Die Asienkrise:Tiger auf dem zweiten Sprung

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Der Flächenbrand vor zehn Jahren: Viele Länder der Region litten schrecklich unter den Turbulenzen der Asienkrise - stehen aber heute besser da als zuvor.

Janis Vougioukas

Es gibt sie noch, die grauen Skelette aus Beton, verlassene Bauruinen - die Denkmäler für eine Katastrophe, die sich in diesen Tagen zum zehnten Mal jährt.

Es begann am 2. Juli 1997, als die thailändische Regierung beschloss, die Landeswährung Baht aus der Bindung an den Dollar zu entlassen. Daraufhin verlor die Währung binnen zwei Stunden fast ein Fünftel ihres Wertes.

Dies wiederum entzündete einen Flächenbrand, der sich nach wenigen Wochen über eine ganze Weltregion ausbreitete: So startete die Asienkrise, der schlimmste ökonomische Zusammenbruch der beteiligten Länder seit Jahrzehnten - mit Auswirkungen auf den gesamten Globus.

Es hat lange gedauert, bis Asien sich wieder erholt hatte. Die Bauruinen sind selten geworden, haben Platz gemacht für neue Hochhäuser und die Euphorie des Aufschwungs, die Erinnerung verblasst. Asien steht wieder gut da. Seit vier Jahren in Folge liegen die Wachstumszahlen der sogenannten Tigerstaaten über der Zehn-Prozent-Marke.

Betrachtet man das Bruttosozialprodukt der Länder, dann ist der damalige Abschwung nur als Zacken in einer aufwärts strebenden Linie zu erkennen. Zwar müssen noch immer über eine halbe Milliarde Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben - immerhin ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Doch die Zahl sinkt schneller als jemals zuvor, hieß es kürzlich voll Anerkennung in einem Bericht der Weltbank.

Das Synonym für rasanten wirtschaftlichen Aufstieg

Als die Krise begann, war Asien das Synonym für rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Eine Region mit märchenhaften Wachstumszahlen und erfolgshungrigen jungen Firmen, die scheinbar aus dem Nichts entstanden waren; die Aschenputtel-Geschichte der Weltwirtschaft. Man hätte die ersten Anzeichen der heraufziehenden Gefahr früher erkennen können.

Etwa am Dienstag, den 13. Mai 1997 - einem warmer Tag in Thailands Hauptstadt Bangkok, drückende Gewitterluft. Der Feierabendverkehr hatte bereits begonnen, da meldeten die Computer der Nationalbank plötzlich eine Flut von Verkaufsordern aus London und New York, wo Devisenhändler in wenigen Minuten Hunderte Millionen Baht auf den Markt warfen und Dollar verlangten.

In dem Moment dachte Rerngchai Marakanond: "Jetzt wollen sie uns killen'', wie der damalige Chef der thailändischen Zentralbank später sagte. Dieser Angriff wurde noch abgewehrt, doch im Juli brachen alle Dämme.

Die Boomstimmung hatte eine narkotisierende Wirkung

Asiens Boom war auf Pump finanziert, hauptsächlich mit Dollarkrediten. Niemand hatte ganz genau hingeschaut, denn damals schien fast alles möglich - die Boomstimmung hatte eine narkotisierende Wirkung.

Auch in Malaysia, Indonesien und Südkorea wurden die Währungen niedergeknüppelt, die Aktienkurse fielen parallel, immense Schuldenlasten zerdrückten Hunderte Unternehmen. So musste das renommierte Hongkonger Investmenthaus Peregrine Konkurs anmelden, weil es 265 Millionen Dollar in eine Taxifirma aus der indonesischen Hauptstadt Jakarta investiert hatte.

Hektische Diplomatie folgte. Die multinationalen Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank schalteten sich ein, doch nachdem beispielsweise auch die indonesische Rupiah abgestürzt war, reichte ein 40-Milliarden-Dollar-Kredit des IWF an das Land gerade aus, um die größte Not zu lindern.

Der damalige amerikanische Präsident Bill Clinton schickte Verteidigungsminister William Cohen und Vizefinanzminister Lawrence Summers in die Region, um bei den Staatschefs für Reformen zu werben.

Auch die Bundesrepublik war mit von der Partie. Geblendet von den wundersamen Wachstumsraten hatten deutsche Banken beispielsweise Kredite in Höhe von 16 Milliarden Mark nach Indonesien vergeben.

Helmut Kohl beauftragte den damaligen Sparkassenchef, in Jakarta ein Umschuldungsprogramm auszuhandeln. Der Mann hieß Horst Köhler und ist heute Bundespräsident.

Schaden schwer einschätzbar

Der genaue Schaden der Asienkrise lässt sich nur schwer schätzen. 1998 sank das Bruttoinlandsprodukt in Indonesien um 13,1 Prozent, in Thailand um 10,8 Prozent. In Südkorea verdreifachte sich die Arbeitslosenquote, in Indonesien gerieten etwa drei Viertel aller Firmen in finanzielle Schwierigkeiten.

Hinzu kamen enorme soziale und gesellschaftliche Folgekosten. In Hongkong stieg die Selbstmordrate um mehr als 50 Prozent. Eine Untersuchung der Hong Kong University kam zu dem Ergebnis, dass Überschuldung und andere finanzielle Probleme die Hauptursachen waren.

Anfang 2000 präsentierten die Kinderhilfsorganisation Unicef und die Weltbank einen gemeinsamen Bericht über den Einfluss der Wirtschaftskrise auf Kinder und Familien in Thailand.

Amara Pongsapich, Autorin der Studie und damals Direktorin des Instituts für Sozialforschung an der Universität Chulalongkorn in Bangkok, zeigte sich bei der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse selbst überrascht, wie tief der Wirtschaftsschock die thailändische Gesellschaft getroffen hatte. Die Scheidungsraten erreichten Rekordhöhen. Zum ersten Mal seit Jahren stieg die Zahl der Kinderarbeiter wieder.

"Die Kinder trifft es am schlimmsten"

Bereits ein Jahr nach dem Ausbruch der Krise hatte sich die Zahl der Drogenabhängigen unter 14 Jahren verdoppelt. "Die Kinder trifft es am schlimmsten'', hieß es in dem Bericht.

Die Wissenschaftler empfahlen ausdrücklich die Rückbesinnung auf traditionelle soziale Auffangnetze - Hilfe aus der Großfamilie statt des Aufbaus staatlicher Sozialsysteme nach westlichem Vorbild. Für Letzteres hätte, so der Bericht, ohnehin das Geld gefehlt.

Die Krisengewinner saßen im Westen, auch wenn der Niedergang der Aktienkurse die etablierten Weltbörsen zeitweise nach unten gezogen hatte. Als sich die Staubwolken über Asien sich gerade gelegt hatte, zogen die Kundschafter der Großkonzerne aus Europa und den USA in die Luxushotels der asiatischen Metropolen.

Besonders litt Südkorea, wo größenwahnsinnige Konglomerate, sie sogenannten Chaebols, ihre Expansion mit gewaltigen Schulden finanziert hatten - bei Hyundai summierten sich die Verbindlichkeiten auf das Sechsfache des Aktienkapitals.

Nach dem Absturz der Landeswährung Won kämpften die Chaebols ums Überleben. Doch die Einkäufer aus dem Westen freuten sich über die billigen Übernahmekandidaten in den verwundeten Tigerstaaten.

Frage von Leben und Tod

Selbst Popstar Michael Jackson flog nach Südkorea. Die Medien berichteten, Jackson habe mit dem Skigebiet Muju südlich von Seoul über eine Investition in Höhe von 100 Millionen Dollar verhandelt. Die Erhöhung der Auslandsinvestitionen sei "eine Frage von Leben und Tod'', verkündete der damalige Präsident Kim Dae Jung.

Auch China stand als Gewinner dar: Die Nachbarn waren zu Invaliden geworden und die Volksrepublik hatte nur leichte Kratzer abbekommen. Plötzlich redete niemand mehr über das hässliche Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989. Zusätzlich gestärkt durch die Rückgabe Hongkongs durch die Briten am 1. Juli 1997 wurde China der neue Superstar aus Asien.

Als sich die Schockstarre löste, wuchs auch die Hoffnung, aus den alten Fehlern zu lernen: Korruption, willkürliche Bürokratien, Vetternwirtschaft, hohe Auslandsschulden, fehlendes Konkursrecht und laxe Kontrolle der Banken und Kapitalmärkte ermöglichten die Krise erst.

"Viele Regierungen haben überreagiert und irrsinnige Devisenreserven angehäuft, um für zukünftige Krisen gewappnet zu sein. Doch die strukturellen Probleme bestehen in vielen Ländern nach wie vor'', urteilt heute der chinesische Ökonom Andy Xie.

© SZ vom 27.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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