Drohender Kollaps der AIG:Schlimmer als Bear Stearns und Lehman

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Wenn die AIG in die Knie geht, ist die Katastrophe perfekt. Die Banken JP Morgan und Goldman Sachs sollen den wankenden Versicherungsgiganten nun mit 75 Milliarden Dollar stützen.

Nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers kämpft der nächste große US-Finanzkonzern um sein Überleben. Der Versicherungsriese American International Group (AIG) benötigt dringend frisches Kapital, um das Geschäft langfristig aufrecht erhalten zu können.

Weltgrößter Versicherer in Nöten: Der AIG-Tower in Hongkong. (Foto: Foto: Reuters)

"Dagegen waren Lehman und Bear Stearns gar nichts"

Die Suche wird immer schwerer, denn die drei wichtigsten Ratingagenturen reduzierten am Dienstag ihre Bonitätsnoten für den einst weltgrößten Versicherer. Dies verteuert die Refinanzierung und könnte eine existenzbedrohende Kettenreaktion auslösen. "Wenn AIG zusammenbricht, dann wird es richtig schlimm. Dagegen waren Lehman und Bear Stearns gar nichts", sagte ein US-Börsenmakler. "Die Verwicklungen mit der Finanzwirtschaft sind viel größer als bei den Investmentbanken." Die US-Notenbank (Fed) hat Finanzkreisen zufolge mittlerweile die Investmentbank Morgan Stanley damit beauftragt, alle Optionen für AIG zu prüfen.

In einer ungewöhnlichen Aktion erlaubte die regionale Fed von New York dem Versicherungskonzern am Montagabend entgegen üblicher Rechtspraxis, auf Einlagen von Tochtergesellschaften zuzugreifen. Dadurch bekommt der Versicherungsriese kurzfristig Zugang zu 20 Milliarden Dollar.

Erst 20, dann 75 Milliarden Dollar für die AIG

Für das langfristige Überleben ist Finanzkreisen zufolge aber deutlich mehr nötig. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte Reuters, die Banken JP Morgan und Goldman Sachs prüften auf Bitten der Fed einen gemeinsamen Kredit von 70 bis 75 Milliarden Dollar für AIG. "AIG scheint der nächste auf dem Schafott zu sein", kommentierte Tom Sowanick, Finanzexperte beim Investmenthaus Clearbrook Financial in Princeton.

Der Versicherer mit weltweit mehr als 100.000 Mitarbeitern hat in den vergangenen drei Krisenquartalen fast 20 Milliarden Dollar Verluste angehäuft, was die Kapitaldecke massiv angekratzt hat. Grund sind Garantien, die der Konzern - bei dem auch viele deutsche Großkonzerne versichert sind - für Hypothekenpapiere übernommen hat. Diese Wertpapiere haben stark an Wert verloren oder sind inzwischen sogar unverkäuflich.

Wegen der Liquiditätsprobleme ging der AIG-Aktienkurs am Montag um weitere 61 Prozent in die Knie und liegt nur noch bei 4,76 Dollar. Das Unternehmen hat in diesem Jahr schon mehr als 90 Prozent an Börsenwert verloren. Nach gescheiterten Übernahmeverhandlungen mit dem Milliardär Warren Buffett und Beteiligungsfirmen bat AIG am Sonntagabend die US-Notenbank um Unterstützung. Zudem prüft das Unternehmen den Verkauf von Beteiligungen, um Geld in die Kassen zu bekommen.

Auch Washington Mutual angeschlagen

Die vor mehr als einem Jahr ausgebrochene Finanzkrise hat sich seit dem Wochenende dramatisch zugespitzt. Für das traditionsreiche Investmenthaus Lehman fand sich nicht einmal mehr kein Käufer - auch weil der Staat dieses Mal nicht helfend einspringen will. Die Bank musste deshalb Gläubigerschutz nach US-Insolvenzrecht beantragen. Die ebenfalls angeschlagene Investmentbank Merrill Lynch wurde für 50 Milliarden Dollar notverkauft an die Bank of America. Die Kurse an den Börsen rutschten weltweit ab, besonders Finanztitel blieben auch am Dienstag unter Druck.

"Wir werden weitere große Finanzkonzerne zusammenbrechen sehen", sagte der frühere Fed-Chef Alan Greenspan nach dem Lehman-Kollaps voraus. Der Staat dürfe nicht jedem Institut zur Seite springen. "Es ist der Lauf der Dinge in der Finanzwelt, dass es Gewinner und Verlierer gibt." Neben AIG gilt auch die größte US-Sparkasse Washington Mutual wegen massiver Verluste mit Hypothekenpapieren als schwer angeschlagen.

Während etwa die Ratingagentur S&P die AIG-Bonität trotz Herabstufungen wenigstens noch auf Investment-Niveau sieht und sich ihrer Meinung nach Risiken für Gläubiger damit noch halbwegs in Grenzen, vergibt sie Washington Mutual mittlerweile Ramschstatus. Die Aktien, die bereits im regulären Handel unter Druck standen, gaben außerbörslich nochmal fast 30 Prozent nach.

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