Devisenhandel in Japan:Frau Watanabe zockt international

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Nervenkitzel der besonderen Art: In Japan mischen Zehntausende von Hausfrauen und Rentnern von ihrem Heimcomputern aus auf den internationalen Devisenmärkten mit.

Christoph Neidhart

Sobald die Kleine im Kindergarten ist, kauft Yuki über das Internet norwegische Kronen gegen Euro, Schweizer Franken gegen britische Pfund oder australische Dollar gegen tschechische Kronen. Die 35jährige Japanerin liest Charts und diskutiert die Bewegungen auf dem Devisenmarkt in Chat-Räumen. Täglich zwei Stunden. "Mehr Zeit will ich dafür nicht einsetzen, obwohl ich natürlich mehr verdienen würde."

In Japan suchen Hausfrauen und Rentner zunehmend den Nervenkitzel, indem sie vom heimischen PC aus auf den internationalen Devisenmärkten handeln. (Foto: Foto: AFP)

"Der Kurs ist mir zu nervös"

In Japan handeln Zehntausende, vielleicht Hunderttausende, Zahlen sind keine bekannt, von ihren Heimcomputern aus im Devisenhandel. Die meisten sind Hausfrauen, die Finanzpresse nennt sie die "Mrs. Watanabe". Auch Rentner sind aktiv. Vorigen Sommer sind von Privatkonten in Japan täglich Devisen im Wert 60 Millionen Euro gewechselt worden, etwa ein Fünftel des weltweiten Währungshandels. Inzwischen ist es etwas weniger geworden, die Subprime-Krise hat viele Mrs. Watanabes mit hohen Verlusten aus dem Markt getrieben.

"Das stimmt", sagt Yuki, "aber es fangen auch immer neue an." Yuki "tradet" seit drei Jahren. "Als ich schwanger wurde, gab ich meine bisherige Arbeit auf und suchte etwas, das ich von zuhause aus machen kann - zu jeder Zeit und ohne von andern Leuten abhängig zu sein." Sie startet ihren Laptop, öffnet das Dealbook, die Software für den Handel, die ihr von der Brokerfirma zur Verfügung gestellt wird, ruft den Chart des Yen zum US-Dollar auf. - "Ich handele kaum Dollar gegen Yen, der Kurs ist mir zu nervös", sagt Yuki. Sie studiert trotzdem den gleitenden Mittelwert und schließt, der Dollar dürfte in den nächsten Stunden fallen. Sie verkauft Yen für 10.000 Dollar zu einem Kurs von 106,53, gibt als Verlustgrenze den Kurs von 106,90 ein und als Zielwert 106,10.

Sobald der Dollar auf diesen Wert fällt, kauft das System für sie automatisch Yen zurück. Auf ihrem Bildschirm kann sie jederzeit sehen, wieviel sie gerade gewonnen oder verloren hat. Sie kann ihre Eingabewerte auch stets anpassen. Vorerst verliert sie 800 Yen, 6000 Yen - das sind schon 40 Euro, aber das wird sich geben. Die Software zeigt auch eine Liste mit den Trades an, die sie offen hat, mit dem jeweiligen Saldo.

Die richtigen Paare finden

In den ersten zwei Jahren habe sie an manchen Tagen 20 bis 30 Trades gemacht, sagt Yuki. "Heute mache ich das nicht mehr, ich bin vom Naturell her keine Daytraderin. Aber man muss erst herausfinden, was zu einem passt." Yuki spricht Englisch mit uns; doch auch der japanische Jargon dieser Online-Spekulanten ist durchsetzt mit Anglizismen wie "trade", "deal", "short", "long" und "leverage".

Auf der nächsten Seite: Tag und Nacht gehandelt: "Man kann es schon Abhängigkeit nennen"

Ist es nicht teuer, so viele Geschäfte zu machen? "Nein, die Brokerfirma nimmt keine Gebühren, sie knapst bei den Wechselkursen einfach in beiden Richtungen etwas ab. Bei Währungspaaren, die viel gehandelt werden wie US-Dollar und Yen weniger, bei selteneren Paaren wie zum Beispiel die Schwedische Krone zum neuseeländischen Dollar ist es mehr. Der Vorteil von Paaren kleinerer Währungen ist dafür, daß sie sich länger kontinuierlich in eine Richtung bewegen", so Yuki. "Ich bin keine Peak-Traderin". Sie steige ein, wenn sie auf dem Chart eine klare Entwicklung erkenne, und sie gehe wieder heraus aus, bevor die Bewegung ihre Richtung ändere.

Tag und Nacht gehandelt

Diszipliniert auszusteigen und nicht zu versuchen, eine Kursbewegung bis zum letzten auszureizen, das habe sie mühsam lernen müssen, sagt Yuki, die inzwischen auch Kurse für Trader besucht hat. "Man muß sich selber kennenlernen, das ist ja alles Psychologie." In den Kursen habe sie gelernt, sich eine Strategie zurechtzulegen und dann auch danach zu handeln. Seither meide sie das Daytrading. Jetzt sei sie ein Swing-Trader, das heißt, sie halte ihre Positionen einige Tage oder Wochen.

"Zuvor konnte ich oft nicht aufhören." Manchmal habe sie den Einsatz erhöht, obwohl sie erkennen musste, daß sich der Kurs in der für sie falschen Richtung bewegte. "Ich habe Tag und Nacht gehandelt, oft noch vom Handy um zwei Uhr früh." Der Devisenhandel laufe ja 24 Stunden. Mit ihrer jetzigen Strategie und den Stop-loss-Eingaben könne sie abschalten. "Ich handle nur noch von zu Hause aus". Nur ganz selten, etwa für unser Interview, nimmt sie ihren Laptop anderswohin mit. "Ich bin effizienter geworden". Auch professioneller. "Ich habe lernen müssen, daß jeder Verluste macht und dass man sie akzeptieren muss. Jetzt verstehe ich meine Verluste."

"Man kann es schon Abhängigkeit nennen"

In ihrem Logbuch, in dem sie alle Trades notiere, habe sie sich früher oft beim Baby entschuldigt, weil sie angespannt und genervt war. "Das war mir gar nicht bewusst, das ist mir erst beim Wiederlesen aufgefallen. Ja, das kann man schon Abhängigkeit nennen." Dabei sei es auch der Nervenkitzel gewesen, nicht nur das Geld.

"Natürlich hat mich auch das Versprechen getrieben, man könne sein Kapital binnen eines Monats verdoppeln. Aber das ist übertrieben und sehr riskant." Vor allem, wenn man mit großer "leverage", also mit hohem Kredit des Brokers - handle.

Auf der nächsten Seite: Manchmal ein nächtlicher Daytrade - wenn eine Zinskorrektur der Fed ansteht.

Versprochen hat die monatliche Verdoppelung des Einsatzes Mayumi Torii, die 42-jährige Hausfrau, die berühmteste "Mrs. Watanabe". Sie hat einen Trader-Club gegründet, den "FX Beauties Club". Sie schreibt einen Blog, hat zwei Bücher mit Tipps veröffentlicht und tritt im Fernsehen auf. Sie beeindrucke vor allem Anfänger, meint Yuki. "Es stimmt, was sie sagt, aber vom Risiko redet sie nie." Vor allem im Herbst, als viele Trader aufgeben mussten, wurde Frau Torii in den Chaträumen wütend attackiert.

Japans Steuerfahnder haben in den zurückliegenden zwei Jahren einige Hausfrauen und Rentner erwischt, die hohe Einkünfte aus dem Devisenhandel nicht versteuerten.

Der Staat verdient mit

Es sei auch kein Wunder, dass die Leute Steuern hinterziehen, meint Yuki, die hier nur mit falschem Vornamen identifiziert werden wollte. "Der Staat fordert fast 50 Prozent, wenn es 20 Prozent wären, wäre man eher bereit, das auch zu zahlen." Yuki handelt mit fünf verschiedenen Konten und sucht nach Wegen, auch von einem Offshore-Konto aus zu agieren, "das nicht allzu grau ist". In Hongkong? "Das war früher." Heute sehe die japanische Steuerfahndung zu genau nach Hongkong.

"Lieber woanders, in Europa vielleicht, aber nicht in der Schweiz." Ungarn? "Zum Beispiel." Außerdem wolle sie das Risiko weiter reduzieren. "Das gehört zu meinem Businessplan." Wie viel sie verdiene, will sie nicht sagen. "Etwa so viel, wie wenn ich voll arbeiten würde." Wichtiger sei ihr, ihre persönliche Strategie weiterzuentwickeln: "Ich lerne noch." Das könnte sie vielleicht anderen vermitteln."Wir Japaner sind ausgezeichnete Sparer, aber anlegen können die wenigsten, sie haben ihr Geld einfach auf der Postbank liegen." Mit Geld ihrer Mutter spekuliert sie schon. "Konservativer als mit meinem eigenen." Beide setzten sie nur so viel ein, wie sie notfalls verlieren könnten.

Japan teile sich verstärkt in Arm und Reich, zu den Armen wolle man ja nicht gehören, sagt sie. Dann muß sie die Kleine aus dem Kindergarten holen. Ihr Arbeitstag ist vorbei. "Naja, manchmal sitze ich zwischen elf und zwölf Uhr nachts noch dran, wenn die Kleine schläft. Dann sind die Märkte in Europa und Amerika offen." Wenn zum Beispiel eine Zinskorrektur der amerikanischen Fed anstehe, dann wage sie auch ab und zu einen Daytrade.

© SZ vom 18.06.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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