Exklusiv: David Rockefellers Memoiren IV:Er hatte sie alle - als Lehrer

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David Rockefeller über sein Wirtschaftsstudium, die Eleganz seines berühmten Dozenten Friedrich von Hayek und Joseph Schumpeters schrumpfende Liste der "liberalen Wirtschaftswissenschaftler".

In seinen Memoiren, aus denen die Süddeutsche Zeitung und sueddeutsche.de Auszüge zeigen, schildert der amerikanische Milliardär David Rockefeller seine Studentenzeit: In den dreißiger Jahren studierte er Volkswirtschaftslehre, zunächst an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard in Cambridge, später an der London School of Economics and Political Science.

Die Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts. (Foto: Foto: dpa)

"Ich merkte schnell, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich begann mein Studium gerade, als John Maynard Keynes' umstrittene Ideen zur Intervention des Staates, um die volkswirtschaftlichen Aktivitäten zu stimulieren, eine explosive Debatte innerhalb der akademischen Kreise und darüber hinaus auslösten.

Schumpeter - Wettkampfreiter mit eleganten Amouren

In jenem Jahr wurde ich am stärksten von Joseph A. Schumpeter beeinflusst. Einer der Höhepunkte meines Studiums war sein Grundkurs in volkswirtschaftlicher Theorie. Schumpeter galt damals bereits als einer der führenden Volkswirtschaftler der Welt. Er hatte eine aktive Rolle in der österreichischen Politik gespielt und 1919 kurze Zeit als Finanzminister fungiert. In den 1920er-Jahren hatte er eine Privatbank in Wien geführt. 1932 kam er nach Harvard und war Mitte 50, als ich ihn im Herbst 1936 traf.

Schumpeter war höchst interessiert an der Rolle der Existenzgründer in der wirtschaftlichen Entwicklung, und Mitte der 1930er-Jahre war er als einer der wichtigsten Verfechter der neoklassischen wirtschaftlichen Tradition in Erscheinung getreten. Aber er war nicht einfach nur ein Verfechter der alten Ordnung. Er stimmte mit Keynes darin überein, dass etwas getan werden musste, um mit dem noch nie dagewesenen Stand an Arbeitslosen, hervorgerufen durch die Depression und die instabile politische und soziale Situation, fertig zu werden.

Sorge über den Keynesianismus

Allerdings lehnte er das zentrale Element von Keynes' Theorie, demzufolge das kapitalistische Wirtschaftsprinzip ohne Intervention der Regierung über einen längeren Zeitraum durch massive Arbeitslosigkeit und eingeschränkte wirtschaftliche Entwicklung gefährdet sei, ab. Schumpeter fürchtete, dass der Keynesianismus die gesunde Kontrolle der Märkte durch die Regierung auf Dauer ersetzen würde, und er war mehr als besorgt über die Auswirkungen, die diese "unorthodoxen" Ideen bereits auf die Finanz-, Steuer- und Währungspolitik einer Reihe von westlichen Ländern, inklusive der Vereinigten Staaten, hatten.

Fit, gepflegt und aristokratisch in seiner Haltung war Schumpeter. In jüngeren Jahren war er wettkampfmäßig geritten. Er war auch ein großer Bewunderer der Frauen, und es gab Gerüchte, dass er viele elegante Amouren gehabt habe. Während einer Vorlesung bemerkte er einmal, dass er drei Ziele im Leben gehabt habe: der größte Volkswirtschaftler zu werden, der größte Liebhaber und der größte Reiter seiner Zeit. Aber er habe das Gefühl, dass sich seine Ambitionen noch nicht erfüllt hätten - zumindest nicht in Bezug auf die Pferde!

Die Volkswirtschaftler an der LSE waren viel konservativer als der Rest der Fakultät. Im Grunde genommen standen ihre Volkswirtschaftler für den größeren Teil der Opposition in England, die gegen Keynes und die Befürworter seiner Cambridge School der freien Marktwirtschaft waren. Mein Tutor in dem Jahr war Friedrich von Hayek, der bekannte österreichische Wirtschaftswissenschaftler, der 1974 für seine in den 1920er- und 1930er-Jahren geleisteten Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden sollte.

Wie Schumpeter setzte auch Hayek sein Vertrauen in den Markt, von dem er glaubte, dass er trotz der zahllosen Unwägbarkeiten im Laufe der Zeit die zuverlässigsten Mittel zur effizienten Verteilung von Ressourcen bereitstellen und ein gesundes wirtschaftliches Wachstum garantieren würde. Hayek war auch der Meinung, dass der Staat eine kritische Rolle als Gesetzgeber, Schiedsrichter und Garant einer gerechten und fairen sozialen Ordnung spielen sollte, statt als Besitzer ökonomischer Ressourcen oder als Vermittler zwischen den Märkten.

Von Hayek - deutsch und methodisch

Hayek war in seinen späten Dreißigern, als ich ihn das erste Mal traf, unbestreitbar brillant, doch fehlten ihm Schumpeters Schwung und Charisma. Er war ein trockener Dozent, sehr deutsch und methodisch. Seine Schriften waren schwerfällig und beinahe unmöglich zu lesen - zumindest fiel es schwer, bei ihrer Lektüre wach zu bleiben. Persönlich war er ein freundlicher Mann, den ich überaus respektierte.

Ich erinnere mich daran, dass er bei mehr als einer Gelegenheit ein zerknittertes Papier mit Eselsohren, auf das er die Namen der verbliebenen "liberalen Wirtschaftswissenschaftler" notiert hatte, aus seiner Brieftasche nahm, traurig draufblickte und seufzte.

Er war überzeugt, dass die Liste rasch schrumpfte, denn die alten Anhänger des freien Marktes starben aus und die meisten der jüngeren Wirtschaftswissenschaftler folgten der neuen keynesianischen Theorie. Ich bin sicher, dass sich Hayek, der 1992 im Alter von 93 Jahren starb, in den 1980er-Jahren durch die Wiederbelebung der Unterstützung der Märkte von der Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler in hohem Maße bestätigt fühlte.

Von der Wirtschaftswissenschaft zur Kunst

Mein Lieblingslehrer an der LSE war Lionel Robbins, der spätere Baron Robbins of Clare Market, der die Stelle des Dekans der Wirtschaftsfakultät in dem Jahr, in dem ich an der Schule begann, innehatte. Zu diesem Zeitpunkt war Robbins ein entschiedener Verfechter des Marktes und engagierter Gegner staatlicher Interventionen.

Aber er war wesentlich undogmatischer und vielschichtiger als die meisten anderen neoklassischen Wirtschaftswissenschaftler, die ich damals traf. Er legte mehr Wert auf Logik und solide Argumentation als auf die neue ökonometrische Mode. Er betonte immer wieder, dass man einen Unterschied zwischen dem tatsächlichen Geschehen in der realen Wirtschaft und unseren Wunschvorstellungen von dem, was passieren sollte, machen müsse.

Robbins benutzte ein sehr elegantes Englisch in Wort und Schrift. Nach dem Krieg gewann sein Interesse an Kunst Priorität über die Wirtschaftswissenschaft, und er wurde Vorsitzender der National Gallery und Direktor der Royal Opera. Lionel war einer der interessiertesten und kultiviertesten Männer, die ich gekannt habe, und ich schätzte seine Freundschaft bis zu seinem Tod 1984."

© SZ vom 05.04.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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