Die Finanzkrise und die Folgen:Der Herr der Blasen

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Alan Greenspan galt lange Zeit als lebende Legende. Doch in der Finanzkrise schwindet das Ansehen des früheren US-Notenbank-Chefs rapide.

Marc Steinhäuser

Einst feierte man ihn als "Zins-Eliminator". Ein US-Finanzminister sagte über ihn: "Er tut immer das Richtige." Für viele war er gar der "größte Zentralbanker aller Zeiten". George W. Bush verlieh ihm die Freiheitsmedaille, die Queen schlug ihn zum Ritter.

Einst wurde er als "größter Zentralbanker aller Zeiten" gerühmt, nun gilt er vielen als einer der Hauptschuldigen der Finanzkrise: der frühere US-Notenbank-Chef Alan Greenspan. (Foto: Foto: Reuters)

Alan Greenspan, fast 19 Jahre lang Chef der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed), ist eine lebende Legende. Seine Finanzmarkt-Konzepte soll er in der Badewanne entwickelt haben.

Sein Name wurde bisher vor allem mit dem langen wirtschaftlichen Aufschwung der USA seit Mitte der 90er Jahre in Verbindung gebracht: In Greenspans Ära verdoppelte sich die US-Wirtschaftsleistung, 27 Millionen neue Arbeitsplätze wurden geschaffen.

Doch unzählige Bankenpleiten später, nach dem Ende des Mythos der Wall Street, wackelt das Denkmal. Die Schatten, die sich knapp drei Jahre nach Greenspans Abgang auf sein Werk legen, werden immer größer. Für eine wachsende Zahl von Politikern und Ökonomen ist Greenspan sogar einer der Hauptschuldigen des Debakels.

Greenspans Credo

"Es besteht kein Zweifel, dass Alan Greenspan die globale Finanzkrise auf dem Gewissen hat", sagt etwa der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Ähnlich sehen das deutsche Kollegen: "Greenspan hat die Krise erfunden", urteilt Wolfgang Gerke, Honorarprofessor an der European Business School (EBS).

Notenbank-Legende Greenspan wird nun das zum Verhängnis, wofür er jahrelang kämpfte, zu Zeiten von Ronald Reagan genauso wie bis in die zweite Amtszeit George W. Bushs: Niedrige Zinsen und wenig Marktregulierung.

Mit seiner Politik des billigen Geldes hatte Greenspan jede noch so schwierige Lage zu retten versucht: Den Aktien-Crash in den asiatischen Tigerstaaten 1997, den Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM im Jahr 1998, das Platzen der New-Economy-Blase zu Beginn des Jahrtausends sowie die Kurseinbrüche nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Immer lautete seine Antwort: Zinsen senken, um die Börsen weltweit wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Allein in der Zeit nach dem Amtsantritt Greenspans bis Anfang der 90er Jahre fiel der Leitzins von rund neun Prozent auf drei Prozent.

"In Wahrheit hat er in jeder Krise den gleichen Fehler gemacht", sagt William A. Fleckenstein, Fondsmanager und Börsenkolumnist aus Seattle. "Greenspans Politik hat die Blasen selbst erzeugt." Die Crash-Gefahr sei von Eingriff zu Eingriff größer geworden.

Spekulationen angeheizt

In seinem neuen Buch über Alan Greenspan, das den bösen Titel Mr. Bubble - also Herr der Blasen - trägt, rechnet Fleckenstein mit Greenspans Zinspolitik ab. Es ist nicht das erste Buch dieser Art, aber die Thesen sind besonders zugespitzt.

So argumentieren die Ankläger: In den letzten 15 Jahren sei die Geldmenge enorm gewachsen, zahlreiche Anleger wären aus Festgeldern und Anleihen in Aktien getrieben worden - weil die Rendite bei Staatspapieren nicht mehr stimmte.

Gleichzeitig wurden billige Kredite an Makler und Hausbesitzer vergeben. Das alles habe die Spekulation, besonders im kollabierenden US-Hypothekenmarkt, geradezu angeheizt, sagt Fleckenstein.

Auch Nobelpreisträger Stiglitz erklärte kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung, dass durch die niedrigen Zinsen zwar Investitionen angekurbelt wurden, "aber nicht in nachhaltige, produktive Bereiche." So habe die neue Immobilienblase nur die Nachwehen der zuvor geplatzten New-Economy-Blase überdeckt.

Auch die unseriösen Kreditvergaben und massenhaften Pleiten soll Alan Greenspan mit seiner Fed befördert haben. So pries der damalige Notenbank-Chef im Februar 2004 die Vorzüge variabel verzinslicher Hypotheken, als die Zinsen auf dem niedrigsten Niveau seit 50 Jahren waren. In den zwei Jahren nach seiner Äußerung hat Greenspan die Zinsen 17-mal erhöht - und damit Millionen amerikanische Hausbesitzer in die Schuldenfalle getrieben.

Spiel mit der Angst

Ohnehin gilt Greenspan als unermüdlicher Optimist, der selbst nach Börsen-Crashs Wörter wie "Blase" nicht über die Lippen bringt. Das belegen interne Protokolle von Fed-Sitzungen, aus denen Fleckenstein in seinem Buch zitiert. Er sagt dazu: "Greenspan muss zeitweise blind und taub zugleich gewesen sein."

Schon im Jahr 2003 habe es eindeutige Anzeichen für das Aufblähen der Hauspreise in den USA gegeben. Greenspan hielt jahrelang dagegen: "Spekulationsblasen sind im Allgemeinen nur im Nachhinein als solche wahrnehmbar", sagte Greenspan einmal vor dem Joint Economic Committee des US-Kongresses. "Das Erkennen einer Blase, bevor sie geplatzt ist, erfordert das Urteil, dass Hunderttausende gut informierter Investoren falsch liegen."

So spielte Greenspan jahrelang mit der Angst und fand Argumente für niedrige Zinsen: Er malte eine drohende Deflation und ein mögliches Abschwächen der US-Wirtschaft an die Wand. Nicht jeder hält das für wahrheitsgemäß. "Das sind nur kurzfristige Effekte", sagt etwa Fondsmanager Fleckenstein.

Auf lange Sicht hätte eine zurückhaltendere Zinspolitik der Fed positive Auswirkungen. Denn: "Es ist nie möglich, einen richtigen Zinssatz festzulegen", glaubt Fleckenstein und liebäugelt gar damit, einige Zentralbanken abzuschaffen.

Auch Greenspans ehemalige Behörde, die Fed, bleibt von der Kritik nicht verschont. "Die hat ihre Kontrollaufgaben nicht erledigt", sagt Fleckenstein. Zu den drei primären Aufgaben der US-Notenbank gehört unter anderem, die Banken zu überwachen und zu regulieren.

"Ich bin unschuldig"

Doch Greenspan sträubte sich leidenschaftlich dagegen, wie Nobelpreisträger Stiglitz anmerkt: "Greenspan glaubte nicht an Regulierungen; dann kann keine gute Regulierung herauskommen."

Und wie reagiert der viel Gescholtene? Er gibt in letzter Zeit so viele Interviews, dass manche schon scherzen, er sei wieder im Amt. Tenor seiner Aussagen: Ich bin unschuldig! So versucht Greenspan, sein Lebenswerk zu retten: Die Exzesse, die zu zahlreichen Bankenpleiten führten, sind nach seiner Ansicht Folgen der Globalisierung und der Märkte in Osteuropa und Asien.

Wie der ewige Optimist in die Zukunft blickt? Die jetzige Krise sei schlimmer als 1929, sagte er kürzlich. Vielleicht saß Greenspan vor dieser Analyse auch in seiner Badewanne. Und sah, wie eine Seifenblase platzte.

© SZ vom 04.10.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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