Filmbranche:Deutschland - ein Kinomärchen

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Mehrere Kassenknüller beleben die gebeutelte Branche, doch Probleme wie illegale Raubkopien und Überkapazitäten bleiben.

Kristina Läsker

Aufgereiht stehen Soldaten des Bundesgrenzschutzes am Straßenrand und begrüßen den Bus der deutschen Fußball-WM-Mannschaft mit La-Ola-Wellen. Drinnen grinst Abwehrspieler Christoph Metzelder und erzählt, wie er um den Wehrdienst herumgekommen ist. Lockere Szenen wie diese sind typisch für "Deutschland - ein Sommermärchen".

Mehr als eine Million Fans hat der Film von Sönke Wortmann bereits ins Kino gelockt. Und die Branche möchte den Optimismus des Streifens gern für sich beanspruchen. Denn das ist bitter nötig: Kinobetreiber und Verleiher haben mit 2005 ein katastrophales Kinojahr hinter sich. Im vergangenen Jahr sind die Besucherzahlen um 18,8 Prozent auf 127 Millionen eingebrochen - auf ein Zehnjahrestief.

Einiges spricht dafür, dass es der gebeutelten Branche wieder besser geht. Um gut 15 Prozent werden Umsatz und Ticketverkäufe bis Jahresende steigen, meint Thomas Negele, Vorstandsvorsitzender des Kinoverbands HDF.

Streit mit DVD-Vermarktern

Der Grund für seinen Optimismus sind die neuesten Zahlen. Bis letzten Sonntag gab es 69,9 Millionen Kinobesuche; im Vorjahr waren es zur gleichen Zeit 11,95 Prozent weniger. Noch deutlicher ist der Anstieg des Umsatzes: er kletterte gar um 13,27 Prozent auf 441,37 Millionen Euro.

Dies verdankt die Branche einigen Highlights: Nach "Ice Age 2", "Sakrileg", und "Fluch der Karibik" ist "Das Parfüm" bereits der vierte Kassenknüller, den mehr als drei Millionen Zuschauer gesehen haben.

In die Verfilmung des Bestsellers von Patrick Süskind sind in den ersten fünf Wochen nach Start 4,5 Millionen Menschen gegangen - trotz sommerlicher Temperaturen im Herbst.

Auch das bald anlaufende Märchen "7 Zwerge - der Wald ist nicht genug" und der neue James Bond "Casino Royale" sollen die Massen locken. Zumal die Deutschen wieder mehr Geld in der Freizeit ausgeben - und damit auch fürs Kino. "Die Stimmung hat sich verbessert", sagt Verbandschef Negele. Der Aufwärtstrend hilft auch den Ketten.

Die deutsche Nummer zwei, Cinemaxx, legte am Dienstag Halbjahreszahlen vor. Demnach stieg der Umsatz um zehn Prozent auf 76,4 Millionen Euro, der Verlust fiel von 10,2 auf 3,3 Millionen Euro.

Doch ob Spendierlaune und Topfilme längerfristig zum Aufstieg führen, bleibt fraglich. Noch immer hat die Branche ihre Probleme nicht im Griff. Euphorisch wurden die Großstädte im vergangenen Jahrzehnt mit Multiplexen überzogen - heute gibt es in Deutschland 4828 Leinwände in 1833 Spielstätten.

"Wir haben an dem ein oder anderen Standort zu viel gebaut", räumt Negele ein. Dies belegt auch eine Statistik der Filmförderanstalt. Demnach mussten im ersten Halbjahr 106 Kinosäle schließen. Neu oder wieder eröffnet wurden nur 45 Säale, ein Eingeständnis, dass die Deutschen mit Kinos überversorgt sind. Auch sind manche Lichtspielhäuser arg renovierungsbedürftig. Doch nach den Investitionen der vergangenen Jahre "ist die Eigenkapitaldecke vieler Betreiber dünn", so Negele.

Zu schaffen macht der Branche auch die Piraterie. 75 bis 80 Prozent aller Filme stehen am Tag eins nach Kinostart illegal im Netz, schätzte Fred Kogel jüngst im SZ-Interview. Der Schaden durch Raubkopien belaufe sich auf 350 Millionen Euro, so der Vorstandschef der Filmproduktion Constantin.

Inzwischen wehrt sich die Branche. Mit etwa einer halben Million Euro unterstützt sie eine Kampagne gegen Piraterie. Negele vermeldet zwar erste Erfolge der TV-Spots und Anzeigen, doch noch immer steigt die Zahl illegaler Downloads aus dem Netz, wenn auch weniger stark als es die technische Ausstattung wohl zulassen würde.

Parallel läuft ein existenzbedrohender Streit mit Vermarktern von DVDs. So hatte der Wortmann-Film für Ärger gesorgt, Cinestar und Cinemaxx wollten ihn nicht zeigen. Grund: Die DVD-Vermarktung sollte schon zwei Monate nach Kinostart erfolgen - und damit den Betreibern Einnahmen streitig machen. Die Betreiber sorgen sich, dass DVD-Käufer auf Kinobesuche verzichten.

Der Kompromiss sieht so aus, dass die DVD viereinhalb statt marktüblicher sechs Monate nach Filmstart auf den Markt kommt. "Das ist die absolute Schmerzgrenze", sagt Negele. Kürzer dürfe die Zeitspanne nicht werden, in der Kinobetreiber allein Geld mit einem Film machten. Dies könnten auch Zugeständnisse von Filmverleihern nicht kompensieren, wenn diese die Kosten für Filmkopien senkten.

Zu all den Sorgen kommt hinzu, dass die Lieblingsklientel der Branche, die 16- bis 22-Jährigen, bockt und weniger ins Kino geht. Sechs- statt zwölfmal hat diese Zielgruppe 2005 durchschnittlich ein Lichtspielhaus besucht. Abgewandert sind sie zu anderen Medien wie Computerspielen. Und Ältere müssten fürs Kino erst noch begeistert werden - was sich die Branche angesichts der alternden Bevölkerung auch vorgenommen hat.

Für Negele heißt das Zauberwort Kundenbindung. Edleres Ambiente und Essen für die über 40-Jährigen, digitalisierte Kinos für Technikbegeisterte, Parkplätze für Bequeme, gezieltere Ansprache für Suchende. Begeistern soll die Kundschaft eine Kampagne in Zeitung, Fernsehen und Kino: "Mit der Kampagne möchten wir wieder Lust auf Kino machen."

© SZ vom 18.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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