Ex-Fed-Chef Greenspan:Das düstere Orakel

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Alan Greenspan, bis zu seiner Pensionierung als Fed-Chef äußerst schweigsam, meldet sich in jüngster Zeit auffallend häufig zur Finanzkrise zu Wort. Treibt ihn das schlechte Gewissen?

Melanie Ahlemeier

Für die einen ist Alan Greenspan schlichtweg ein Genie. Knapp zwei Jahrzehnte lang führte er die US-Notenbank und damit die wichtigste Notenbank der Welt. Für die anderen gleicht der Senior mit der viel zu großen Brille dem personifizierten Übel. Die Begründung der Kritiker: Greenspan habe mit seiner Politik des billigen Geldes die US-Immobilienkrise mit ausgelöst - und damit die in Folge einsetzende US-Finanzmarktkrise provoziert.

Redet gern und viel: Ex-Fed-Chef Alan Greenspan. (Foto: Foto: AP)

Akuter Nachholbedarf

Inzischen tobt die Finanzkrise seit mehr als einem Jahr und lässt sich längst nicht nur auf die USA begrenzen - weltweit gaben die Aktienkurse deutlich nach. Allein der Dax büßte im ersten Halbjahr 2008 rund ein Viertel seines Wertes ein. Wann die Krise vorbei sein wird? Alles ist offen, ein baldiges Ende ist derzeit nicht absehbar.

Auffällig ist vor allem eines: Je länger die Finanzkrise dauert, desto häufiger meldet sich ein Mann zu Wort - Alan Greenspan. Als oberster US-Notenbanker wegen seiner Verschlossenheit "Sphinx" genannt, scheint es derzeit so, als ob der 82-Jährige nun all die Interviews nachholen wolle, die er während seiner Dienstzeit bei der Fed nicht gab.

Besonders auffällig: Vor allem mit der Financial Times, dem Pflichblatt für die angelsächsische Finanzszene, scheint "Mister Dollar" derzeit eng verbunden zu sein. Am vergangenen Dienstag konnte er auf Seite neun einen ausufernden Meinungsbeitrag platzieren, den auch die seit einigen Monaten zu 100 Prozent zu Gruner + Jahr gehörende Financial Times Deutschland unter dem Titel "Hände weg von den offenen Märkten" gerne druckte. Greenspans Kernaussagen: 1. Weitere Banken könnten pleitegehen. 2. Möglicherweise müssten auch diese Banken von den jeweiligen Regierungen gerettet werden. 3. Diese Krise ist anders und ein Ereignis, das nur ein- oder zweimal pro Jahrhundert vorkommt.

Gerade mal sechs Tage später bekam Greenspan sowohl in der FT als auch in der FTD abermals ein prominentes Plätzchen eingeräumt. Als intimer Kenner des Kapitalismus durfte sich das "Orakel" dieses Mal exklusiv zum nachlassenden Ölpreis auslassen. Greenspans Erkenntnis: Weil Spekulanten nun ihre Geschäfte auflösten, gebe der Preis für das schwarze Gold deutlich nach, ergo handele es sich um "gute Spekulationsgeschäfte" und nicht um "böse".

Acht Millionen Dollar Honorar

Rund eineinhalb Jahre nach seinem Rückzug von der Fed-Spitze hat Greenspan - der während seiner Karriere 99 Zinsänderungen zu verantworten hatte und der fast mantraartig von den Selbstheilungskräften der Märkte predigte - seine Memoiren veröffentlicht. Knapp 600 Seiten zählt das fast faustdicke Werk, mehr als eine Million Mal ging es inzwischen über die Ladentheken. Für seine Lebensgeschichte erhielt Greenspan einen Vorschuss von acht Millionen Dollar.

Vielleicht hat sich die "Sphinx" schon geärgert, dass die eigene Biographie in nur einem Werk abgefasst wurde. Vielleicht hätte er noch einen zweiten Band zusammenhacken sollen.

Vielleicht geht es (Ex-)Notenbankern aber auch einfach nur genauso wie (Ex-)Politikern, die von der Droge Macht berauscht sind - und die sich wie weiland Heide Simonis ("Und wo bleibe ich dabei?") nicht auf Koalitionen einlassen und nicht mit dem absehbaren Karriere-Ende anfreunden wollen.

Vielleicht aber sollte irgendwer dem umstrittensten und zugleich verehrtesten Notenbankchef, den Amerika je hatte, einfach nur eine eigene Kolumne geben - damit Greenspan seinen schier unendlich großen Redebedarf wenigstens im Ansatz stillen kann.

Am besten, er fragt mal die FT.

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