EZB-Beruhigungspille für die Finanzmärkte:Für einen Tag Kreditkarten ohne Limit

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Die Kreditkarte ohne Limit und mit vergünstigtem Zinssatz wäre jedermanns Wunsch. Für die Banken wurde der Wunsch Wirklichkeit - freilich nur für einen Tag. Wie die EZB den Kollaps der Finanzmärkte verhindert hat.

Gerd Zitzelsberger

Am Montag war beinahe schon wieder alles wie normal. "Die Europäische Zentralbank fing die Geldmenge wieder ein", heißt das in der üblichen Lyrik der Wirtschaftsblätter.

Überraschend ausgeteilt hatte die Europäische Zentralbank (EZB) die Kreditkarten am Donnerstag. Im Jargon heißen sie Schnelltender oder - noch korrekter - Feinabstimmungsoperationen.

Technisch gesprochen handelt es sich um eine zusätzliche Kreditmöglichkeit für die Geschäftsbanken. Sie verpfänden dabei der EZB Wertpapiere sehr guter Qualität - eine der Anforderungen ist die Bonitätsnote "A" - und erhalten den Gegenwert auf ihrem Konto gutgeschrieben.

Schnelligkeit ist gefragt

Das Direktorium der EZB beschließt solche Aktionen ohne den Zentralbankrat fragen zu müssen. Schließlich soll es ja eine schnelle Reaktion auf eine unvorhergesehene Marktlage sein.

"Schnell" ist der Tender aber auch, weil die Banken solches Geld gleich wieder zurückzahlen müssen: Die Laufzeit der überraschenden Donnerstags-Kredite betrug, wie auch am Montag wieder, gerade einen Tag; am Wochenende sind es drei.

Die Banken wollen immer Darlehen von der Zentralbank - dafür sorgt schon die EZB selbst, indem sie den Geschäftsbanken allzeit die so genannte Mindestreserve abknöpft, also Geld, das die Geschäftsbanken bei der Zentralbank deponieren müssen.

Außerdem haben die Zentralbank-Darlehen in aller Regel einen niedrigeren Zinssatz als der Kredit von der Geschäftsbank gegenüber.

Wer zu wenig bietet, geht leer aus

Normalerweise stellt die EZB den Geschäftsbanken ihre Darlehen über die "Hauptrefinanzierungsfazilität" zu Verfügung. Das sind Darlehen, die jeweils eine Woche laufen und routinemäßig jeden Dienstag gewissermaßen versteigert werden: Geschäftsbanken, die einen hohen Zinssatz bieten, kommen als erste zum Zuge, und wer zu wenig bietet, geht leer aus.

Vor einer Woche hatte die EZB den Geschäftsbanken zu einem Zinssatz von durchschnittlich 4,07 Prozent auf diese Weise Darlehen über 292,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, also einen sechsmal so hohen Betrag wie etwa beim jüngsten Schnelltender am Montag.

Und eine Geschäftsbank, die sich verkalkuliert oder einen unvorhergesehenen Geldbedarf hat, kann die sogenannte Spitzenfazilität in Anspruch nehmen. Sie ist allerdings teuer: Der eine Prozentpunkt, den sie mehr kostet, stellt bei den Milliarden, um die es geht, ein Vermögen dar.

Ungewöhnliche Vorgänge am Markt

Mit einem Wort, Schnelltender, wie die EZB sie an den vergangenen drei Tagen ausgeschrieben hat, deuten meist auf ungewöhnliche Vorgänge am Markt hin.

Vollends spektakulär aber hat eine Klausel im Kleingedruckten die "Kreditkarten-Vergabe" am vergangenen Donnerstag gemacht: Ganz im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten hatte die EZB das Volumen ihrer Darlehen nicht begrenzt, sondern jede Bank bekam - Sicherheiten vorausgesetzt - so viel Darlehen, wie sie nur haben wollte.

Gleichzeitig bot die EZB Vorzugszinsen an: Der Kredit kostete nur 4,0 Prozent anstatt der 4,07 Prozent beim jüngsten "regulären" Tender und lag weit unter dem aktuellen Marktpreis: Im Geschäft zwischen den Banken wurden wenige Minuten vor Ausschreibung des EZB-Angebots bis zu 4,7 Prozent bezahlt. Entsprechend groß war die Nachfrage mit 94,8 Milliarden Euro.

Bei der amerikanischen Notenbank hätten sich die Geldhändler einen solchen Schritt vorstellen können, aber die EZB hat den Ruf, zögerlich und zaudernd zu sein, ein Händler nannte sie gegenüber der SZ gar "lethargisch".

Sofortige Spekulationen

Jetzt streiten die Finanzfachleute, ob der EZB-Schritt nicht zu spektakulär gewesen sei. Denn viele Marktteilnehmer hätten daraufhin sofort spekuliert, die Krise sei in Wirklichkeit noch schlimmer, als man selbst wisse.

Und ausgerechnet in den USA macht jetzt der Spruch die Runde, man solle europäischen Banken jetzt lieber kein Geld leihen. Andererseits aber musste die EZB handeln, denn die Kreditmärkte standen am Rande des Kollaps: Die volkswirtschaftliche Funktion der Geschäftsbanken ist es unter anderem, kurzfristigen Einlagen und Darlehen der Zentralbank für einen "Risiko-Cent" in langfristige Kredite zu verwandeln.

Eine zweite volkswirtschaftliche Funktion ist es, Kredite für einen Risikozuschlag auch den Unternehmen und Konsumenten zur Verfügung zu stellen, deren Bonität nicht so gut ist wie beispielsweise die des Staates. Fristen- und Bonitätstransformation heißen diese Funktionen im Jargon.

Lieber auf Zinsen verzichtet

Doch beides kam in der Donnerstags-Panik unter die Räder. Banken - und nicht nur sie - verzichteten nämlich zuletzt lieber auf Zinsen als mit dem Geld beispielsweise eine Schuldverschreibung zu kaufen, die nicht allererste Sahne war.

Die potenziellen Kreditgeber beziehungsweise Käufer von Schuldverschreibungen waren in solcher Panik, dass sie der anderen Marktseite oft nicht einmal mehr Preise nannten. Selbst untereinander trauten sich die Banken manchmal nicht mehr über den Weg.

Mit dem billigen Geld haben die EZB und andere Zentralbanken den Markt dann in der Tat wieder notdürftig flott bekommen. Kein Großanleger musste massenweise Aktien auf den Markt werfen, nur weil er kein Geld von der Bank bekam - der Crash blieb aus.

Natürlich konnte die EZB die Riesenkredite vom vergangenen Donnerstag nicht mit einem Schlag wieder aus dem Markt nehmen.

Kleiner und kleiner

Deshalb offerierte sie auch am Freitag und Montag wieder Schnelltender mit drei Tagen beziehungsweise einem Tag Laufzeit, und weiterer Schnelltender wird möglicherweise am heutigen Dienstag wieder folgen. Aber die zusätzlichen Kreditangebote werden kleiner und kleiner. Die Marktsituation beruhige sich wieder, erklärt die EZB dazu.

Das freilich ist nur die halbe Wahrheit: Die übergroße Risiko- und Spekulationsfreude der Kreditgeber ist ins Gegenteil umgeschlagen. Nicht nur amerikanische Häuslebauer werden es hart spüren. Dass die Märkte nicht völlig kollabiert sind, ändert daran nichts.

© SZ vom 14.08.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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