Existenzgründer:Wenn die Rechnung auf den Keks geht

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Berufsberatung einmal anders: Wer die Seminare von Beate Westphal nicht bezahlen will, darf seine Schuld durch Backen begleichen.

Daniela Kuhr

Hat eigentlich schon mal jemand Beate Westphal gefragt, ob sie einen Knall hat? Die zierliche Frau mit den kurzen blonden Haaren überlegt einen Moment. "Gefragt hat mich das niemand, aber gedacht haben es vielleicht schon ein paar." Es ist tatsächlich ziemlich seltsam, was die 39-Jährige macht: Genau genommen müsste man sie als keksbackende Berufsberaterin oder als berufsberatende Keksbäckerin vorstellen. Doch sie selbst wählt einen anderen Begriff: "Traumjobdetektivin, das ist es, was ich bin", sagt sie und betritt das kleine Café mit der gemütlichen offenen Backstube.

"Traumjobdetektivin" Beate Westphal: Kaffee trinken, Kekse essen, Berufsberatung bekommen. (Foto: Foto: oh)

Es ist ihr Café. Vor vier Jahren hat Westphal es gemietet. Etwa 100 Kunden, darunter Banken, Werbeagenturen, Steuerberater und Verlage, beliefert sie regelmäßig mit ihrem Sortiment an Keksen. Draußen, in dem mediterranen Innenhof mitten in Berlin, hat sie Platz für etwa zehn Gäste, drinnen, an dem großen dunklen Holztisch können acht weitere Platz nehmen. Sie können Kaffee trinken, Kekse essen, den Bäckern beim Backen zusehen - und dabei nebenher eine Berufsberatung bekommen.

"Ich finde die Kombination perfekt", sagt Westphal. "Berufsberatung ist etwas, was jeder noch aus Schulzeiten kennt und als dröge in Erinnerung hat. Es fand fast immer in einer lustlosen Atmosphäre statt." Dabei sei die Wahl des Berufs doch eine der wichtigsten Entscheidungen überhaupt. "Ich möchte, dass sich die Menschen Gedanken machen, was sie wirklich wollen in ihrem Leben. Und wo könnten sie das besser als in so einer entspannenden Umgebung?"

Neuanfang in der Backstube

Westphal ist in der DDR aufgewachsen. Sie hatte Sport und Mathematik studiert. Dann fiel die Mauer, "und plötzlich war mein Abschluss nichts mehr nütze". Sie hängte ein zweites Studium dran: Betriebswirtschaft, Kultur- und Medienmanagement. Doch ihr erster Ausflug in die Selbständigkeit endete mit einer Pleite. "Ich war komplett verschuldet und musste ganz neu anfangen", erzählt sie. Das war der Moment, als sie sich erstmals umfassend mit ihren Wünschen und Fähigkeiten auseinandersetzte. Und gerade weil sie damals ganz unten war, gab es gedanklich keine Grenzen. Alles war möglich. Und so kam ihr die Idee mit der Berufsberatung, "weil ich da mit Menschen zu tun habe, die etwas machen wollen aus ihrem Leben und weil ich wahnsinnig gern analysiere".

Die Idee mit dem Backen kam ihr, weil sie selbst in so vielen Meetings pappsüße Kekse serviert bekommen hatte. Auch hier hatte sie genau analysiert: "Kekse müssen klein sein, damit man nicht abbeißen muss. Sie dürfen nicht kleben und müssen leise zu kauen sein. Alles andere kann in einem Meeting sehr unangenehm sein", sagt sie und lacht.

Regelmäßig an Sonntagen trifft sich Westphal in ihrem Café mit fünf bis sechs Interessenten zu einem eintägigen Seminar. Während der Woche gibt sie Einzelberatungen. Wer das Geld dafür nicht aufbringen kann, darf den Betrag in der Backstube abarbeiten. Bezahlt wird nicht pro Stunde, sondern pro gebackenem Kilo Kekse. "Niemand soll das Gefühl haben, unter Zeitdruck zu stehen. Jeder soll seine Kreativität ausleben dürfen." Die ersten Jahre seien hart gewesen, "doch jetzt verdiene ich gut". Und die Schulden aus ihrer Pleite habe sie auch abgearbeitet.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Beate Westphal ziemlich eigennützig handelt - und wie sie ihr Café ohne einen Bankkredit gründete.

"Nein, ein Weltverbesserer bin ich nicht", sagt Westphal entschieden. "Eigentlich bin ich ganz eigennützig." Das Leben sei einfach angenehmer, wenn man von zufriedenen Menschen umgeben ist, die Spaß an ihrem Beruf haben. "Gespräche, bei denen einer nur nölt, brauche ich nicht." Wer einen Job habe, der ihn erfüllt und in dem er seine Fähigkeiten auslebt, sei energiegeladen und inspirierend. "Das ist ansteckend", sagt Westphal. "Wenn man sich mit solchen Leuten unterhält, weckt das die eigene Kreativität, und es entstehen gemeinsam neue Ideen. Davon profitieren alle."

Etwa 400 Menschen hat Westphal bislang beraten. Einige studierten noch, andere waren arbeitslos, doch die meisten hatten einen Job - und waren trotzdem unzufrieden. "Nach etwa fünf Jahren im Beruf stellen Menschen oft fest, dass etwas nicht stimmt", sagt Westphal und zeigt auf eine weiße Tafel mit neun Feldern. Über jedem Feld steht ein Begriff, beispielsweise "Eigenschaften" oder "Lieblingsfähigkeiten" oder auch "Zeit und Geld". Sie malt ein Strichmännchen auf die Tafel, dessen Kopf, Bauch und Gliedmaßen jeweils in eines der Felder reichen. "Nur wenn alles im Einklang ist, fühlt sich der Mensch wohl", sagt sie.

Grüderin ohne Darlehen

Es ist nicht das erste Mal, dass Westphal eine ungewöhnliche Idee verwirklicht hat. Schon in den neunziger Jahren machte sie die Presse auf sich aufmerksam. Damals gründete sie zur Finanzierung ihres zweiten Studiums eine Art Aktiengesellschaft, an der sich Förderer beteiligen konnten. 50.000 Mark sammelte sie bei wohlmeinenden Privatleuten ein. "Einigen davon habe ich ihr Geld samt Zinsen mittlerweile zurückbezahlt, andere wollten es nicht, sondern fragen nur regelmäßig, wie es mir geht und was ich erreicht habe", sagt Westphal.

Für ihren Start als Keksbäckerin hat sie nie ein offizielles Existenzgründerdarlehen bekommen. "Sagen Sie mal einem potentiellen Geldgeber, dass Sie Kekse backen wollen. Der schickt sie umgehend nach Hause." Auch wegen dieser Erfahrung arbeitet sie heute ehrenamtlich für das Existenzgründungsinstitut in Berlin, wo sie seit drei Jahren im Vorstand ist.

"Wir alle haben eine Berufung", sagt Westphal, "nur leider denken wir viel zu wenig darüber nach." Dabei könne jeder etwas vorantreiben. "Das gilt auch für Menschen, die ihren Job verlieren oder pleite sind." Sie greift zu einer Metapher. "Wer neben einem Vulkan lebt, sollte unbedingt lernen, schnell zu laufen. Und wer in einer Marktwirtschaft lebt, sollte unbedingt lernen, mit einem Taschenrechner umzugehen und eigene Ideen zu entwickeln." Westphal lehnt sich zurück und verschränkt die Arme über dem Kopf. "Alles andere ist eine Vernachlässigung der Eigenverantwortung."

© SZ vom 10.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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