienkredite auszugleichen.

sueddeutsche.de: Der Staat soll sich in dieser Frage heraushalten?

Flassbeck: Es ist immer eine schwierige Gratwanderung. Ich bin nicht dafür zu sagen: "Lasst alles laufen, lasst alles zusammenbrechen" - das kann man verantwortungsvoll nicht sagen. Aber das Wichtige ist, dass sich der Staat Gedanken macht, wie man solche verrückten Spiele, die die ganze Weltwirtschaft in Gefahr bringen, in Zukunft verhindern kann. Der Staat muss in vielen Bereichen für Regulierung sorgen. Demnächst steht wieder eine große Währungskrise an, vor allem in Osteuropa sind Währungen gefährdet. Auch dort werden wieder erhebliche systemische Risiken auftreten, auch dort wurden über internationale Spekulationen Preise in die falsche Richtung getrieben.

sueddeutsche.de: Die US-Investmentbank Bear Stearns - eine Legende der Wall Street - ist von der Großbank JP Morgan Chase mit einem wahren Kraftakt vor der Pleite gerettet worden, nachdem die US-Notenbank den Deal mit 30 Milliarden Dollar besicherte. Ist dieses massive Eingreifen des Staates noch zu rechtfertigen?

Flassbeck: Wenn man den Eindruck hat, dass der Zusammenbruch einer solchen Bank einen Domino-Effekt auslöst, fünf andere Banken zu Fall bringt und Einlagen von Privaten gefährdet, dann kann man solch einen Eingriff rechtfertigen. Ich bin dann aber dafür, die Bank gleich zu verstaatlichen, anstatt staatliches Geld hineinzustecken, damit irgendein anderer Investor - in diesem Fall JP Morgan - womöglich das große Geld macht. Der Staat sollte die Bank gleich selbst kaufen und nach ein paar Jahren wieder verkaufen.

sueddeutsche.de: Ist die Verstaatlichung angeschlagener Banken der einzige Ausweg aus der Misere?

Flassbeck: Es ist nicht die einzige Lösung, oft aber die beste. Auch in Großbritannien hätte man Northern Rock sofort verstaatlichen können. Wenn man erwarten muss, dass die Einlagen der Bürger gefährdet sind, dann muss der Staat sowieso massiv eingreifen. Dann kann er, wie gesagt, gefährdete Banken auch gleich verstaatlichen. Wenn die Ideologie wieder einmal dagegen spricht, verstehe ich die Ideologie nicht mehr.

sueddeutsche.de: Auch das Bundesfinanzministerium will einen Bankencrash mit viel Geld verhindern - und pumpt Milliardenbeträge in die Mittelstandsbank IKB und in etliche Landesbanken. Warum darf eine heruntergewirtschaftete Bank nicht einfach pleitegehen?

Flassbeck: Es gehen schon Banken pleite. Wenn es im überschaubaren Rahmen geschieht, ist das völlig in Ordnung. Aber: Banken sind keine normalen Unternehmen, die Menschen haben dort ihr Erspartes hingetragen und - zum Teil auf staatlichen Druck - dort für ihr Alter vorgesorgt. Da kann sich der Staat nicht einfach heraushalten. Das würde die Ziele der privaten Altersvorsorge unmittelbar torpedieren. Aber die IKB sollte man pleitegehen lassen - dort gibt es wenig oder gar keine Einlagen.

sueddeutsche.de: Das sieht die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die bei der IKB Großaktionär ist, garantiert anders.

Flassbeck: Bevor man jetzt dem vielen schlechten Geld noch gutes hinterherwirft, spricht doch Einiges dafür, dass diese Bank besser geschlossen würde.

Lesen Sie weiter, warum selbst die größten Zocker skeptisch geworden sind - und was den europäischen Finanzministern peinlich ist.

sueddeutsche.de: Die Industrie bangt infolge der Finanzkrise um Kredite, der Bankenverband jedoch will nicht von einer Kreditklemme reden und weist Kritik an der Kreditvergabe zurück. Wer hat recht?

Flassbeck: Das ist schwer zu sagen. Es kann durchaus sein, dass die Kredite an die Wirtschaft in der Tat nicht gefährdet sind. Das Schöne ist ja, dass sich gegenwärtig die Zocker untereinander nicht mehr trauen, weil jeder denkt, dass der andere der noch größere Zocker war. Das hat vielleicht eine heilsame Wirkung. Nur: Gleichzeitig muss die Notenbank dafür sorgen, dass die Liquidität im System erhalten und der Zins niedrig bleibt.

sueddeutsche.de: Die US-Notenbank hat weitere Zinssenkungen in Aussicht gestellt, nachdem zuletzt der Leitzins von drei auf 2,25 Prozent fiel. Die Europäische Zentralbank wartet ab, der Leitzins liegt bei vier Prozent. Wie lange geht das gut?

Flassbeck: Das hält man nicht lange aus. Wenn bei einer manifesten US-Rezession der Dollar noch weiter fällt, dann bekommen wir hier ungeheuer viele monetäre Restriktionen, weil die Exportgüter der europäischen Firmen immer teurer werden. Da muss die Notenbank früher oder später eingreifen. Nur, wie immer reagiert die EZB viel zu spät. Sie hat Angst vor einer Inflation, die es nicht gibt.

sueddeutsche.de: Der starke Euro macht exportorientierten Unternehmen schon jetzt schwer zu schaffen: BMW macht für jeden Cent, den die europäische Gemeinschaftswährung zulegt, einen Verlust von 80 Millionen Euro. Airbus sucht bereits in den USA einen Produktionsstandort, weil das Unternehmen Wechselkursverluste nicht länger hinnehmen will. Ist der Aufschrei der Industrie gerechtfertigt?

Flassbeck: Der Euro ist in den vergangenen zwei Jahren um 30 Prozent gestiegen - gemessen daran ist der Aufschrei in Deutschland noch relativ leise. In den USA sieht man die Auswirkungen schon relativ deutlich: Die Exporte steigen wegen des schwachen Dollars merklich, das Leistungsbilanzdefizit sinkt. Das ist soweit sinnvoll. Man konnte einfach nicht erwarten, dass die Amerikaner auf immer und ewig auch im außenwirtschaftlichen Bereich über ihre Verhältnisse leben.

sueddeutsche.de: Brauchen Deutschland und die anderen europäischen Industrienationen jetzt schnell einen schwächeren Euro?

Flassbeck: Brauchen vielleicht - den gibt es aber nicht, weil Deutschland eines der größten Leistungsbilanzüberschussländer der Welt ist. Wegen der Lohnsenkungspolitik der letzten zehn Jahre steht Deutschland außenwirtschaftlich wesentlich besser da als die anderen europäischen Staaten. Die brauchen viel dringender als wir einen niedrigeren Euro. Es ist aber in Europa derzeit niemand bereit, dieses Thema vernünftig anzusprechen. Es wird von den europäischen Finanzministern unter den Tisch gekehrt, weil sie selbst versagt haben. Ihnen ist peinlich, dass sie diese Diskrepanzen innerhalb Europas haben auflaufen lassen. Daran, dass Deutschland jetzt noch gut dasteht, sollte man sich also nicht zu sehr erfreuen - das geht alles unmittelbar zu Lasten der anderen europäischen Partner.

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