Energiesparhäuser:Missionar für ökologisches Bauen

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Der Münchner Architekt Joachim Nagel hat sein Leben dem Niedrig-Energie-Haus verschrieben - und Erfolg damit.

Von Bernd Kastner

Einen Missionar nennt er sich selbst und grinst dabei. Wenn man sich aber einen Missionar vorstellt als laut und penetrant und besserwisserisch, dann ist Joachim Nagel gar keiner. Zu leise, zu bescheiden wirkt der Mann mit dem grauen Bart, dem korrekten Scheitel und der großen Brille.

Hohe Energiekosten sind gute Freunde von ihm: Joachim Nagel bietet das Öko-Haus zum Festpreis an. (Foto: Foto: Hess)

Und das mit dem Missionieren hat, genau genommen, auch noch nicht so recht funktioniert, denn sonst müssten sehr viel mehr der Architekten und Bauträger das nachmachen, was ihr Kollege Nagel vormacht: ökologisch, energiesparend bauen, und das nicht nur ein bisschen, sondern konsequent, bis zum Äußersten.

Doch der "Missionar", 58 Jahre alt, ist noch so ziemlich der einzige in der Münchner Bau-Szene, der das tut. Gerade steht sein aktuelles Projekt in der Messestadt kurz vor dem Abschluss, in ein paar Wochen sollen die ersten Bewohner in die 33 Wohnungen einziehen. Und werden dort nicht nur Energie sparen, sondern dank Photovoltaik auch selbst welche produzieren. Nagel baut mit seiner Firma "Nest" das wohl energetisch beste Mehrparteienhaus in München, und so ist er weniger Missionar denn Pionier.

"Die Zeit war noch nicht reif"

15 Jahre kämpft er nun mit seiner Firma Nest gegen die Gleichgültigkeit im Baubereich: "Für die meisten ist Energiesparen kein Thema, man hat die Energie halt." Noch ja, hält er dagegen, aber wie lange noch? Was ist mit den politischen Abhängigkeiten von den Energielieferanten? Was mit dem steigenden Preis? Was mit dem drohenden Ende an Vorrat fossiler Brennstoffe?

Nach seinem Studium hat der Architekt drei Jahre lang im Industrie-Rohrleitungsbau gearbeitet, hat Pipelines und ähnliches gebaut, dann wollte er Häuser entwerfen. Bei 50 Wohnungsbauunternehmen hat er sich dann als Energieberater beworben, 1983 war das, doch keiner hat ihn gebraucht. "Die Zeit war noch nicht reif", sagt Nagel.

Also hat er sein eigenes Architekturbüro aufgemacht, hat ganz normale Einfamilienhäuschen gebaut, wie man sie überall sieht im Münchner Umland. Die Energie aber hat ihn von Anfang an umgetrieben, weniger aus einem weltverbesserischen Antrieb, sondern als Ingenieurs-Ehrgeiz: "Wie kann man's schaffen, ganz autark zu sein?"

1985 hat er die ersten Niedrigenergiehäuser gebaut, die verbrauchten noch 60 bis 75 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Er geht auf Umwelttage, versucht seine Idee zu verbreiten, aber wirklich vorangegangen ist nichts. Nagel führt das auf die Vorurteile gegen Ökohäuser zurück: funktioniert technisch nicht; braucht keiner, weil genug Energie da ist; und es kostet ein Drittel mehr als ein normales Haus. Außerdem musste ein Häuslebauer das wirtschaftliche und technische Risiko eines solchen extravaganten Vorhabens zahlen, und dieses Risiko scheuten fast alle.

Und so hat sich Nagel Anfang der 90er Jahre gesagt: Dann übernehme ich halt dieses Risiko und biete ein Ökohaus zum Festpreis an. Das bedeutete aber, dass sein Architekturbüro für dieses Geschäftsmodell nicht ausreichte, er musste ins Bauträgergeschäft einsteigen und hat seine Firma gegründet. "Niedrigenergie Siedlungstechnik", kurz "Nest". Seither nennt er sich einen "Zwangs-Bauträger" und lacht in seinen Bart. Er will sich und den Auftraggebern beweisen, dass man nur fünf bis zehn Prozent mehr ausgeben muss für ein energieeffizientes Haus, nicht 30 Prozent, wie befürchtet.

"Es gab ja keine Konkurrenz auf dem Ökosektor"

Ein Auftrag aus Karlsfeld, der Gemeinde nördlich von München, war wohl der Durchbruch für Nest: 46 Reihenhäuser hat Nest geplant und gebaut Mitte der 90er. "Wir haben Glück gehabt", sagt Nagel. "Wir haben es überlebt, auch wirtschaftlich." Seine Position als Öko-Bauträger ist immer eine Balance zwischen Fortschritt und Absturz. Es war in Icking, wo er sein erstes Passivhaus baute, ehe er in Kontakt kam mit dem Münchner Planungsreferat. Das war, als die Grundstücke in der Messestadt vergeben wurden.

Ob er denn auch dürfe, habe er gefragt. Ja, haben sie geantwortet - und herausgekommen ist das erste Passivmehrfamilienhaus in München mit 18 Wohnungen und einer Kita. Den Bauherrenpreis haben sie dafür bekommen - "klar", sagt Nagel und grinst, "es gab ja keine Konkurrenz auf dem Ökosektor."

Inzwischen ist Nest etabliert als ganz kleiner unter vielen großen Bauträgern. Er sammelt Auszeichnungen und kommt doch mit einem halben Dutzend Mitarbeitern aus, Frau und Tochter eingerechnet. Dabei besetzt Nest nicht nur in Sachen Energieverbrauch eine Sonderposition, sondern auch in Sachen Bewohner-Beteiligung. Man will nicht, wie üblich, Wohnungen von der Stange verkaufen, sondern die künftigen Kunden in der Planungsphase mitreden lassen, so ähnlich, wie man es von Baugruppen kennt.

So kann jeder auf kleine, aber wichtige Details seiner künftigen Wohnung Einfluss nehmen: wie die Dächer gestaltet werden, wohin die Steckdosen kommen. "Das ist manchmal stressig für uns", meint Nagel, aber die Kunden honorieren es.

Beim Nullverbrauch angekommen

Während die meisten großen Bauträger jammern, dass die Wohnungen in der Messestadt so schleppend weggehen, ist Nagels Haus längst verkauft, obwohl ein Quadratmeter stolze 3500 Euro kostet im Schnitt. In zehn Jahren, so verspricht Nagel, seien die Mehrkosten für die Ökoausstattung durch die gesparte Energie wieder drin.

Und während andere Bauträger mit einem "Niedrigenergiestandard" werben, den Nest schon vor 20 Jahren anbot, und den heute ohnehin das Gesetz vorschreibt, ist der Nest-Neubau in der Messestadt beim Null-Verbrauch angekommen. So werden die Nagels weitermachen, werden weiter tüfteln und sich ein wenig auch über ihr Image als Exoten in der in München so konservativen Branche freuen.

Inzwischen hat er den besten Kompagnon an seiner Seite, den er sich wünschen kann: den Energiepreis. Der macht energiesparendes Bauen immer reizvoller, weil er klettert und klettert und so zum eigentlichen Missionar in Nagels Unternehmen geworden ist.

© SZ vom 5. 11. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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