EuGH-Urteil:Entscheidung des europäischen Gerichts

Lesezeit: 4 min

Juristen streiten über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Widerrufsrecht für Haustürkredite.

Thomas Hammer

(SZ vom 17.12.2001) Das Urteil ist verkündet, die Folgen sind noch nicht absehbar. Am vergangenen Donnerstag hatten die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden: Wer einen Immobilienkredit in Form eines Haustürgeschäfts abschließt, darf diesen innerhalb einer Woche widerrufen. Zudem legten sie fest: Wird der Kunde vom Kreditverkäufer nicht über sein Widerrufsrecht aufgeklärt, besteht das Recht zur Rückabwicklung so lange, bis die letzte Rate des Darlehens zurückgezahlt ist.

Ein solches Urteil hatten die Richter des Bundesgerichtshofs nicht erwartet, als sie den EuGH zur Klärung von Differenzen zwischen dem EU- Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften und dem Verbraucherkreditgesetz anriefen.

Fall-Beispiel

Vorausgegangen war ein Prozess, den ein Ehepaar gegen die Münchner HypoVereinsbank (HVB) angestrengt hatte. Die Kläger waren nach eigenen Angaben von einem Makler unaufgefordert besucht und gleich überredet worden, eine vermietete Wohnung als Kapitalanlage zu erwerben. Der windige Verkäufer hatte auch gleich den passenden Finanzierungsvertrag für die überteuerte Immobilie präsentiert - ein Darlehen, das an die damals noch eigenständige Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank weitervermittelt wurde. Nun werfen die Kläger der Bank vor, die Aufklärung über das Widerrufsrecht versäumt zu haben.

Unterschiedliche Urteile

Grundsätzlich sieht das Verbraucherkreditgesetz keine Widerrufsmöglichkeit bei grundpfandrechtlich gesicherten Krediten vor. Das aber widerspricht der EU-Richtlinie zum Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften. "Immobilienkredite, die im Rahmen eines Haustürgeschäfts geschlossen wurden, fallen in den Anwendungsbereich der Haustürgeschäfts-Richtlinie der EU", führten die Luxemburger Richter in ihrem Urteil aus. Damit werden die Passagen in Paragraph 3 des deutschen Verbraucherkreditgesetzes und in Paragraph 5 des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften vom EuGH praktisch gekippt.

Juristen uneinig

Dennoch sind sich die Juristen über die Folgen des Luxemburger Urteils alles andere als einig. Anwälte von geschädigten Anlegern prophezeien der Bankenbranche Sammelklagen und Rückabwicklungen in Milliardenhöhe. In der Rechtsabteilung der HVB heißt es, sie befürchte aus dem Urteil "keine finanziellen Folgen".

HVB denkt positiv

Allenfalls sei mit Druckkosten für die Neugestaltung von Formularen zu rechnen, so eine Sprecherin der Bank. Ihren Optimismus begründet die Bank mit der Aussage, dass sie bei der groß angelegten Finanzierung von vermieteten Wohnungen über Makler und Strukturvertriebe nach jeweils geltendem Recht gehandelt habe. Eine rückwirkende Anwendung dieses Urteils auf Darlehensverträge, die in der Vergangenheit abgeschlossen wurden, sei daher nicht rechtens. Wenn überhaupt jemand in die Haftung käme, wäre dies aufgrund der fehlerhaften Gesetze die Bundesrepublik Deutschland. "Sollte das Urteil rückwirkend gelten, wäre das aus unserer Sicht ein klarer Fall von Staatshaftung", so die Sprecherin.

Richter sprechen anders

Doch ganz so eindeutig, wie es die Bankvertreterin darstellen will, ist die Rechtslage nicht. So haben die Richter eine zeitliche Beschränkung des Urteils ausdrücklich ausgeschlossen. Die HVB habe keinen konkreten Gesichtspunkt zu ihrer Aussage vorbringen können, dass "dieses Urteil, falls seine Wirkungen nicht zeitlich begrenzt würden, erhebliche finanzielle Folgen für die Kreditinstitute hervorzurufen drohe".

Damit ist es möglich, dass der Bundesgerichtshof bei seiner endgültigen Entscheidung die Rückabwicklung aller betroffenen Finanzierungen ermöglicht, die seit Inkrafttreten des Verbraucherkreditgesetzes im Jahr 1991 abgeschlossen wurden. Auch der von der Bankenbranche gerne vorgebrachte Einwand, es habe sich beim Kauf überteuerter Wohnungen nur in Ausnahmefällen um Haustürgeschäfte gehandelt, erweist sich bei näherer Betrachtung als wenig stichhaltig.

Immobilien im Osten

Auf dem Höhepunkt des Ostimmobilien-Booms Anfang der neunziger Jahre trieb der Eifer der nicht immer allzu fachkundigen Immobilienverkäufer oft seltsame Blüten. In vielen Fällen wurde gleich beim ersten Besuch des Vertreters der Finanzierungsvertrag abgeschlossen und noch am späten Abend der Notar zur Beurkundung des Kaufvertrags aufgesucht. Auch bei wohlwollender Betrachtung halten solche Geschäftspraktiken den Ansprüchen eines überlegten und sorgfältig vorbereiteten Vertragsabschlusses nicht stand.

Zwei Definitionen über das Haustürgeschäft

Da wirkt es sich für die Banken noch eher günstig aus, dass der EuGH den Begriff des Haustürgeschäfts deutlich enger eingrenzt als es in der deutschen Rechtsprechung üblich ist. Während der deutsche Gesetzgeber jedes Geschäft außerhalb der Geschäftsräume des gewerblichen Verkäufers als Haustürgeschäft einstuft, verweist der EuGH auf den Überraschungseffekt.

Ein Haustürgeschäft im Sinne des Luxemburger Urteils liegt somit vor, wenn die Initiative zum Vertragsabschluss vom Gewerbetreibenden ausgeht, der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wird und der Verbraucher auf die Verhandlungen nicht vorbereitet ist, so dass er Qualität und Preis des Angebotes nicht vergleichen kann.

Risiko einer Niederlage

Nun muss der Bundesgerichtshof nach den Vorgaben aus Luxemburg ein Präzedenzurteil fällen, das weitreichende Folgen haben wird. Auch wenn sich die Verantwortlichen der HVB betont gelassen geben, dürfte in den Vorstandsetagen eine gewisse Unruhe herrschen. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass das Institut in großem Stil Anlageimmobilien finanziert hat, die von den Drückerkolonnen der so genannten Strukturvertriebe verkauft wurden.

Rund 100.000 von Maklern, Strukturvertrieben, Bauträgern oder Steuerberatern vermittelte Finanzierungen stehen in den Büchern der Bank. Wie viele Verträge davon bei einem Urteil des Bundesgerichtshofs rückabgewickelt werden könnten, müssten die Gerichte prüfen. Daher besteht für die HVB das Risiko einer Niederlage vor dem Bundesgerichtshof.

Juristen startklar

Sollte das Urteil zu Lasten der Bank ausfallen, stehen die Anwälte geschädigter Anleger bereits in den Startlöchern. Allein der Göttinger Rechtsanwalt Reiner Füllmich vertritt nach eigenen Angaben 4500 Kunden der ehemaligen Hypo-Bank. Allerdings würde sich selbst aus einem für die geschädigten Anleger positiven Urteil kein Automatismus ergeben.

In mühsamen Einzelprozessen müsste jeder betroffene Anleger nachweisen, dass es sich um ein Haustürgeschäft mit "Überraschungseffekt" gehandelt hat und eine Belehrung über die Widerrufsrechte nicht erfolgt ist. Bis zum endgültigen Richterspruch schwanken nun alle Beteiligten zwischen Hoffen und Bangen.

Geschädigte Immobilienanleger und Verbraucherschützer hoffen darauf, dass die HVB auch rückwirkend die als Haustürgeschäft abgeschlossenen Kreditverträge auflösen muss - während die Verantwortlichen der Bank darauf hoffen, dass das Urteil nur für zukünftige Verträge gilt. Bundesfinanzminister Hans Eichel wiederum dürfte hoffen, dass der Kelch einer möglichen Haftung des Bundes an ihm vorübergehen möge.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: