Digitales Wohnen:High Tech unter der Raufaser

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Das Traurige an den Prototypen für schlaues Wohnen ist die Dummheit ihrer Architektur: Oft steckt die neue Technik in spießigen Einfamilienbehältern, die man in den Vorstädten hassen gelernt hat.

Von Tobias Timm

Die Zukunft, sagt die Industrie, sind die "Smart Homes", die "digitalen", "vernetzten" oder "intelligenten" Häuser, und dabei geht es um zwei Motive: Das Wohnen soll einfacher und kontrollierbarer werden.

T-Com und Weber-Fertighaus haben ein Haus der Zukunft gebaut. Es heißt T-Com-Haus und steht bis Ende des Jahres in Berlin. Dann wird es wieder abgerissen. (Foto: Foto: dpa)

Dazu wird aufwändige Haushalts-, Sicherheits- und Unterhaltungselektronik verbaut und miteinander vernetzt. Was in diesem Bereich technisch und ökonomisch machbar ist, zeigen die Hersteller derzeit auf der Cebit in Hannover und mit dem Bau von Prototypen wie dem T-Com-Haus in Berlin.

Das T-Com-Haus im Raufaser-Look

Unweit des Potsdamer Platzes steht letzteres auf einer Brache, zwischen leerem Büroneubau und alter DDR-Platte. Die Fertighaus-Firma Weber hat das T-Com-Haus gebaut und dafür gesorgt, dass es außen wie innen nach Raufaser-Tapete aussieht.

Aber das Haus kann einiges: Automatisch staubsaugen etwa, oder die Rollläden runterlassen und für die richtige Stimmung sorgen. Der Bewohner muss sich nur über das "Mood-Management" für die Atmosphäre "Romantisch" entscheiden: Schon beginnt ein großer Lichtkasten, das "Moodboard", rot zu leuchten, dazu quillt sphärische Musik aus einer Armada von Lautsprechern und psychedelische Lava tropft aus dem Fernseher.

Das alles wird über einen zentralen Computer gesteuert, der auch Fernseher, Stereoanlage, Internet und sogar die Tageszeitung als E-Paper parat hält.

Mit einer kleinen Computerfernbedienung, dem Personal Digital Assistant (PDA), kann sich jeder Hausbewohner die gewünschten Inhalte auf die ubiquitären Bildschirme - auch auf dem Klo lauert einer - zaubern. Und das ohne viele Kabel, schließlich ist die völlige Schnurlosigkeit für manchen ungefähr so schön wie die Schwerelosigkeit.

Früher haben die Kabel das Wohnen geprägt: Das Telefon war in den meisten Wohnungen an einem festen Platz im Flur gefesselt, der Fernseher an die Antennenbuchse in der guten Stube. In den digitalen Häusern ist jetzt fast alles "wireless" und mobil. Nur den Strom kann man bisher nicht kabellos übertragen.

Nicht nur innerhalb des Hauses ist alles mit allem vernetzt, auch das Haus selbst ist immer im Internet. So können die Bewohner über ihre PDAs auch von Kiew aus die Rollläden rauf und runter fahren, den Herd ausschalten oder dem Einbrecher per Videostream bei seiner Arbeit zuschauen. Nachdem Fernanwesenheit durch Handy, Chat und Email für den Menschen zur Pflicht wurde, gilt das nun auch fürs Haus.

Das Paradoxe: Obwohl das Heim ja immobil ist und immer am gleichen Ort bleibt, ist es nun nicht mehr wirklich daheim. Denn die Daten, die das Haus steuern, liegen nicht auf einem Computer in den eigenen vier Wänden, sondern auf einem großen Server des zuständigen Internetanbieters - im digitalen Irgendwo.

Nun stellt sich die Frage, welchen Einfluss das Digitale Wohnen auf unser Leben haben wird?

Wir werden weniger Zeit auf Haushaltsarbeit verwenden und dafür mehr Zeit mit dem Herunterladen von Filmen und Büchern verbringen. Die gesteigerte Mobilität der Geräte wird gleichzeitig zu Bewegungsarmut führen. Wenn die Zeitung direkt auf unseren Klo-Bildschirm kommt, dann werden wir sie uns nicht mehr aus dem Briefkasten holen. Und wenn der Sohn mit der Mama sprechen will, dann geht er nicht in ihr Zimmer, sondern ruft sie hausintern über sein PDA an.

Der PDA ist nicht nur eine prima Fernbedienung, sondern auch ein großer Bewegungsschlucker. Doch das T-Com-Haus ist gegen die vorprogrammierte Fettleibigkeit gerüstet: Im ersten Stock gibt es ein Fitnessstudio mit Laufband. Ein großer Bildschirm zeigt dem In-Door-Jogger passende Straßenszenen aus Berlin: Es ist die Strecke des Stadt-Marathons, man sieht den entlaubten Tiergarten im Winter und vereinzelte Einheimische, die am Wegrand stehen und gaffen.

Die Smart Homes werden auch - und das ist sicherlich die größere Gefahr - zu einer Ausweitung der Überwachung führen. Im T-Com-Haus wimmelt es von Kameras, Bewegungsmeldern und Sensoren. Das mag beruhigend auf jene Mitmenschen wirken, die von Psychologen als "Checker" bezeichnet werden: Leute also, die zwanghaft oft nachprüfen müssen, ob sie die Haustür auch wirklich abgeschlossen und den Herd ausgeschaltet haben.

Für alle anderen wird das vernetzte Haus zur digitalen Festung und zum Gefängnis zugleich: In einem Smart Home kann kein Kind heimlich Fernsehen, statt seine Hausaufgaben zu erledigen. Da das "intelligente Haus" ein perfektes Gedächtnis hat und alle persönlichen Eigenarten speichert, wird der Bewohner überdies zum Sklaven seiner Gewohnheiten.

Zunächst aber dient die Erfindung des Smart Homes vor allem der Industrie. Sie schafft ein neues Bedürfnis und damit einen neuen Wachstumsmarkt. Das spürt der Besucher derzeit auf der Cebit, wo neben großen Unternehmen auch kleine Softwarefirmen wie Tobit Lösungen fürs digitale Zuhause präsentieren.

Tobit hat ihr System auf der Messe in ein Einfamilienhausmodell im Maßstab 1:3 gebaut: Es ist das angeblich "undoofste Haus der Welt" mit versenkbaren Mülleimern und einer Badewanne, die man schon auf dem Weg vom Büro volllaufen lassen kann. Fraglich bleibt, ob der Bewohner überhaupt auf all die kleinen Alltagsrituale - das Drehen am Wasserhahn, das Lichtausknipsen - verzichten will.

"Interessant ist nicht so sehr, was technisch möglich ist," erklärt am Stand von Microsoft ein bescheiden grinsender Elektroingenieur, "sondern, womit man in zwei, drei Jahren auf dem Markt Erfolg hat." Am besten wäre es, wenn man mit einer Fertighausfirma kooperieren könnte. Denn nur als Haus von der Stange würde sich eine Automatisierung wirklich lohnen.

So ist das Traurige an den meisten Prototypen für ein schlaues Wohnen die Dummheit ihrer Architektur. Die neue Technik steckt meist in spießigen Einfamilienbehältern, Gebäudetypen, die man in den zersiedelten Vorstädten hassen gelernt hat. Der bewohnte Raum funktioniert, so Pierre Bourdieu, als eine Art spontane Metapher des sozialen Raums: "Es ist der Habitus, der das Habitat macht." Die Programmierer, Ingenieure und Fertighausbauer basteln sich also nur die Behausungen, die ihrer sozialen, ökonomischen und kulturellen Stellung entspricht.

Nachdenken müssen wird man tatsächlich über ganz andere Dinge: Die kommende Altengesellschaft wird viele schwellenfreie Wohnungen brauchen. Wohnungen, deren Computer-Fernbedienung so domestiziert wurde, dass sie auch von einer Neunzigjährigen bedient werden kann. Wie die Technik den Alten helfen wird, überlegen sich auch Andreas Zimmermann und Lars Zahl vom Fraunhofer-Institut.

Im "Future Parc" der Cebit präsentieren sie ihr "wearable Computing": Winzige, in die Kleidung genähte Rechner könnten in Zukunft den Notarzt rufen, falls der Träger einen Herzinfarkt hat. Und das wirklich intelligente Haus öffnet den Rettern dann gleich automatisch die Tür. "Ambient Intelligence" nennt man das. Schon sehr bald, so die beiden, werden wir mit unseren Behausungen sprechen können.

Und in zwanzig Jahren? Gibt es Fenster aus Nano-Partikeln, glauben die beiden jungen Forscher. Deren Molekularstruktur können wir durch elektrische Impulse so ändern, dass nach Belieben der Wind in die Zimmer weht, ohne dass wir das Fenster öffnen mussten. Dann wird es auch noch viel mehr Bildschirme geben, und sie werden hinter uns herfliegen.

© SZ vom 14.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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