Finanzakrobatik:US-Manager gegen Quartalsprognosen

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Kurzfristige Vorhersagen würden die Konzernchefs zu Tricks und Manipulation verführen. Deutsche Finanzexperten haben gegen den Vorstoß Bedenken.

Simone Boehringer und Andreas Oldag

In den USA wächst der Widerstand gegen kurzfristige Prognosen für Quartalsgewinne. Einflussreiche Wirtschaftslobbyisten fordern eine Änderung der bestehenden Praxis, wonach börsennotierte Unternehmen vierteljährliche Gewinnschätzungen veröffentlichen. Die Reformvorschläge stoßen aber bei Bankern und Analysten auf starke Vorbehalte.

Den Bankrott des US-Konzerns Enron führen die Verteidiger der angeklagten Top-Manager auf den Druck von Anlegern und Börsianer zurück. (Foto: Foto: AFP)

"Die Fixierung auf kurzfristige Gewinnziele schafft für die Anleger keinen Wert", erklärt dagegen Dean Krehmeyer, Direktor des Instituts für Unternehmens-Ethik ICE. Krehmeyer gehört zu den Autoren einer Studie, die am Montag vom ICE sowie der einflussreichen Unternehmerorganisation "Business Roundtable" in Washington veröffentlicht wurde. In der Studie wird kritisiert, dass die Konzernchefs hauptsächlich damit beschäftigt seien, die kurzfristigen Vorhersagen zu erfüllen. Dies würde die Manager davon abhalten, langfristige Ziele, etwa bei Forschung und Entwicklung neuer Produkte, zu verfolgen.

"Finanzakrobatik"

Die Debatte um die Quartalsberichte ist vor dem Hintergrund der zahlreichen Unternehmensskandale in den USA zu sehen. Nach Meinung von Kritikern, wie zum Beispiel dem prominenten Investor Warren Buffett, verführe die kurzfristige Berichterstattung die Manager zu Tricks und "Finanzakrobatik".

Die Unternehmen würden Bilanzen manipulieren, um Erwartungen der Wall Street zu erfüllen. Im gerade abgeschlossenen Mammut-Prozess um den zusammengebrochenen Enron-Konzern spielte diese Problematik eine zentrale Rolle. Die Verteidigung der wegen Bilanzbetrug angeklagten Top-Manager argumentiert, dass ihre Mandanten Opfer des Drucks von Anlegern und Börsianern geworden seien.

Bereits in der Vergangenheit hat sich eine wachsende Zahl von US-Firmen geweigert, Quartalsprognosen zu veröffentlichen. Nach Angaben des "National Investor Relations Institute" geben noch etwa die Hälfte der in den USA notierten Firmen entsprechende Zahlen heraus. "Kein Unternehmen wächst exakt x Prozent von Quartal zu Quartal. Das ist einfach nicht die Realität", kritisiert Steve Odland, Chef des Büroausstatters Office Depot.

Auf kurzfristige Gewinnziele "programmiert"

Dennoch räumen Experten des "Business Roundtable" ein, dass es schwierig sein wird, einen Verzicht auf Quartalsprognosen durchzusetzen. Die Wall Street sei auf kurzfristige Gewinnziele "programmiert", heißt es. Die Analysten befürchten, dass ihr Geschäft beeinträchtigt wird, wenn sie ihre Aktienbewertungen nicht mehr an den vierteljährlichen Gewinnzielen messen können.

In Deutschland wird der Vorstoß des ICE ebenfalls kritisch gesehen. "Eine Abschaffung der Veröffentlichung von Quartalsprognosen wäre ein Rückschritt", meint Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Großinvestoren werden sich immer während des Jahres berichten lassen, was einer Benachteiligung der Kleinaktionäre gleichkäme."

Kurzatmigkeit der Unternehmensführung

Derzeit gibt die überwiegende Zahl der im wichtigsten Marktsegment Prime Standard der Deutschen Börse notierten Firmen mehr oder weniger konkrete Prognosen zu Folgequartalen ab. Die Veröffentlichung eines Quartalsberichts ist hier wie auch in den auf das Segment aufsetzenden Auswahlindizes (Dax, MDax, SDax) ohnehin Pflicht. Viele Firmenverantwortliche kritisieren das, allerdings häufig mit dem Hinweis, so werde die Kurzatmigkeit der Unternehmensführung gefördert.

Ralf Frank, Geschäftsführer bei der deutschen Analystenvereinigung DVFA, kann sich über die wieder aufkeimende Diskussion nur aufregen: "Manager werden dafür bezahlt, zu jedem Zeitpunkt eine Einschätzung ihres Unternehmens abzugeben. Das beinhaltet auch das Risiko, Prognosen abzugeben, die nicht eintreten."

Wer Abweichungen vom Plan gut begründe, habe vom Kapitalmarkt wenig zu befürchten. Wer gar keine abgebe, riskiere ungenauere Einschätzungen mit entsprechenden Folgen für die Empfehlungen an Investoren. Die DVFA rät Unternehmen, Prognosen in Bandbreiten abzugeben, um sich auf diese Weise genügend Handlungsspielraum zu erhalten.

© SZ vom 25.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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