Finanzkrise:"Das Schlimmste steht Amerika noch bevor''

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Nachdem Experten kürzlich noch das Ende der Finanzkrise angekündigt hatten, schockieren nun neue Hiobsbotschaften die Börsianer.

Simone Boehringer

Die Finanzkrise holt die Anleger erneut ein: Spekulationen über milliardenschwere Verluste bei der US-Investmentbank Lehman Brothers und eine sich zuspitzende Lage bei den staatsnahen Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac drückten die Aktienkurse am Dienstag weltweit weiter nach unten. Vor allem Bankenwerte verloren stark. Bis 17 Uhr verlor der Dax 2,2 Prozent, der Dow Jones gab rund ein Prozent ab.

Neue Verluste bei Lehman und eine mögliche Verstaatlichung der Immobiliengiganten Fannie und Freddie halten die Anleger in Atem. (Foto: Foto: dpa)

Der frühere IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff warnte bei einem Vortrag in Singapur: "Die USA sind noch nicht über den Berg. Das Schlimmste steht noch bevor."Zudem prognostizierte der heutige Harvard-Professor den Kollaps einer großen US-Bank.

Spekulationen über Veräußerungen

Das angeschlagene amerikanische Investmenthaus Lehman Brothers muss zum Ausgleich von Milliardenverlusten offenbar große Geschäftsteile verkaufen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr, erwägt die viertgrößte Investmentbank des Landes, ihre Vermögensverwaltung zumindest teilweise zu veräußern. Lehman könnte sich etwa von dem Geschäftsbereich um die Tochter Neuberger Berman trennen, dessen Wert auf rund acht Milliarden Dollar geschätzt wird.

Nach Angaben aus Finanzkreisen hat Lehman bereits detaillierte Informationen über den Geschäftsbereich in Umlauf gebracht. Als Adressaten werden die Finanzinvestoren Blackstone, Carlyle Group, Hellman & Friedman, General Atlantic, Kohlberg, Kravis & Roberts, J.C. Flowers sowie Apollo Management genannt.Im Juni hatte Lehman erstmals mit 2,8 Milliarden Dollar einen Verlust gemeldet.

Für das dritte Quartal wird mit Abschreibungen von bis zu vier Milliarden Dollar und einem satten Minus unterm Strich gerechnet. Die Lehman-Aktie reagierte auf die Meldungen am Dienstag mit Einbußen von fast acht Prozent.

Neben der Investmentbank machen auch die beiden staatsnahen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac der Wall Street akut Sorgen. Experten befürchten eine baldige Verstaatlichung der beiden Häuser. Das Finanzmagazin Barron's hatte geschrieben, dass eine solche Maßnahme unmittelbar bevorstehen könnte. Das Blatt berief sich auf eine hochrangige, aber anonyme Quelle im Weißen Haus.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Finanzministerium einen Rettungsplan erstellt hat.

Ein Analyst von Merrill Lynch hatte zudem berichtet, dass eine geplante Kapitalerhöhung für Freddie Mac aus Geldmangel vorgezogen werden müsse. Die Aktienkurse beider Institute, die zusammen etwa die Hälfte der US-Hypotheken im Wert von zwölf Billionen Dollar auf sich vereinen, reagierten am Dienstag mit weiteren Einbußen.

Die Papiere von Fannie fielen um knapp vier Prozent, Freddie-Titel brachen um mehr als sechs Prozent ein. Am Vortag hatten beide Aktien bereits jeweils mehr als ein Fünftel ihres Wertes verloren.

Rettungsplan des Finanzministeriums

Der US-Kongress hatte erst vor kurzem einen Rettungsplan des Finanzministeriums genehmigt, wonach der Staat Fannie und Freddie unbegrenzt Mittel zur Verfügung stellen und sich über stimmrechtslose Vorzugsaktien an den Instituten beteiligen darf.

Je nach Ausgestaltung einer Kapitalaufstockung würde es zu einer mehr oder weniger großen Verwässerung des Aktienkapitals kommen. Altaktionäre, die zu höheren Kursen eingestiegen sind, verlieren dabei im Vergleich zu Neueinsteigern Geld.

Die gesamte Finanzmarkt-Stabilität hängt von der Glaubwürdigkeit des US-Staates ab, für Fannie und Freddie einzustehen'', sagt Folker Hellmeyer, Chefökonom der Bremer Landesbank. Egal welche Summe am Ende nötig sei, "der Staat wird sie bezahlen, sonst ist der Ruf Amerikas und damit das Finanzsystem insgesamt ruiniert."

Eine Zahlungsunfähigkeit könnte zu einem Kollaps des US-Immobilienmarktes führen. Zudem halten amerikanische Pensionsfonds und internationale Investoren Aktien und Schuldtitel von Fannie Mae und Freddie Mac.

Nach einer Aufstellung des US-Finanzministeriums sind China, Japan, die Cayman Inseln, Luxemburg und Belgien die fünf größten Gläubiger der Immobiliengiganten. Gemeinsam mit einigen kleineren Bondbesitzern sollen sie Anleihen von bis zu 1,5 Billionen US-Dollar in ihren Büchern gehabt haben. Sollte der Wert der Papiere weiter sinken, müssen die betroffenen Institute für einen möglichen Ausfall vorsorgen und die Papiere abschreiben.

Die chinesische Wochenzeitung Asia Weekly schlug jüngst in einem Kommentar vor, dass China als wohl mit Abstand größter Gläubiger von Fannie und Freddie doch bitteschön seine diplomatischen Kontakte nutzen solle, um Druck auf die US-Regierung auszuüben, damit diese eine Garantie für die Bonds ausspreche.

© SZ vom 20.8.2008/kim/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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